EnergiekriseSportvereine zittern vor dem Winter

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Der Sportplatz von Witzhelden im Flutlicht

Die Energiekosten für das Flutlicht wie hier auf dem Sportplatz in Witzhelden sind für die Vereine in diesem Winter kaum kalkulierbar.

Die Energiekrise ist für die Sportvereine bedrohlicher als die Corona-Pandemie. 40 Prozent erwarten schwerwiegende Folgen wie einen Mitgliederschwund, sechs Prozent sehen ihre Existenz bedroht. Das geht aus einer Umfrage des Instituts für Sportstättenentwicklung hervor. Die Risiken durch die hohen Energiekosten seien unkalkulierbar.

Am Montag hat Kurt Nürnberg seine Geschäftsführerin zur Seite genommen und gesagt: „Hör mal, Frau Arentz, wir stehen vor einer großen Unbekannten.“ Der erste Vorsitzende des SC West, der mit knapp 600 Mitgliedern zu den großen Amateurfußballvereinen in Köln zählt, kann einfach nicht kalkulieren, wie hoch die Energiekosten sein werden, die auf ihn zukommen. Immerhin, der 549.000 Euro schmucke Neubau auf der Sportanlage ist mit einer nagelneuen Wärmepumpe ausgerüstet. Das beruhigt ein wenig.

Doch auch beim SC West in Ehrenfeld können die Mannschaften nicht im Dunkeln trainieren. Und der SC West hat verdammt viele Mannschaften: fünf Jugendteams in der Mittelrheinliga, zwei Damenmannschaften, die Senioren und zwei Herrenmannschaften. „Ab fünf Uhr ist das Flutlicht an. Bis 22 Uhr. Auf zwei Plätzen wohlgemerkt. Das sind 16 Pfähle. Wissen Sie, was das kostet?“

Und noch ein Phänomen hat Nürnberg beobachtet, über das er selbst ein wenig schmunzeln muss. „Auf einmal duschen sich die kleinen Kinder bei uns. Und ein paar Eltern gleich mit. Warum? Das muss ich Ihnen ja wohl nicht erklären.“

Wenn wir die Beiträge erhöhen, laufen mir die Leute davon.
Kurt Nürnberg, Vorsitzender des SC Köln-West

„Normalerweise", sagt Nürnberg, „müssten wird die Mitgliedsbeiträge erhöhen. Doch dann laufen mir die Leute davon.“ Es sei schon jetzt so, dass Eltern ihre Kinder abmelden, weil sie sich die 18 Euro Monatsbeitrag nicht mehr leisten können. „Ich muss Ihnen ehrlich sagen, dass ich ein bisschen Angst habe. Weil man nicht weiß, was auf einen Verein zukommt, der gemeinnützig ist. Wie soll man da einen Haushaltsplan erstellen? Bei Corona konnte man sich wenigstens die Coronahilfe abholen.“

Knapp 1000 Euro zahlt der SC West pro Monat an Energiekosten-Vorschuss. „Das war immer gut kalkuliert. Aber das war einmal. Wir werden wohl auf 1800 Euro erhöhen, damit wir hoffentlich nichts nachzahlen müssen.“

Zusätzliche Einnahmequellen kann der Verein kaum erschließen. Die Bandenwerbung bringt 25.000 Euro im Jahr. Eine hübsche Summe zwar, doch der SC West muss davon auch den Eigenanteil am Neubau finanzieren und alle anderen Ausgaben begleichen. Und seien es nur die Bälle für die vielen Mannschaften.

Mitgliederrückgang, reduzierter Trainingsbetrieb, Sportstätten-Schließungen, höhere Vereinsbeiträge und drohende Insolvenzen: Die Energiekrise ist für die Sportvereine deutlich bedrohlicher, als es die Corona-Pandemie gewesen ist. Dies geht aus einer bundesweiten Umfrage des Instituts für Sportstättenentwicklung (ISE) im Auftrag des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) hervor. Danach erwarten mehr als 40 Prozent der Vereine durch die explodierenden Energiepreise starke Auswirkungen, rund sechs Prozent befürchten eine akute Existenzbedrohung - nämlich die Auflösung des Vereins.

Sechs Prozent der Vereine sehen ihre Existenz bedroht

Im Rückblick auf die Corona-Krise sahen sich nur 26 Prozent der Vereine starken Auswirkungen ausgesetzt, für knapp zwei Prozent sei sie existenzbedrohend gewesen, heißt es in der Mitteilung. Beteiligt haben sich an der Umfrage zur Lage in der Energiekrise bis zum 23. Oktober 5696 Sportvereine aus allen 16 Bundesländern. Im DOSB sind rund 87.000 Sportvereine organisiert.

„Die Sportvereine in Deutschland sind stark und haben nicht zuletzt während der Pandemie ein enormes Durchhaltevermögen bewiesen“, sagt DOSB-Präsident Thomas Weikert. „Aber die Reserven sind so gut wie aufgebraucht, und spätestens mit den zu erwartenden, deutlich erhöhten Abschlagszahlungen stehen insbesondere die vielen tausend Vereine mit eigenen Sportanlagen vor teilweise existenzbedrohenden finanziellen Belastungen.“

Mehrere hundert Vereine werden ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können.
Christoph Niessen, Vorsitzender des Landessportbunds

Der Landessportbund Nordrhein-Westfalen befürchtet, dass zahlreiche Vereine dicht machen müssen. „Wir werden in der Energiekrise mehrere hundert Vereine verlieren, weil sie ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können“, sagt Christoph Niessen, Vorstandsvorsitzender des mit knapp fünf Millionen Mitgliedern größten LSB. „Nach derzeitigem Stand ist das nicht abwendbar.“

Zumal es an Klarheit fehle, wie die von einer Expertenkommission vorgeschlagene Gas- und Strompreisbremse konkret ausgestaltet sein wird. Für Niessen ist sie „ein Silberstreif“, der aber auch Interpretationsspielraum hinterlasse: „Jetzt geht es schlicht und einfach darum, wie können wir unsere Rechnungen bezahlen.“

Zumindest sicherte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) in einem Gespräch mit Weikert in der vergangenen Woche zu, dass Vereine an der Gas- und Strompreisbremse partizipieren. Bezweifelt wird im Sport jedoch, ob die Deckelung des Gaspreises von März 2023 bis April 2024 auf zwölf Cent pro Kilowattstunde für 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs die Lösung ihres Energieproblems ist.

Holger Dahlke, Geschäftsführer des MTV Köln in Mülheim, hat schon in diesem Jahr eine Gaspreiserhöhung von 175 Prozent „reingedrückt bekommen“. Vorsichtig geschätzt könnten die Energiepreise den größten Breitensportverein in Köln und damit seine 5200 Mitglieder mit 70.000 Euro zusätzlich belasten. „Das wäre mehr als eine Verdreifachung zum Stand vor Corona.“

Zur Not müssen wir eine Energiekosten-Umlage einführen.
Holger Dahlke, Geschäftsführer des MTV Köln

Der MTV hat 2019 ein neues Sportzentrum in Betrieb genommen. Die Lockdowns und der über lange Zeit eingeschränkte Betrieb durch die Pandemie erschweren die Kalkulation zusätzlich. Anfang des Jahres hat der MTV die Mitgliedsbeiträge erhöht. „Dieses Instrument können wir nicht nochmal nutzen und wollen das auch nicht. Wir wissen, dass viele Haushalte jetzt schon kämpfen müssen.“

Um nicht völlig unvorbereitet in eine finanzielle Schieflage zu geraten, will der MTV-Vorstand die Mitgliederversammlung im Mai 2023 darum bitten, einen Vorratsbeschluss zu treffen. „Wir wollen uns eine Energiekosten-Umlage genehmigen lassen, die wir im Notfall zusätzlich von unseren Mitgliedern einziehen können.“

Ob das 14 Milliarden Euro schwere Hilfspaket, das die Landesregierung in der vergangenen Woche auf den Weg gebracht hat, auch ausreichende Mittel für die Sportvereine enthalten wird, kann derzeit niemand sagen. Profitieren sollten davon auch Einrichtungen für Kinder und Sportvereine, so das Versprechen von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU).

Das dicke Ende kommt noch. Ich erwarte nichts von der Politik.
Gereon Schultze, Geschäftsführer von Fortuna Köln

„Ich erwarte erst einmal gar nichts von der Politik“, sagt Gereon Schultze, Geschäftsführer von Fortuna Köln. „Das dicke Ende kommt noch. Beim Betanken der Jugendbusse und Firmenwagen merken wir es jetzt schon. Bei den Energiekosten spüren wir es noch nicht.“ Der Klub mit seinen 1400 Mitgliedern, von denen rund 600 aktiv sind, kalkuliert nicht nur beim Gas, sondern auch bei den Flutlichtanlagen mit erheblichen Mehrkosten. Bei den Leistungsmannschaften im Jugendbereich hat Fortuna die Beiträge im Sommer um 50 auf 150 Euro erhöht. „Das war nicht wenig.“ Das Licht auszuschalten oder Trainingszeiten zu streichen seien keine Optionen.

Der Stadtsportbund Köln (SSBK) wird sich am kommenden Donnerstag an der Kundgebung des Bündnisses „Solidarisch in der Energiekrise“ um 17 Uhr auf dem Ottoplatz beteiligen. „Der Stadtrat hat ja einen Fünf-Millionen-Topf zur Abmilderung der Energiekrise bereitgestellt“, sagt SSBK-Vorsitzender Peter Pfeifer. „Allerdings für die ganze Stadtgesellschaft. Das ist ein bisschen dünn.“ In Köln gebe es 650 Sportvereine mit 300.000 Mitgliedern. „Mir ist klar, dass das eine Kommune allein nicht stemmen kann. Aber wir wissen ja auch nicht, was Bund und Land vorhaben.“

Stadtsportbund schätzt Hilfebedarf in Köln auf bis zu 800.000 Euro

Der Hilfsbedarf der Kölner Sportvereine sei recht überschaubar. „Wir schätzen, dass sie zwischen 500.000 und 800.000 Euro an Energiebeihilfe benötigen werden, um den Winter zu überstehen.“ Unklar sei aber auch, ob die städtische Hilfe nur an Vereine gehe, die auf stadteigenen Anlagen trainieren. „Was ist mit den Vereinen, die auf eigenen Anlagen trainieren?“ Einige müssten noch Kredite für ihren Eigenanteil an Modernisierungen abbezahlen, für die es Zuschüsse vom Land gab. „Dann kann es sehr schnell eng werden.“ (mit dpa)

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