„Gib’ mir mal die Hautfarbe“Kalker Grundschulkinder lernen, über Rassismus zu sprechen

Lesezeit 4 Minuten

Kalker Schüler lernen, über Rassismus zu sprechen. Die Lehrerinnen erklären, warum das nicht nur an der Brennpunktschule notwendig ist.

An einem Februarmittag sitzen Melanie Pickhardt und Linda von Cossart in einem leeren Klassenzimmer in Köln-Kalk. Durch die offenen Fenster sind die spielenden Grundschulkinder zu hören. Die Kinder werden in zwei Tagen den Raum mit Plakaten, Bildern und digitalen Büchern füllen. Denn anlässlich des Black History Month haben sie einen Projekttag mitgestaltet. Die Lehrerinnen erzählen, warum sie mit dem Projekttag schwarze Persönlichkeiten feiern wollen.

Wessen Hautfarbe ist „Hautfarbe“?

Pickhardts Schulkinder sollten einmal sich selbst malen. „Ich stand hinter zwei schwarzen Jungs, als der eine dem anderen sagte: Gib' mir mal die Hautfarbe. Er reichte ihm dann diesen babypinken Farbstift.“ Perplex fragte Pickhardt nach: „Wessen Hautfarbe soll das sein? Das ist nicht meine, nicht deine, nicht seine.“ Die „Hautfarbe“ existiere nicht nur in den Köpfen der Kinder, ergänzt ihre Kollegin: „So steht es auch in den Mäppchen und auf den Stiften.“

Ein andermal kam eine Schülerin bedrückt zu ihr. Sie meinte, die anderen Kinder wollten nicht mit ihr befreundet sein – wegen ihrer Hautfarbe. Erfahrungen wie diese veranlassten die beiden Sozialpädagoginnen dazu, das Projekt an der Grüneberg-Schule zu organisieren. Dazu sollten die Schülerinnen und Schüler große Persönlichkeiten vorstellen und dabei erfahren, wie diese aufgrund ihres Äußeren diskriminiert wurden. 

Auf einem bunten Poster steht das Grundgesetz in Handschrift geschrieben. Darüber und darunter steht „Black History Month“ geschrieben.

Das bunt gestaltete Grundgesetz erinnert an die Rechte aller Menschen.

Obwohl ein solcher Projekttag in jeder anderen Bildungseinrichtung Kölns sinnvoll wäre, sei eine Auseinandersetzung mit Rassismus an der Kalker Brennpunktschule besonders wichtig, sind sich die Pädagoginnen sicher. „Egal ob sie davon betroffen sind oder nicht, ist es ganz wichtig, früh mit den Kleinen ganz offen über Rassismus zu sprechen, damit sie gestärkt in die Welt hinausgehen können“, sagt Pickhardt.

Einige Lehrer reagierten zunächst skeptisch auf die Projekt-Idee. Sie hatten davor noch nie vom Black History Month gehört. Dennoch stimmte das Kollegium letztendlich einstimmig zu. Ein Vorbereitungskurs mit der Anti-Rassismus-Aktivistin half den Lehrerinnen und Lehrern zum Beispiel, ihren eigenen Sprachgebrauch zu hinterfragen. Mittlerweile stehen stünden alle „mit Feuer und Flamme“ hinter dem Projekt, so von Cossart.

Rassismus ist in NRW-Lehrplan Nebensache

Man müsse nur ehrlich mit den Kindern reden, meint Pickhardt: „Kinder kennen sehr wohl Rassismus, ob sie ihn selbst erleben müssen oder rassistische Verhaltensweisen von zuhause übernehmen.“ Daher sei es auch nicht richtig zu sagen, dass Kinder nicht rassistisch sein können.

Im neuen Lehrplan des Landes Nordrhein-Westfalen, der seit diesem Schuljahr gilt, spielt Rassismus nur eine nebensächliche Rolle. In den Fächern Praktische Philosophie und Religionslehre ist eine altersangemessene kritische Auseinandersetzung „vor dem Hintergrund unterschiedlicher Ausprägungen von Diskriminierung, Rassismus und Antisemitismus“ vorgesehen.

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, forderte zuletzt ein „Monitoring von Diskriminierung im schulischen Bereich sowie Fortbildungsangebote für Lehrkräfte und Schulen“.

Michelle Obama und Michael Jordan sind Thema in der Kalker Schule

In der Grüneberg-Schule ist der große Tag gekommen: Die Klassen stellen ihre Ergebnisse vor. Die Schülerinnen und Schüler laufen mit großen Augen durch das mittlerweile prall gefüllte Klassenzimmer. Von den Plakaten und Bildern blicken Berühmtheiten wie Michelle Obama, Martin Luther King und Michael Jordan auf sie herab. „Wessen Musik spielt da im Hintergrund?“, fragt von Cossart die Klasse. „Aretha Franklin“, ruft ein Junge und bekommt ein „High five“ von der stolzen Lehrerin.

Und wer war nochmal Rosa Parks? „Sie hat für die Schwarzen gekämpft, denn früher durften sie nur hinten im Bus sitzen und heute dürfen alle überall im Bus sitzen“, antwortet Marvin, was die Lehrerin sichtlich rührt.

Zahlreiche Bilder, Fotos und kleine Plakate erzählen die Geschichte der Bürgerrechtlerin Rosa Parks.

Die Klasse 1b stellte die US-amerikanische Bürgerrechtlerin Rosa Parks vor.

Von Cossart stellt immer wieder aufs Neue fest, dass man auch mit Grundschulkindern über Rassismus sprechen kann: „Kinder verstehen die Welt schon sehr viel besser, als wir denken. Denn sie haben ein Gefühl dafür, was fair und was unfair ist.“ Sie kennt keine sozialeren Schüler als die der Brennpunktschule. Auch deshalb sind die zwei Frauen stolz, hier Lehrerinnen zu sein. 

Im Rahmen des Projekttags haben Pickhardt und von Cossart für jede Klasse eine ganz große Palette von verschiedenen „Hautfarben“ besorgt. Jetzt können sie sich jederzeit die Farbe nehmen, die für ihre Hautfarbe passt.

KStA abonnieren