Die Polizei leitete bisher 13 Strafverfahren gegen Demonstranten ein – und eine gegen sich selbst wegen Verdachts auf Körperverletzung im Amt.
Eskalierter Anti-Kriegs-ProtestInnenminister Reul räumt Polizei-Versäumnisse bei Demo in Köln ein

Rund 500 Demo-Teilnehmer wurden bei einem „Anti-Kriegs-Marsch“ in Köln am 30. August durch die Polizei eingekesselt.
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Gegenseitige Schuldzuweisungen, Vorwürfe, Strafanzeigen – nach der eskalierten „Anti-Kriegs-Demo“ in Köln am 30. August schieben sich Polizei und Demo-Teilnehmer gegenseitig die Verantwortung für die gewalttätigen Ausschreitungen zu. Jetzt hat das Innenministerium Versäumnisse der Polizei eingeräumt.
Am Ende eines 16-seitigen Berichts über den Demo-Einsatz für den Innenausschuss des Landtags schreibt Innenminister Herbert Reul (CDU), es sei „kritisch zu bewerten“, dass etwa 500 eingekesselte Personen „nicht in einem angemessenen Zeitrahmen“ mit Getränken und mobilen Toiletten versorgt worden seien. Auch seien 27 Jugendliche und hilfsbedürftige Menschen unter den Eingeschlossenen erst mit Zeitverzug angesprochen worden, um sie priorisiert zu behandeln, das heißt: ihre Personalien festzustellen, um sie möglichst schnell nach Hause entlassen zu können. An anderer Stelle im Bericht heißt es allerdings auch, trotz dann insgesamt zwölf Aufrufen per Lautsprecher habe sich niemand der Angesprochenen gemeldet. Gegen 22.30 Uhr hatten die Einsatzkräfte damit begonnen, die 500 potenziellen Störer unter den insgesamt 3000 Demonstranten zu identifizieren. Gegen 4.45 Uhr durften die letzten gehen.
Von Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmern ging schon von Beginn an ein hohes Maß an Störerpotenzial und Gewaltbereitschaft aus
Im Übrigen lässt der Bericht des Innenministers keinen Zweifel daran, von wem die Gewalt ausgegangen sein soll: von eben jenem Block aus ungefähr 500 gewaltbereiten Personen. „Von Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmern ging schon von Beginn an ein hohes Maß an Störerpotenzial und Gewaltbereitschaft aus“, schreibt Reul.
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Diese hätten in der Folge nicht nur mehrfach gegen zuvor vereinbarte Versammlungsauflagen verstoßen, sondern auch Polizistinnen und Polizisten angegriffen, sie bedrängt, geschlagen und getreten. „Der massive Druck der Störer machte die starke Anwendung unmittelbaren Zwangs durch körperliche Gewalt notwendig“, heißt es im Bericht des Ministeriums. Und: „Mit Blick auf die Dynamik des Einsatzgeschehens war es situativ erforderlich, körperliche Gewalt durch gezielte Faustschläge anzuwenden sowie teils den Einsatzmehrzweckstock und Pfefferspray einzusetzen.“

Polizisten führen einen Teilnehmer der „Anti-Kriegs-Demo“ ab.
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Veranstalter des Aufzugs durch die Innenstadt an jenem Samstagnachmittag waren das „Kölner Friedensforum“ und das Bündnis „Rheinmetall entwaffnen“. Deren Sprecher hatten wiederum der Polizei vorgeworfen, Demoteilnehmer angegriffen zu haben. Die Rede war von einem „Prügeleinsatz“, einer „brutalen Eskalation der Polizei“ und einem „politischen Skandal“. Eine Bundestagsabgeordnete der Partei Die Linke, Lisa Schubert, warf der Polizei vor, sie sei von einem Beamten geschubst, gewürgt und gegen den Brustkorb geschlagen worden. Diese Vorwürfe bekräftigte Schubert, die während der Demo als „Parlamentarische Beobachterin“ eingesetzt war, vorige Woche erneut im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Zwischenzeitlich hat die Polizei ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt eingeleitet wegen Verdachts der Körperverletzung im Amt. Das bestätigte auf Anfrage Ulrich Bremer, der Sprecher der Staatsanwaltschaft Köln. Aus Neutralitätsgründen ermittelt die Polizei Bonn. Unter anderem wertet sie dazu ein Video aus, das die strittige Szene zeigt.
Anti-Kriegs-Demo: Teilnehmer wegen Volksverhetzung angezeigt
Laut dem Ministeriumsbericht wurden bei dem Einsatz mindestens neun Demonstrantinnen und Demonstranten verletzt sowie 13 Polizistinnen und Polizisten – vier von ihnen schwer. Es seien 13 Ermittlungsverfahren gegen Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Anti-Kriegs-Demo eingeleitet worden, darunter wegen Körperverletzung, Widerstands, besonders schweren Landfriedensbruchs und Volksverhetzung. Ein Demonstrant soll die Parole „From the river to the sea” skandiert haben – eine Formulierung, die von vielen als Aufruf zur Auslöschung Israels verstanden wird.
Der Einsatzleiter der Kölner Polizei, Martin Lotz, hatte das Vorgehen der Polizei als „gerechtfertigt“ betrachtet, da das Einschreiten der Einsatzkräfte Schlimmeres verhindert hätte. Gemeint ist damit vor allem eine laut Polizei „feige Attacke“ auf zwei Verbindungsbeamte – eine Polizistin und einen Polizisten, die während der Demo die festen Kontaktpersonen für die Versammlungsleiter des Aufzugs waren.
Im Bericht des Innenministers heißt es dazu, die beiden Verbindungsbeamten seien von ungefähr 30 Personen angegriffen worden, als sie einem Versammlungsleiter erläutern wollten, warum Einsatzkräfte das Begleitfahrzeug der Demonstranten kontrollierten. Dabei seien sie von den 30 Personen bedrängt und geschubst worden. Ein Gewalttäter sei der Beamtin in den Rücken gesprungen, wodurch sie zu Boden stürzte und schwer verletzt wurde. „Die Situation konnte durch den Einsatz körperlicher Gewalt anderer Einsatzkräfte unter Kontrolle gebracht werden“, heißt es im Bericht.
Reiner Schmidt, der den Aufzug des „Kölner Friedensforums“ angemeldet hatte, spricht von „unangemessener Härte“ der Polizisten „angesichts der geringen Zahl von Verstößen gegen das Versammlungsgesetz“, wie zum Beispiel das Zünden von drei Rauchtöpfen. Der Bericht dagegen führt zahlreiche angebliche Verstöße auf: Entgegen der vorherigen Absprache hätten sich immer wieder Versammlungsteilnehmer vermummt und Banner und Fahnen so ausgerichtet, dass sich Personen darunter verstecken konnten, es seien Holz- und Metallstangen mitgeführt und Pyrotechnik gezündet worden. Trotz der Auflage, auf Gewalt- und Hassaufrufe zu verzichten, hätten einige Teilnehmer zum Beispiel „Hass, Hass, Hass. Hass wie noch nie. All cops are bastards“ skandiert.
Die Polizei Köln kündigte an, den Einsatz nachbereiten und dabei besonders die Umstände der Einkesselung in den Blick nehmen zu wollen.