Seit elf Jahren scheitert die Sanierung des ältesten erhaltenen Bahnhofsgebäudes Deutschlands in Köln am Widerstand von Naturschützern.
Köln bekanntester BaumWarum der Kampf um die Platane am historischen Bahnhof Belvedere eskaliert ist

Eine Platane am Bahnhof Belvedere gefährdet das denkmalgeschützte Gebäude. Über die Frage, ob der Baum gefällt werden darf, streiten sich die Behörden. Der Baum wächst dicht am Gebäude, seine Wurzeln reichen bis unter das Bauwerk.
Copyright: Uwe Weiser
Jetzt ist als dritte Gewalt im Staat auch die Justiz im Spiel. In einem Eilbeschluss befand das Verwaltungsgericht (VG) Köln vor wenigen Tagen über das Schicksal des berühmtesten Baums von Köln: Die Platane am Bahnhof Belvedere in Müngersdorf bleibt vorläufig stehen. Ein abschließendes Urteil folgt. Bis der Fall das Gericht erreichte, hatten schon die Bezirksvertretung Lindenthal, das Liegenschafts- und das Umweltamt der Stadt Köln, der Umweltausschuss, der Stadtrat und der Landtag in Düsseldorf ein hoch komplexes Problem gewälzt: Darf ein Baum entfernt werden, der das älteste erhaltene Bahnhofsgebäude Deutschlands in seinem Bestand bedroht?
Inzwischen blickt das ganze Land auf den Kölner Platanenstreit – ein Lehrstück um Kompetenzgerangel, Verfahrensstreitigkeiten und ein Vorschriftenwirrwarr, in dem sich die verschiedenen Akteure mit ihren Ambitionen und Aversionen bis zur Bewegungsunfähigkeit verheddert haben.
Friedliche Symbiose von Natur und Kultur
Wie konnte es so weit kommen? Eigentlich war das Nebeneinander von Baum und Bau in Müngersdorf als friedliche Symbiose von Natur und Kultur gedacht. Als vor bald 200 Jahren die Rheinische Eisenbahngesellschaft den ersten Teilabschnitt ihrer Strecke von Köln über Aachen nach Antwerpen baut, versieht sie die Gemeinde Müngersdorf 1839 mit einem eigenen Bahnhof: In erhöhter Lage mit Blick auf Köln und das Siebengebirge entsteht der „Belvedere“, ein schmuckes klassizistisches Landhaus, eingebettet in einen Landschaftspark, gedacht zugleich als Ausflugslokal für die Menschen in der näheren und weiteren Umgebung.
Am Entwurf ist nach allem, was man weiß, der große preußische Architekt Karl Friedrich Schinkel (1781 bis 1841) in seiner letzten Schaffensphase beteiligt. Den Übergang zwischen Gebäude und Park bilden zwei Reihen von insgesamt zwölf Schirmplatanen – als natürliches Schattendach über der Terrasse des Bahnhofs.

Der ehemalige Bahnhof Belvedere in Köln-Müngersdorf
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1871 werden die Eisenbahnlinien verstaatlicht. Das Anwesen gelangt zunächst in den Besitz des Ortes Ehrenfeld. Nach dessen Eingemeindung fällt es 1888 an die Armenverwaltung der Stadt Köln, die den Bahnhof als Wohnhaus vermietet. Aus der Doppelreihe der Platanen werden Bäume gefällt, die anderen sich selbst überlassen. Der – eigentlich vorgesehene – regelmäßige Beschnitt der Baumkronen unterbleibt. So wachsen sie dem Bahnhof nach und nach über den Kopf, im Erdboden darunter macht sich das Wurzelwerk breit. Das Gebäude wird zuletzt von einem Künstler bewohnt, bis ein Totalausfall der Wasserversorgung ihn Anfang der 2002er Jahre vertreibt. Seitdem steht der Bahnhof leer.
Wurzelwerk verursacht irreparable Schäden
2010 gründet sich der „Förderkreis Bahnhof Belvedere“ mit dem Ziel, das einzigartige Baudenkmal zu sanieren und der Öffentlichkeit für kulturelle Veranstaltungen und Feste neu zugänglich zu machen. 2017 übernimmt der Förderkreis den Bahnhof von der Stadt in Erbpacht. Er sammelt Spenden, Fördergelder und Finanzierungszusagen von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, aus dem Denkmalförderprogramm NRW wie auch von der NRW-Stiftung und der LVR Museumsförderung – insgesamt 1,5 Millionen Euro.
Die Sanierungsarbeiten beginnen. Dabei stellt sich heraus, dass die am nächsten zum Bahnhof stehende, mittlerweile mehr als 30 Meter hohe Platane das Fundament komplett unterwurzelt hat. Statiker und Bauleiter sind sich einig, dass dies irreparable Schäden verursacht und keinesfalls geduldet werden kann. Für die Stadt Köln als Eigentümerin stellt das Liegenschaftsamt 2014 den Antrag, die zwei besonders dicht am Gebäude wachsenden Platanen zu fällen.

Eine Platane steht weniger als einen Meter vom Gebäude entfernt und soll gefällt werden, weil Wurzelwerk und herabfallende Äste den Bau gefährden.
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Doch nun schaltet sich der „Beirat der Unteren Naturschutzbehörde“ ein: Das Gremium widerspricht. Die Bäume seien Naturdenkmäler und stünden in einem Landschaftsschutzgebiet. Das Umweltamt verweigert die Fällgenehmigung. Die Fördergeber hingegen beharren auf der Fällung. Andernfalls würden die Gelder nicht ausgezahlt oder bei mangelnder Gewährleistung im Schadensfall zurückgefordert. „Für die NRW-Stiftung ist klar: Wir investieren nicht in eine Sanierung, wenn die Platane nicht verschwindet und die nachweisliche Gefährdung des Baus fortbesteht“, erklärt Barbara Schock-Werner. Die Ex-Dombaumeisterin setzt sich im Rheinischen Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz sowie als Vizepräsidentin der NRW-Stiftung seit langem für den Erhalt des Bahnhofs Belvedere ein.
Im sich verschärfenden Konflikt wird ein Gutachten angefordert. Für eine unabhängige Klärung wenden sich Denkmalschützer unter Beteiligung der ehemaligen Wissenschaftsministerin Anke Brunn (SPD) im Jahr 2020 zudem an den Petitionsausschuss des Landtags. Ortstermine finden statt. Ein weiteres Gutachten soll her. In einer Sitzung der Bezirksvertretung Lindenthal machte Bezirksvertreterin Marliese Berthmann (CDU) jüngst die Rechnung auf: „Mittlerweile hat der Kampf um den Erhalt einer Platane so viel Geld gekostet, dass man damit einen ganzen Wald hätte pflanzen können.“ Schock-Werner beziffert die Ausgaben auf mindestens 300.000 Euro – finanziert aus Steuergeldern. „Ich finde das unerträglich.“
Naturschutz-Beirat legt erneut ein Veto ein
Schließlich empfiehlt der Petitionsausschuss der Kölner Verwaltung, die Bäume zu fällen, und verbindet das mit einer klaren Ansage: „Der Ausschuss dringt mit Nachdruck darauf, dass die zuständigen Behörden schnellstens zu einem deutlich wohlwollenderen Auftreten gegenüber den Anstrengungen des Fördervereins gelangen.“ Es gehe auch um die Signalwirkung in alle Bereiche bürgerschaftlichen Engagements.
Wer nun glauben mag, der Petitionsausschuss des Landtags habe ein finales Machtwort gesprochen, hat nicht mit der Stadt Köln gerechnet: Zwar weist Oberbürgermeisterin Henriette Reker das Umweltamt an, die Fällgenehmigung zu erteilen. Doch der Naturschutz-Beirat legt erneut ein Veto ein. Wiederum verweigert das Umweltamt die Fällgenehmigung. Der Umweltausschuss des Rats schaltet sich ein und entscheidet, dass die dicht am Gebäude stehende Platane nun aber wirklich zu entfernen sei. Doch das Umweltamt bleibt eisern – und untätig. Die OB bereitet einen Ratsbeschluss zur Fällung vor – und wird jetzt von der Kölner Bezirksregierung zurückgepfiffen.
Wer hat die bessere Lobby? Wer ist der Stärkere?
Der Förderkreis, 2018 für sein Engagement mit dem Deutschen Preis für Denkmalschutz geehrt, zieht mit Denkmalschützern und weiteren Unterstützern – unter ihnen Schock-Werner, aber auch ehemalige Mitglieder des Naturschutzbeirats – mit einer Demo vor das Regierungspräsidium und gibt seinem Frust Ausdruck, dass eine aus der Form geratene „räudige Platane“ (Schock-Werner) die Sanierung des Bahnhofs verhindere.
Das Hauptproblem sieht die Ex-Dombaumeisterin in der Gleichrangigkeit von Denkmal- und Naturschutz. Das habe zu einem Machtkampf geführt, in dem beide Seiten die Priorität ihres Anliegens behaupten. Wer hat die bessere Lobby? Wer ist der Stärkere? „Dafür gibt es vordergründig keine Lösung, zumal dann nicht, wenn einzelne Protagonisten völlig uneinsichtig und kompromisslos agieren.“

Barbara Schock-Werner, Dombaumeisterin a.D. und Vizepräsidentin der NRW-Stiftung
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Aufseiten der Naturschützer hat Schock-Werner speziell den Vorsitzenden des Naturschutzbeirats, Harald von der Stein, als treibende Kraft ausgemacht. Auf einer privaten Webseite präsentiert sich „HvdS“ als „Bürger für Bäume“.
Er zitiert den Dichter Erich Fried: „Wenn wirklich gesorgt ist dafür,
daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen,
dann will ich einer sein von denen,
die dafür sorgen,
daß jene, die dafür sorgen,
daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen,
der Teufel holt.“
In eigenen „10 Thesen zum Baumschutz“ formuliert von der Stein als These 3: „Bäume sind in ihrer stadtbildprägenden Wirkung gleichzusetzen mit Architektur und Bauwerken.“ Und These 5 lautet: „Bäume erbringen den Beweis ihrer Standortgerechtigkeit selbst.“
Die Gerüchteküche brodelt
Mit einer solchen Haltung zur Platane am Bahnhof Belvedere sei ein Einvernehmen de facto ausgeschlossen, glaubt Schock-Werner. „Mit etwas gutem Willen hätte man sich sehr früh auf eine Ersatzpflanzung einigen können. Doch die Stimmen der Vernunft, etwa in Person von Bezirksbürgermeisterin Cornelia Weitekamp (Grüne), fanden partout kein Gehör. Umso mehr bewundere ich den langen Atem des Förderkreises, der auch nach elf Jahren vergeblicher Anstrengungen am Ziel festhält, den Bahnhof zu retten.“
Auf der Suche nach Gründen für den unnachgiebigen Kampf um das Überbleibsel eines Ensembles von Bäumen, von denen fünf längst still das Zeitliche gesegnet haben, führt der Weg auch in die Gerüchteküche. Im Veedel, heißt es dort, gebe es Leute mit besten Kontakten zum Naturschutzbeirat, die unter dem Deckmantel des Umweltschutzes persönliche Ziele verfolgten: Würde der sanierte Bahnhof zu einer Attraktion, gar zur Event-Location, nähme der Autoverkehr rasant zu – und um die Ruhe in den nahegelegenen exklusiven Wohnquartieren wäre es geschehen.
Frohe Kunde im Landtag
Im Dezember 2024, kurz vor Weihnachten, bringt der Vorsitzende des Petitionsausschusses, Serdar Yüksel (SPD), im Landtag frohe Kunde: Nach einem Gespräch mit der Bezirksregierung habe Regierungspräsident Thomas Wilk seine Weisung an OB Henriette Reker zurückgenommen. Die Platane dürfe jetzt gefällt werden. Die Genehmigung wird nunmehr erteilt – doch der Baum wieder nicht gefällt.
Denn jetzt tritt der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) auf den Plan – mit einer Klage vor dem Verwaltungsgericht Köln. Im Eilverfahren müsse die Platane sicherheitshalber unter Schutz gestellt werden. Erklärtermaßen geht es dabei ums Prinzip. Auf seiner Webseite schreibt der BUND, er kämpfe „nicht nur für diesen Baum, sondern auch, um zukünftige rechtliche Angriffe auf Umweltschutzrechte zu verhindern“. Von der entgegengesetzten Seite wiederum kommt es zu tätlichen Angriffen auf die Platane. Zweimal wird sie angesägt. Die Nerven liegen blank. Bei allen.
Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts Köln untersagt Fällung der Platane
Das Verwaltungsgericht führt in seinem Eilbeschluss vom 4. August 2025 aus, die Platane stehe im Landschaftsplan der Stadt. Das Fällen sei damit grundsätzlich verboten, eine Befreiung vom Verbot „voraussichtlich rechtswidrig, da kein überwiegendes öffentliches Interesse vorliegt“. In der Landesverfassung seien Natur- und Denkmalschutz gleichrangig. Und: Trotz zahlreicher Fachgutachten sei nicht belegt, dass die Platane tatsächlich die angenommene Gefahr für den Bahnhof darstelle.
Schock-Werner versteht diese Entscheidung nicht – und ärgert sich über die Stadt: „Wenn der Landschaftsplan das Problem ist, warum ist in elf langen Jahren niemand darauf gekommen, ihn zu ändern? Will man wirklich den endgültigen Verfall eines einzigartigen Zeugnisses der frühen Industrialisierung und der Verkehrserschließung im Rheinland riskieren – für einen Baum, der nach Gutachter-Auskunft ein flurfremdes Gewächs ist, als Singulär nicht schützenswert und womöglich in zehn Jahren so tot wie andere Platanen in der gleichen Reihe?“
Gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts ist Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht für NRW in Münster möglich. Nach einem Urteil im Hauptverfahren müsste das Gericht auch über eine Berufung entscheiden. Der Streit geht damit weiter. Ende offen. Und die Platane vom Bahnhof Belvedere? Sie hat das Zeug dazu, der bekannteste Baum Deutschlands zu werden – als Naturdenkmal für die Selbstblockade eines Landes.