Merkenicher fürchten GestankHeizkraftwerk soll ab 2028 Klärschlamm verbrennen

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Klärschlamm Merkenich1

Das Heizkraftwerk in der Merkenicher Hauptstraße soll statt Braunkohle demnächst Klärschlamm verbrennen.

Merkenich – Klärschlamm – schon das Wort klingt eklig, und die Sache, um die es geht, ist alles andere als appetitlich. Es ist der allerletzte Rest, der im Klärwerk übrig bleibt, eine schlickige, dunkle Masse, nährstoffreich und giftig zugleich. Die meisten Menschen denken wohl kaum darüber nach, wo ihre weggespülten Hinterlassenschaften enden, sowie sie durchs Rohr gegurgelt sind. In Merkenich könnte sich das in einigen Jahren ändern, spätestens dann, wenn im Ort öfter ein fauliger Geruch in der Luft liegt. Im Heizkraftwerk an der Merkenicher Hauptstraße soll ab 2028 Klärschlamm verbrannt werden.

Neue Tochterfirma soll für Klärschlamm zuständig sein

Noch wird dort Braunkohlegranulat verfeuert, gekoppelt mit einer Gas- und Dampfanlage wird Fernwärme erzeugt. Abnehmer sind Privathaushalte in Chorweiler und Bocklemünd sowie Firmen im Gewerbegebiet Emdener Straße. Das Kraftwerk gibt es bereits seit den 60er Jahren, 1990 wurde der Braunkohleblock gebaut. Der war in den vergangenen Jahren öfter das Ziel von Braunkohlegegnern, sie kamen von auswärts, protestierten, verschwanden wieder. Die Merkenicher hat das Kraftwerk am südlichen Ortsrand nie gestört, Großindustrie vor der Haustür, Chemiepark, Umspannwerk, Kohlenmonoxidleitung in der Rheinaue, Großbaustelle Leverkusener Autobahnbrücke, all das wird kaum noch wahrgenommen, achselzuckend lebt man damit.

Der Standort des Heizkraftwerks in Merkenich.

Der Standort des Heizkraftwerks in Merkenich.

Während Braunkohle die Luft mit Kohlendioxid belastet, ist Klärschlammverbrennung CO2-neutral, dafür aber geruchsintensiv. Betreiber des Heizkraftwerks ist die Rhein-Energie. Für den Umbau zur Klärschlammverbrennungsanlage hat sich der Energieversorger mit den Stadtentwässerungsbetrieben (StEB) und den Kölner Stadtwerken zusammengetan. Die StEB sind zuständig für die Kölner Kläranlagen, die größte ist in Stammheim. Die drei wollen gemeinsam eine Tochterfirma gründen, die Klar GmbH. Das steht für „Klärschlammverwertung am Rhein“. Am 6. Mai soll der Stadtrat die Gründung der GmbH beschließen. Ab 2028 soll es in Merkenich losgehen. Die StEB planen mit einer Liefermenge von 180 000 Tonnen Schlamm jährlich, die in der Trocknungsanlage zu 45 000 Tonnen brennbarem Material gepresst werden.

Phosphorrückgewinnung wichtig für Landwirtschaft

Das Vorhaben steht unter Zeitdruck: Ab dem Jahr 2029 ist es nicht mehr erlaubt, Klärschlamm zu entsorgen, ohne dass der Inhaltsstoff Phosphor entzogen wurde. Grundlage ist die Klärschlammverordnung von 2017. Phosphor ist ein Mineralstoff, der für landwirtschaftlichen Dünger gebraucht wird. Die Klärschlammverbrennung ist der erste Schritt, der zweite ist die Lagerung der Asche und die Phosphorrückgewinnung. Wo diese stattfindet, sei noch nicht entschieden, sagt Christoph Preuß, Pressesprecher der Rhein-Energie.

Als Aschelager komme die Deponie Vereinigte Ville in Hürth-Knapsack in Frage. Die Stromerzeugung ist also eher nachrangig. Zwar plant die Rhein-Energie, in Merkenich den Braunkohleblock im Jahr 2025 abzuschalten, parallel soll aber die Gas- und Dampfanlage modernisiert werden, sie übernimmt dann den Hauptteil der Energieproduktion. Der Klärschlamm aus Köln wird seit Jahren in den Braunkohlekraftwerken im Rhein-Erft-Kreis mitverbrannt. Die gehen spätestens im Jahr 2038 vom Netz – Folge des Kohleausstiegs. Auch vor diesem Hintergrund sind die StEB gezwungen, die Klärschlammentsorgung neu zu ordnen.

Klärschlamm-Verbrennung zur Phosphor-Gewinnung

Klärschlamm ist ein sogenanntes Vielstoffgemisch, die Zusammensetzung variiert je nachdem, aus welchen Quellen das Abwasser stammt. Enthalten sind Mineralstoffe wie Stickstoff und Phosphor, aber auch Schwermetalle wie Blei, Cadmium, Kupfer und Zink. Klärschlamm als Dünger für Grünland und Obst- und Gemüseanbau einzusetzen, ist seit 1992 in Deutschland verboten. Stattdessen landet Klärschlamm meist auf einer Deponie oder wird, wie zum Beispiel in Köln, in Kohlekraftwerken mitverbrannt. Der wertvolle Bestandteil Phosphor geht dabei verloren. Im Oktober 2017 wurde die Klärschlammverordnung novelliert. Ab 2029 sind Betreiber größerer Klärwerke verpflichtet, Phosphor zu recyceln. In Zukunft erhofft man sich in Deutschland einen Ertrag von bis zu 50 000 Tonnen Phosphor jährlich.

Die Klärschlammverbrennung hat gegenüber den nichtthermischen Rückgewinnungsverfahren den Vorteil, dass aus Asche deutlich mehr Phosphor gewonnen werden kann. Der Nachteil: Es ist die aufwendigste und teuerste Methode. Die Kosten tragen die Verbraucher. Das Umweltbundesamt hat ausgerechnet, dass die thermische Phosphorrückgewinnung die Abfallgebühr um drei bis elf Euro im Jahr pro Einwohner steigen lässt.

Phosphor liegt in der Natur vor und wird auch abgebaut, die größte Mine ist in Marokko. Auch Russland und China exportieren Rohphosphat. Abnehmer ist die Düngemittelindustrie. Der Bedarf ist weltweit enorm. Ursache ist der ansteigende Fleischkonsum. Nutztiere brauchen als Futter Getreide, das wächst am schnellsten mit Phosphatdünger. (kaw)

Anwohner fürchten zunehmenden Lkw-Verkehr

Im Dorf formiert sich Widerstand. Mitte März ging ein Protestschreiben der Bürgervereine aus Merkenich und Lindweiler an die Ratsfraktionen, kurz vor Ostern erhielten die StEB einen Fragenkatalog. „Wir sorgen uns, dass der Lkw-Verkehr zunimmt, außerdem fragen wir uns, ob nicht doch das Phosphorrecycling hier angesiedelt wird“, sagt Bruno Klais vom Merkenicher Bürgerverein. Das Heizkraftwerk liege nur wenige Meter von Wohnhäusern entfernt, der Wind wehe meist Richtung Norden, Geruchsemissionen seien zu befürchten. Die treten auf, wenn die Verbrennungstemperatur unter 850 Grad Celsius sinkt. Geruchsintensiv ist auch der Dampf, der beim Trocknungsprozess austritt. Ende Februar wurde etwa der Trocknungsanlage in Pirmasens-Fehrbach die Betriebserlaubnis entzogen, zum wiederholten Mal. Trotz kostspieliger Nachrüstung bekommt man dort das Geruchsproblem nicht in den Griff. In Merkenich solle die Scheibentrocknung angewendet werden, so Pressesprecher Preuß. „Ich gehe davon aus, dass das geruchsfrei ablaufen wird.“

Klais Merkenich

Bruno Klais, Vorsitzender des Bürgervereins Merkenich, sorgt sich um zunehmenden Lkw-Verkehr.

Merkenich sei deshalb als Standort ideal, weil von Stammheim der Schlamm über einen bereits bestehenden Düker unter dem Rhein ins Linksrheinische transportiert werden könne. Die Lkw müssten nicht über den Ivenshofweg fahren, sondern könnten auch die Ölhafenstraße nehmen. Man denke auch daran, Schiff und Industriebahn einzusetzen. In Merkenich soll auch Klärschlamm aus Bonn und dem Rhein-Erft-Kreis verbrannt werden. „Selbstverständlich wird es im Rahmen des Genehmigungsverfahrens eine Bürgerbeteiligung geben“, betont Preuß. Die politischen Parteien im Stadtbezirk machen sich mit dem Thema erst langsam vertraut. Klärschlammverwertung sei ökologisch sinnvoll, für Merkenich aber sei die Belastung zu groß, erklärte etwa Mattis Diederich, SPD-Stadtbezirksvorsitzender.

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