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Geburtstag in EhrenfeldSenior-Chef des Restaurants Pöttgen wird 90

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Zwei Frauen und zwei Männer stehen und sitzen auf Barhockern im Gastraum einer Wirtschaft.

An der Theke ist Franz Josef Pöttgen (2.v.r) noch immer noch an jedem Vormittag anzutreffen. Die „vierte Genration“, vertreten durch Andrea und Wolfgang Pöttgen, aber auch Enkelin Anna Lettenbauer (v.l.) schätzt seinen Rat.

Franz Josef Pöttgen, der das gleichnamige Lokal mehrere Jahrzehnte führte, wurde am 11. 11. 90 Jahre alt. Seine Nachkommen wagen Neuerungen. 

Früher war mehr Schnaps, deutlich mehr. „Korn haben wir nur in 50-Liter-Behältern gekauft“, erzählt Franz Josef Pöttgen. „Da war an der Theke noch richtig viel los, sonntags beim Frühschoppen nach der Messe zum Beispiel. Aber das ist schon lange vorbei.“ Nur noch hin und wieder bestellten Gäste im Restaurant noch einen Edelbrand, einen Kräuterschnaps oder einen Aquavit. Und der Korn? „Habe ich sowieso nie getrunken. Den benutzen wir heute oft zum Brillenputzen, dafür ist der wirklich gut geeignet.“

Franz-Josef Pöttgen ist am Elften im Elften 90 Jahre alt geworden, gefeiert hat die Familie im Restaurant mit rund 40 Angehörigen. Einige waren aus München, Hamburg und New York angereist, der Karneval blieb draußen.

Frikadellen, Mettwürste und Muscheln waren früher die einzigen Gerichte

Das Geburtstagskind kann mit Fug und Recht behaupten, dass er die Geschicke des Hauses Pöttgen in gute Bahnen gelenkt hat. Im Jahre 1907 hatte der Hufschmied Johann Ehm, sein Großvater mütterlicherseits, die „Schenkwirtschaft“ im allerersten Haus an der Landmannstraße eröffnet. Die lag damals noch ganz am Rande des verhältnismäßig jungen Industriegebiets Ehrenfeld. Verglichen mit den alkoholischen Getränken hätten kulinarische Leckerbissen in den frühen Jahrzehnten aber eher eine untergeordnete Rolle gespielt, erzählt Franz Josef Pöttgen: Frikadellen, Mettwürste oder auch mal Muscheln – das war‘s schon.

Blick auf die Gastwirtschaft Johann Ehm, die heute Haus Pöttgen ist

Das historische Bild der „Schenkwirtschaft“ stammt aus den 1930er-Jahren. Im Eingang steht der Gründer Johann Ehm.

Daran änderte sich nach dem Zweiten Weltkrieg, als sein Vater Franz das Haus leitete, zunächst wenig. Man spezialisierte sich auf Tanzveranstaltungen, auch die in Bickendorf und Ossendorf stationierten belgischen Soldaten kehrten gern bei Pöttgens ein. Doch der Sohn des Chefs hatte Höheres im Sinn. „Ich wollte immer schon Koch werden, und habe dann eine Ausbildung begonnen, im Hotel Kölner Hof und im Dom-Hotel.“ Dort lernte er seine spätere Frau Elke kennen und zog zur Verfeinerung seiner Kochkünste erst einmal nach Hamburg um, in ihre Heimatstadt. Im Ratsweinkeller arbeitete der Ihrefelder Jung und auch im Hotel Atlantic. Da wohnte in den fünfziger Jahren zwar noch kein Udo Lindenberg, am Grill bediente Pöttgen dafür Hans Albers.

Franz Josef Pöttgen übernahm die Gastwirtschaft im Jahr 1968

In diesen Jahren lernte er auch die internationale Küche durchaus kennen und schätzen. Doch als Franz Josef Pöttgen 1968 die Gastwirtschaft in der Landmannstraße übernahm, setzte er ganz auf deftige Hausmannskost. „Angefangen haben wir mit Erbsensuppe mit Mettwurst oder Bockwurst, mit Linsensuppe und weißer Bohnensuppe“, erzählt er. „In den siebziger Jahren kamen Jäger- und Zigeunerschnitzel hinzu.“ Am Ende des Jahrzehnts stand außer Gerichten wie Sauerbraten oder Rinderroulade auch das erste vollständige Menü auf der Speisekarte - der Übergang von Kneipe zu   Restaurant vollzog sich ganz allmählich, behutsam.

Blick auf das Haus, in dessen Erdgeschoss das Traditionslokal Pöttgen ist

Das Restaurant Pöttgen in der Landmannstraße heute

Linsensuppe und Erbsensuppe sind bis heute auf der Speisekarte zu finden, denn Wolfgang Pöttgen, Sohn von Franz Josef und Elke Pöttgen und seit 1996 Chef im Haus, hält am kulinarischen Traditionalismus fest. „Das ist unser Alleinstellungsmerkmal“, sagt er, „wo sonst würde man heute noch saure Nierchen mit Kartoffelpüree bekommen?“ Aber Pasta- und Fischgerichte wurden ebenfalls längst in die Karte integriert, Froschschenkel und Weinbergschnecken ebenso, nach und nach versteht sich. Ein Konzept, das offensichtlich passt, denn ernsthafte Probleme hatte das Restaurant in all den Jahren eigentlich nur in der Corona-Zeit, wie Wolfgang Pöttgen berichtet: „Aber unsere Gäste haben uns sehr unterstützt damals, als wir uns mit dem Außer-Haus-Verkauf über Wasser gehalten haben.“

Und jetzt macht sich mit Anna Lettenbauer, Tochter von Wolfgang und Andrea Pöttgen, bereits die fünfte Generation im Familienbetrieb startklar. Die gelernte Köchin hilft mit aus, erledigt mit ihrer Mutter den Schreibkram und setzt eigene Akzente. Vereinzelte vegetarische Speisen – und sogar eine vegane - finden sich schon auf der Karte, und Anna Lettenbauer experimentiert gerade mit einem Blumenkohlschnitzel. Sie will aber generell den Kurs halten und schon gar nichts an der gemütlichen Atmosphäre im Restaurant ändern.

Online-Reservierungen bringen jüngere Gäste ins Restaurant Pöttgen

Doch die Zeiten ändern sich halt, da müsse man vorsichtig nachjustieren: „Wir reden mit unseren Gästen seit einiger Zeit auch über Gluten- oder Laktoseintoleranz und über individuelle Lösungen“, sagt sie. Außerdem hat sie nun ein Online-Reservierungssystem eingeführt. „Das bringt verstärkt jüngere Gäste ins Haus“, kommentiert Wolfgang Pöttgen die Neuerung anerkennend.

Mit dem Internet-Kram hat Franz Josef Pöttgen naturgemäß weniger zu tun. Obwohl: „Wenn wir im Auto sitzen liest er mir immer interessante Neuigkeiten aus der Tageszeitung vom I-Pad vor“, erzählt Anna Lettenbauer, die dreimal in der Woche morgens um neun mit ihrem Großvater zum Großhandel Möllers in der Liebigstraße oder zum Handelshof fährt, um Frischware einzukaufen. „Sein routinierter Blick ist kaum zu ersetzen.“