„Betrunkener Flamingo“ im Belgischen ViertelDer 11.11. in der Feuerwehr-Leitstelle

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In der Leitstelle der Feuerwehr Köln sitzen und stehen Disponenten an ihren Arbeitsplätzen.

Die Leitstelle am 11.11.

Der 11.11. ist für die Leitstelle der Feuerwehr die größte planbare Lage. Während in der Stadt Menschenmassen in Extase sind, herrscht hier im Auge des Sturms konzentrierte Ruhe. Ein Besuch vor Ort.

Um kurz vor elf, da ist die Session noch gar nicht ordnungsgemäß eingeläutet, braucht schon der erste Karnevalist Hilfe vom Rettungsdienst. In der Hochstadenstraße im Kwartier Latäng liegt jemand besoffen am Straßenrand. „Reduzierter Allgemeinzustand durch C2“ heißt das im Feuerwehr-Sprech. Der Rettungsdienst ist unterwegs. 

Als die Feiern in der Altstadt und im Kwartier Latäng 11.11. so langsam der Sessionseröffnung entgegensteuern, herrscht ein paar Kilometer weiter nördlich in der Leitstelle der Feuerwehr gespannte Ruhe. Sie haben sich auf einen heftigen Tag eingestellt, dem sie mit Konzentration und klarer Arbeitsverteilung begegnen wollen. „Die Vorzeichen sprechen für einen einsatzreichen 11.11. Das Wetter, der Wochentag, die lange Corona-Pause. Wir stellen uns auf das Schlimmste ein“, sagt Dienstgruppenleiter Stefan Sube. In der Leitstelle sei das Personal aufgestockt worden, zumindest bis zum späten Abend. „Jeder hat jeweils mehrstündige feste Sitzzeiten und Ruhephasen, die sie aber auch auf dem Gelände verbringen. Die Phasen überschneiden sich natürlich, um immer genug Disponentenplätze zu besetzen“, sagt Sube. „Sollte es in der Ruhephase eine Einsatzspitze geben, können wir die Kollegen alarmieren, sodass sie innerhalb von weniger als 60 Sekunden am Platz sind.“ Bis zu 18 Plätze sind gleichzeitig besetzt.

Erfahrungsgemäß haben wir am 11.11. zwei Spitzen. Eine am frühen Nachmittag und eine am Abend
Dienstgruppenleiter Stefan Sube

Schon am Vormittag liegen die Einsatzzahlen über dem Durchschnitt eines üblichen Freitags.  118 Einsätze seit 6 Uhr, 100 davon im Rettungsdienst. Um halb 12 der zweite Karnevals-Einsatz. Eine Banane mit Handverletzung. Erkennbarkeit der Patienten ist in dem Menschen-Gewimmel des 11.11. das oberste Gebot, damit die Rettungskräfte wissen, wo sie hinmüssen. „Am 11.11. stellen wir meistens fest, dass sich die Einsatzlage morgens in den Hotspots im Zülpicher Viertel und in der Altstadt konzentriert und abends, wenn die Menschen eher in die Kneipen gehen, sich das auch auf die Veedel verteilt“, sagt Leitstellen-Chef Alex Abels.

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Acht Unfallhilfestellen in Kölner Altstadt am 11.11.

Acht sogenannte Unfallhilfestellen in der Altstadt und sieben im Kwartier Latäng haben die Hilfsorganisationen aufgestellt, um direkt für die Feiernden ansprechbar und nah am Einsatzort zu sein. Fußtrupps sollen von dort ausschwärmen, um in Kneipen oder auf der Straße zu hilfsbedürftigen Menschen eilen sollen. Mit sichtgeschützten Tragen können Patienten dann zu den Unfallhilfestellen abtransportiert werden. Die Feuerwehr soll nach Möglichkeit nicht mit ihren Einsatzwagen in die vollen Straßen fahren müssen, sondern nur bei Bedarf die Unfallhilfestellen anfahren. Dieses Konzept wurde vom Münchener Oktoberfest übernommen.

Leitstellen-Chef Alex Abels steht in der Feuerwehr-Leitstelle

Leitstellen-Chef Alex Abels

Der Mittag auf der Leitstelle verläuft geordnet mit viel Tagesgeschäft abseits des Karnevals. Ein Verkehrsunfall auf der A3, ein Mann mit Kreislaufkollaps beim Sport, eine eingeschlossene Person in einem Aufzug der KVB. Aber dann: Ein betrunkener Flamingo im Brüsseler Viertel braucht einen Rettungswagen, eine Banane erbricht sich auf dem Zülpicher Platz. Am frühen Nachmittag kommen die Notrufe aus dem Kwartier Latäng im Minutentakt rein, dazu Notfälle aus der ganzen Stadt. Immer wieder fallen die Namen Zülpicher Straße, Kyffhäuserstraße, Moselstraße und Heinsbergstraße als Einsatzorte. Die meisten Patienten klagen über leichte Schnittverletzungen und Alkoholrausch. Eine Person ruft die 112, weil sie nicht mehr in die Sperrzone kommt. Der Anruf wird schnell beendet.

11.11. ist die größte planbare Lage für Kölner Feuerwehr

„Erfahrungsgemäß haben wir am 11.11. zwei Spitzen“, sagt Sube. „Die eine beginnt am frühen Nachmittag, wenn diejenigen, die morgens mit dem Trinken anfangen, langsam zu viel Alkohol haben. Der zweite Peak kommt üblicherweise abends, wenn diejenigen dazukommen, die tagsüber arbeiten mussten und erst später anfangen.“ Neben Silvester und Weiberfastnacht ist der Sessionsauftakt die größte planbare Lage für die Kölner Feuerwehr.

Dazu kommen plötzliche Ereignisse wie Unfälle und Überflutungen, in denen auch die Leitstelle an ihre Grenzen kommt. „In absoluten Spitzen sind wir in der Mangelverwaltung, in der wir einfach nicht jeden Notruf sofort annehmen können. Zum Beispiel bei großen Sturmlagen wie am 14. Juli 2021. Wir tun in solchen Fällen alles, um die Situation in den Griff zu bekommen – zum Beispiel die Abfrage kürzer halten – aber das lässt sich leider nicht komplett vermeiden“, sagt Abels. Die Notrufbearbeitung sei aber das höchste Gut. „Und wir sagen immer ‚Wer arbeitet, kann nicht führen‘, also entweder nimmt jemand Notrufe entgegen, oder koordiniert einen Einsatz im Hintergrund, ordert zum Beispiel Kräfte nach. Aber beides geht eben nicht.“

In einer Großlage könnten schon mal 100 Notrufe gleichzeitig in der Leitung sein. „Es gibt Kollegen, die das als Chaosphase bezeichnen. Ich nenne es lieber den Beginn einer Ordnungsphase“, sagt Abels. „Wenn wir zehn Sekunden für die innere Organisation aufwenden, haben wir manchmal gewonnen, dass die Aufgaben für die nächste zehn Minuten verteilt sind. Das sind für die Leitstelle die entscheidenden zehn Minuten, nach denen wir zumindest schon mal alle Kräfte auf der Straße haben.“

Ein Disponent sitzt an seinem Arbeitsplatz in der Feuerwehr-Leitstelle

Ein Disponent sitzt an seinem Arbeitsplatz

An diesem 11.11. bleibt die Atmosphäre in der Leitstelle konzentriert. Kein Geschunkel, keine Karnevalsmusik, kein Kölsch. Dem Sturm, der draußen herrscht, den Menschenmassen von der Zülpicher Straße, werden hier die maximale Ruhe und Ordnung entgegengesetzt. Hier im Auge des Wirbelsturms entstehen die Wimmelbilder aus der Stadt nur im Kopf, zusammengefügt aus allen Anrufen und Schilderungen.

Am Nachmittag beruhigt sich die Lage auf niedrigem Level. Immer wieder gibt es auch kurze Phasen ohne jeden Notruf aus der ganzen Stadt. Dann am Abend braucht ein Kleinkind dringend Hilfe. Es sind Sekunden voller Anspannung in der Leitstelle, denn das Leben des Kindes steht auf dem Spiel. Der Disponent hilft schließlich per Telefonreanimation, den Jungen zurück ins Leben zu bringen. Als klar ist, dass die Reanimation erfolgreich sein wird, ist die Erleichterung groß.

Gegen Abend werden noch weitere betrunkene, hilflose Personen von den Karnevals-Hotspots gemeldet. Ein umgefallener Cowboy auf den Ringen, ein verletzter Handwerker in der Altstadt, eine bewusstlose Person in der U-Bahn am Ebertplatz. Bis 18 Uhr meldet die Feuerwehr 553 Einsätze, davon 480 im Rettungsdienst. Die Hilfsorganisationen halfen bis dahin in der Altstadt 99 Menschen, im Kwartier Latäng 215.

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