Meistgelesen 2022Warum viele Kölner Traditionsgeschäfte schließen

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Zilles Gummi Grün

Gerhard Zilles, Inhaber von Gummi Grün  

  • Als vor kurzem das Kölner Traditionsgeschäft Gummi Grün für immer die Türen schloss, war die Trauer groß.
  • Köln hat in den letzten Jahren einige alteingesessene Läden verloren.
  • Dieser Text ist zuerst am 11. Juli 2022 erschienen.

Gummi Grün war in Köln ein Begriff. Das Geschäft, das 1884 gegründet worden war, stand sogar als Attraktion in vielen Reiseführern. Doch mit dem kuriosen Sortiment von Gummistiefeln bis zu Dichtungen war einfach nicht mehr genug Geld zu verdienen. Im Juni schloss der Laden. Eine häufig gehörte Reaktion auf die Schließung: „Oh, wie schade, aber ich habe da vielleicht zweimal für ein paar Mark eingekauft.“

Anders war es bei Geflügel Brock an der Apostelnstraße, das 2017 nach 111 Jahren schloss. Das Geschäft lief blendend, nicht nur vor Feiertagen standen die Kunden Schlange vor dem schönen Laden und verließen sich auf die exzellenten Waren und Zubereitungsempfehlungen des Inhaber-Ehepaares. Doch das fand einfach keinen Nachfolger für die anspruchsvolle Aufgabe.

Ulrich S. Soénius, Direktor des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchivs, beobachtet die Veränderungen genau und hat von vielen Firmen, die aufgegeben haben, Dokumente gesichert. So war er auch bei Gummi Grün, um die letzten Fotodokumente und Akten zu holen. Er sagt: „Es gibt verschiedene Gründe, warum Geschäfte verschwinden: Entweder, das Produkt wird tatsächlich nicht mehr so viel gebraucht – zum Beispiel Öfen oder Tapeten.

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Es kann auch sein, dass ein Sortiment aus der Mode gekommen ist oder der Geschmack sich gewandelt hat. Oder es wurden wirtschaftliche Fehler gemacht. Oder es finden sich wie im Fall Geflügel Brock keine Nachfolger, obwohl der Laden gut läuft, aber sehr viel Know-how und Engagement fordert.“

Das Internet kann auch eine Chance für Einzelhandel sein

Die oft pauschal aufgestellte Behauptung, kleine Läden hätten gegen Ketten und das Internet keine Chance, stimme so nicht. „Die Abwanderung in den Online-Handel spielt ein Rolle, aber nicht die entscheidende. Für viele ist das Internet auch eine Chance, zum Bespiel für Antiquariate. Da müssen die Inhaber aber auch aktiv etwas tun. Man kann sich nicht auf der Tradition ausruhen. Man muss sich immer wieder neu erfinden.“

Manchmal fallen Geschäfte auch einfach der gesellschaftlichen Veränderung zum Opfer und können dagegen wenig tun. „Für bestimmte Geschäfte fehlt heute die Klientel. Etwa Läden, in denen früher der gutbürgerliche Mittelstand Kunde war, der nach Höherem strebte und sich feine Sachen kaufte, obwohl man nur in einer Drei-Zimmer-Wohnung wohnte. Einen solchen Luxusgedanken gibt es heute nicht mehr.“

Damit hatte wohl auch der Feinkostladen Hoss an der Oper zu kämpfen, der 2019 nach 120 Jahren schloss. Das Geschäft – Spezialität Waldorfsalat – wurde von Petra Hoss-Müller in vierter Generation geführt. Sie sah keine Perspektive mehr. Die jüngere Generation gehe lieber im Supermarkt einkaufen, die älteren Kunden würden weniger.

Silber Becker gab 2014 auf 

Silber Becker auf der Hohe Straße schloss 2014 nach 131 Jahren aus Altersgründen. Inhaberin Renate Becker (damals 73), die das „Haus für Tischkultur“ rund 50 Jahre geführt hatte, sagte damals, es sei der richtige Zeitpunkt gekommen. „Alles hat seine Zeit.“

Silber Becker führte Tafelsilber, handgearbeitetes Porzellan und hochwertige Gläser sowie Muranoglas. „Silber Becker war wunderbar. Da fühlte man sich ja wie in »Frühstück bei Tiffany«“, erinnert sich Ulrich S. Soénius, der selbst oft in dem Geschäft war. Doch jüngere Menschen kaufen eben nicht mehr wie die Großeltern und vielleicht noch die Eltern eine teure Ausstattung fürs Leben, sondern günstigere Ware, die man immer wieder je nach Mode austauschen kann.

Messing Müller konnte nicht bestehen

Auch das Sortiment von hochwertigen Haushaltswaren bei Messing Müller überzeugte nicht mehr. Nach 110 Jahren war 2016 Schluss. Auch eine Verkleinerung drei Jahre zuvor hatte keinen positiven Effekt gehabt.

Nicht bestehen konnten auch einige hochpreisige Schuh- und Bekleidungshäuser. Das Designer-Schuhhaus Herkenrath auf der Minoritenstraße meldete nach 142 Jahren Firmengeschichte 2015 Insolvenz an. Das benachbarte Modehaus Franz Sauer – gegründet 1842 – schloss 2016. Die Eigentümer hatten keinen Nachfolger für das auf hochpreisige Kleidung spezialisierte Geschäft gefunden. Firmeninhaber Franz Sauer schied altersbedingt aus.

Das Modehaus Jacobi an der Hohe Straße/Ecke Schildergasse machte 2017 nach 120 Jahren zu. Das Geschäft für Damenmode und Wäsche erstreckte sich auf 6300 Quadratmetern über fünf Etagen. Insbesondere der „digitale Wandel und der starke Preiswettbewerb im stationären Handel“ hätten zur Schließung geführt, außerdem die „nachlassende Kundenfrequenz für qualitativ hochwertige Mode“ in der Kölner Innenstadt, erklärte damals Georg Jacobi, der geschäftsführende Gesellschafter.

Ulrich S. Soénius sagt dazu: „Manchmal fehlen die Entwicklungschancen, zum Beispiel im Fall des Modehauses Jacobi. Das hatte mit nur einer Betriebsstätte im Preiskampf mit Ketten kaum eine Chance. Deshalb haben die Inhaber zum richtigen Zeitpunkt aufgehört, bevor es zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten kam.“

Inzwischen, so ist auch die einhellige Meinung von Maklern und Stadtmarketing, haben solche Riesenläden über mehrere Etagen ohnehin keine Chancen mehr. Das Geschäft werde im Erdgeschoss gemacht. In das ebenfalls mehrstöckige Ex-Haus von Franz Sauer zieht das Kölnische Stadtmuseum ein. 

Köln City steht gut da

Und so schade es auch ist, dass es den Laden kuriosen Gummi Grün nicht mehr gibt – in das Geschäft und seine Vermarktung war sehr lange nicht mehr investiert worden. Kunden und Freunde hatten den Inhaber immer wieder gefragt, ob er nicht mal etwas an der sehr rudimentären Einrichtung aufhübschen wolle – natürlich ohne den Charme zu zerstören.

„Wirtschaft zeichnet sich immer durch Wandel aus, das muss man akzeptieren“, meint Ulrich S. Soénius. Tradition kann nicht krampfhaft aufrecht erhalten werden. Trotz der Verluste an namhaften Geschäften sieht er die Entwicklung der Stadt durchaus positiv. Schließlich sind viele Traditionsnamen  immer noch da und es wachsen neue Läden nach – auch, wenn diese vielleicht nicht mehr hundert, sondern nur noch zehn Jahre bestehen werden.

„Die Kölner City ist im Vergleich zu Mittelstädten in einer guten Lage. Wir haben hier eine gute Zusammensetzung und eine hohe Passantenfrequenz, zu der auch die Touristen beitragen.“

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