Ärzte gegen Antisemitismus„Niemand will diesen gemeinsamen Schmerz ausdrücken. Das macht mich fassungslos“

Lesezeit 3 Minuten
Ein Plakat, das Fotos der Hamas-Geiseln zeigt, hängt in der Bürgerhalle des Landtags.

„Ärzte gegen Antisemitismus“ setzt sich für die Freilassung von Geiseln ein. Auch der nordrhein-westfälische Landtag demonstriert Solidarität mit Israel.

Mit der Initiative reagieren Mediziner auf Anfeindungen nach den Anschlägen der Hamas. Eine Kölner Ärztin über ihr Anliegen.

Als die Hamas am 7. Oktober jüdische Zivilisten verschleppte, ermordete, vergewaltigte und folterte, hatte Margaretha Skorupka mit einer Welle der Anteilnahme gerechnet. Sticker am Revers, Mitgefühlsbekundungen in sozialen Netzwerken, Israel-Flaggen an deutschen Hausfassaden. „So wie man das von anderen kriegerischen Anschlägen kannte: Charlie Hebdo in Paris, der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine.“ Aber es passierte erstmal: Wenig. Im Gegenteil. „Mir sagten jüdische Ärzte, sie hätten Angst, sich als Juden zu erkennen zu geben, weil sie mit Anfeindungen und Aggressionen rechneten.“

Als sie sich dann auf einen Aufruf unter Ärzten meldete und ihre Bereitschaft erklärte, verletzte Israelis unentgeltlich zu behandeln, kam sie in Kontakt mit anderen Ärzten – jüdische wie nichtjüdische, einige davon auch in Israel praktizierend, die erschrocken waren über den zutage tretenden Antisemitismus in der Bevölkerung. Man schloss sich kurzerhand zur Initiative „Ärztinnen und Ärzte gegen Antisemitismus“ zusammen.

Ihr Anliegen: Ein Zeichen gegen Antisemitismus setzen, sich klar zu positionieren, die Freilassung der Geiseln fordern. Mittlerweile, sagt die in Köln ansässige Hautärztin Skorupka, habe man 140 Mitglieder gewinnen können.

Antisemitische Strömungen auch an den Universitäten - jüdische Studenten meiden Präsenzunterricht

Zusammen mit einer Kollegin will sie nun eine Anlaufstelle für antisemitische Angriffe gegenüber Ärzten bieten. Auch gegen antisemitische Strömung an den Universitäten wolle man vorgehen. Der Vizepräsident der deutschen jüdischen Studierendenunion bestätigt in diesem Zusammenhang antisemitische Haltungen an den Hochschulen unter islamischen, aber auch deutschen Studentenverbänden. Zunehmend fühlten sich jüdische Studenten unwohl und mieden den Präsenzunterricht. Die Rektorenschaft spiele die Probleme zum Teil herunter.

Margaretha Skorupka, Dermatologin

Dermatologin Margaretha Skorupka engagiert sich bei „Ärzte gegen Antisemitismus“.

Israelische Kollegen wollen unentgeltlich Traumatherapie für israelische Kinder anbieten. „Aber auch wir hier in Deutschland haben schon darüber gesprochen. Die jüdischen Kinder hier brauchen in Teilen vielleicht auch psychologische Unterstützung nach diesen Erfahrungen, die sie zum Teil hier machen müssen.“ Ihr Arm reiche nicht bis in den Gazastreifen, im Kampf um die Befreiung der Geiseln könne sie wenig ausrichten. „Aber ich kann allen zeigen, dass ich mit den Ärzten fühle, die nun Angst vor Antisemitismus haben.“ Das alles bedeute nicht, dass die palästinensische Zivilbevölkerung kein Mitleid verdiene. „Aber das steht ja gar nicht zur Debatte. Die jüdischen Ärzte vor Ort behandeln jetzt natürlich auch verletzte Palästinenser. Und wir alle setzen uns dafür ein, dass beispielsweise Insulin in die palästinensischen Gebiete geliefert wird.“

Auch muslimische Ärzte will man für die Ärzte gegen Antisemitismus gewinnen. „Es gibt hier durchaus eine Bereitschaft, allerdings haben viele Kollegen auch Angst vor Ablehnung in der eigenen Community, wenn sie sich klar gegen Antisemitismus aussprechen“, sagt Skorupka. Wichtig ist der Initiative, die derzeit vor allem über Webinare in Kontakt steht, die Passivität und Indifferenz in der Ärzteschaft, aber auch in der Bevölkerung zu durchbrechen. „Niemand will diesen gemeinsamen Schmerz ausdrücken. Das macht mich fassungslos. Die jüdische Bevölkerung braucht doch gerade jetzt unsere Liebe.“ Was Deutschland betrifft, beklagt Skorupka eine schleichende Gleichgültigkeit gegenüber antisemitischen Vorurteilen, die in der Gesellschaft tief verankert seien. „Die Juden sind für viele wie eine Projektionsfläche.“

Die Initiative hat nun eine Online-Petition gestartet, der sich jeder anschließen kann. An die Bundesärztekammer hat man sich auch gewandt. Die Erwartung: Dass diese sich offiziell gegen Antisemitismus positioniert. „Eigentlich sollten sich alle gesellschaftlichen Gruppen jetzt öffentlich bekennen.“ Auf „hartnäckiges Drängen“ der Initiative hat die Ärztekammer jüngst eine Stellungnahme veröffentlicht.

KStA abonnieren