Schnittchensitzung in NippesJecke Kämpferinnen gegen Klischees und braune Politik

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Sandy (Tizia Wortmann) und Zucker (Eva Samrotzki) in der Wanne. Eine Hommage an Loriot.

Sehr clever und manchmal ziemlich böse, so tanzen und singen die Schnittchen im zwölften Jahr durch die fünfte Jahreszeit. Die Sitzung des lesbischen Karnevalsensembles unter dem Motto „Ein Scheibchen mehr bitte!“ ist eine Ode an die Freiheit und an die Liebe.

Elfie, Finchen, Hedwig, Helga, Hilde, Jennifer und Luise nehmen im Altenberger Hof die Kirche aufs Korn und neu auferstandene Alphamännchen. Sie sprechen über den Klimawandel und braune Politik in Thüringen. Die Gruppe trifft den Zeitgeist auf den Punkt und ihre Kritik an Geschlechterklischees und Patriarchat geht weit über leere Frauenpower-Bekundungen hinaus. Karneval kann echt schlau sein.

„Braunkohl nach Art Halle“ schmeckt dem Publikum nicht

Die Welt ist aus den Fugen geraten. Brittany Badweather (Valerie Jacob) fühlt sich von ihrer Gattin Brusselia von Europ eingeengt. Nach 47 Jahren Ehe will sie die Scheidung. Die letzten Hoffnungen ruhen auf den Schultern von Theresa May, die als Vermittlerin herangezogen wird. Und jetzt noch der Megxit. Auch in der Beziehung von Sandy (Tizia Wortmann) und Zucker (Eva Samrotzki) kriselt es.

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Die Damen, die wie einst Müller-Lüdenscheid und Dr. Klöbner bei Loriot in der Badewanne sitzen, haben Probleme: Energiesparlampen zerstören die Romantik und der Fleischentzug schlägt aufs Gemüt. „Ich hab so Bock auf ein argentinisches T-Bone Steak“, gibt Zucker zu. Essen ist an diesem Abend ohnehin ein heikles Thema. Außer Schnittchen servieren die Damen „Braunkohl nach Art Halle“ und „Couscous Allah Charlie Hebdo“. Dazu reichen die Köchinnen Hertha von der Scholle (Klara Koolen) und Michelle Hat’nradab (Charla Drops) „fanatisierende Glaubeeren, Schlägersahne und eine Portion Antisemitismus“. Dem Publikum mundet es nicht. Kurzerhand landen Braunkohl und Couscous in der Tonne.

Heilige Maria verbrüdert sich mit Sünderinnen

Doch es gibt Hoffnung, und – wie könnte es anders sein – sie ist kölscher Natur. Die Bläck Fööss-Nummer „Du bes die Stadt“ singt Linda Laukamp und alle Liebenden im Saal liegen sich in den Armen. Die Silberzwiebeln sorgen dieses Jahr für eine neue musikalische Farbe. Die Band, benannt nach der „Aphrodite des Partygemüses“, löst die Martinas als Hausband ab. Wenn sie Schlagzeug, Violine, E-Cello, Gitarre und Querflöte auspacken, dann klingt das professionell und oft wunderschön. „Marie, du bist e Kölsch Mädsche und dat is bunt und frei“, singt Brigitte Alsbach auf die Melodie von Cindy Laupers „True Colours“. Eine Hymne an alle Kölschen Funkemariechen.

Bunt und frei, davon ist die katholische Kirche noch weit entfernt, prangert die heilige Maria (Valerie Jacob) auf der Bühne ihren eigenen Verein an. Es brauche ein Upgrade des antiquierten Frauenbildes. „Maria 2.0“ hat keine Lust mehr auf dienen, schweigen und ihre Rolle als Mutter eines berühmten Sohnes. „Dass Frauen nur brav und sittsam sind geht uns auf den heiligen Geist. Aloha statt Amen“, fordert die Heilige. Und verbrüdert sich mit den Sünderinnen Eva (Tizia Wortmann) und Maria Magdalena (Charla Drops). „Wir bauen Druck auf, bis unser Papst Franziska heißt“, singen die drei, unterstützt von den Trommlerinnen der Band Queerelas.

Kritischer und schlauer Karneval auf hohem Niveau

Die Schnittchen spielen in ihren Nummern auf komplexe Strukturen an und verwenden manches Vokabular, das nicht für jeden und jede ganz einfach zugänglich ist. Vielleicht deshalb springt nicht bei allen Stücken der Funke über. Immer dann, wenn das Ensemble energisch und in einfacher Sprache die Gleichberechtigung fordern, sitzt die Botschaft und der Saal steht. Das Lachen bleibt einem, wie es eine Besucherin formuliert, „manchmal im Halse stecken“.

Die Abenteuer des „feministischen Raumschiffs“ gehen noch vier ausverkaufte Sitzungen weiter und wehren sich weiter unerschrocken gegen patriarchale Gegenwehr. Bis die Mission erfüllt ist, sind Träume von attraktiven Damen am Ehrenfeldgürtel und Liebesgesänge an Kölle ausdrücklich erlaubt. Denn „met Kölle un Jeföhl es dat Lävve schön“.

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