AlexithymieAngeklagter in Kölner Mordprozess ist nicht fähig, Emotionen wahrzunehmen

Lesezeit 2 Minuten
Gericht Enkel tötet Oma

Der 22-jährige Angeklagte (l.) mit seinem Verteidiger Markus Loskamp.

Köln – Tiefe Trauer und große Freude: Für die Allermeisten sind derartige Gefühlsregungen eine Selbstverständlichkeit. Es gibt jedoch Menschen, die sind „gefühlsblind“, also nicht in der Lage, ihre Emotionen wahrzunehmen, zu benennen und zu verarbeiten. Sie leiden an Alexithymie, einer Persönlichkeitsstörung, die zwar keine Krankheit ist, aber sehr wohl Krankheitssymptome mit sich bringen kann. Studien zufolge sind mehr als zehn Prozent der Menschen davon betroffen, Männer häufiger als Frauen.

„Keinen Zugang zu seinen Gefühlen“

Im Prozess gegen Maurice H. (22), der im Juni 2019 seine Großmutter tötete, weil sie ihn vor die Tür setzen wollte, hat ein Psychologe dem Angeklagten diese Störung attestiert. „Er hat keinen Zugang zu seinen Gefühlen“, sagte der Gutachter, das sei Maurice H. von frühester Kindheit aufgrund seiner schwierigen familiären Situation offenkundig verwehrt gewesen: „Er hat gelernt, niemanden an sich heranzulassen, weil sonst die Enttäuschung zu groß geworden wäre“. Maurice könne Gefühle von anderen „weder richtig einordnen noch verstehen“.

Der Sachverständige hatte den Angeklagten wiederholt im Gefängnis aufgesucht und in einer mehrstündigen Untersuchung einen „ängstlichen, depressiven, selbstunsicheren, grüblerischen“ Angeklagten getroffen, der in seinen sozialen Bindungen und Beziehungen „erheblich gestört“ sei und deshalb als alexithym gelte.

Waschzwang und Isolation

Überraschend fiel ein Teil der Testergebnisse aus. Hatten frühere Intelligenztests dem Angeklagten eine eher unterdurchschnittliche Intelligenz bescheinigt, betonte der Psychologe eine „weit überdurchschnittliche Punktzahl von 120 (95 ist durchschnittlich) im kognitiven Bereich“. Maurice H. verfüge über eine „sehr schnelle Auffassungsgabe“, die allerdings nie gefördert oder gefordert worden sei und habe in der Befragung „kooperativ, konzentriert, sorgfältig und gewissenhaft“ seine Angaben gemacht.

Die von Maurice entwickelten Zwänge und Ängste, beispielsweise der Waschzwang oder die selbst gewählte Isolation seien klassische Folgen der Alexithymie. Der Psychologe schloss eine „krankhafte seelische Störung“ im Sinne des Strafrechts zwar aus, jedoch sei mehr als wahrscheinlich, dass Maurice ohne therapeutische Hilfe „auf dem besten Wege dahin sei“.

KStA abonnieren