Redaktion zieht Karnevals-BilanzViele KGs haben den Generationswechsel verschlafen

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Rosenmontag in Köln

Rosenmontag in Köln

Köln – Die Session plätscherte so vor sich hin, es gab keine großen Ausreißer. Da ist bezeichnend, dass der Zwischenfall beim Auftritt von Bernd Stelter in der TV-Aufzeichnung der Fernsehsitzung zu einem Eklat und sogar bundesweit zu einem Riesenthema aufgebauscht wurde. Das Dreigestirn lief in der langen Session mit Besuchen beim Papst in Rom bei der Stunksitzung locker durch, wobei sich vor allem Jungfrau Catherina (Michael Everwand) bei den Jecken Sympathiepunkte sicherte – in den Sälen wie op d’r Stroß.

Die Bandbreite an Jecken wir immer größer

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Norbert Ramme

Mit dem Motto „Uns Sproch es Heimat“ hat das Festkomitee einen regelrechten Volltreffer. Noch nie wurde bei den Karnevalisten so viel über Sprache – und hier nicht nur die kölsche –, über Redner und die Vielfalt von Heimat gesprochen. Ein Thema das nachhaltig bleiben wird. Und das ist gut und richtig so.

Auch dem Anspruch „Karneval für alle“ kommt man Jahr für Jahr näher. Es gab eine Vielzahl von Veranstaltungen für Kinder – besonders hervorzuheben ist die Reihe „Pänz Große Pause“ mit Auftritten von Bands und Kinderdreigestirn in Schulen – und für Senioren. Auch Menschen mit Handicap schunkelten begeistert mit – in Rollstuhl oder mit Rollator, bei Spezialveranstaltungen für Blinde oder bei Sitzungen, die von Gebärdendolmetschern übersetzt wurden. Mehr und mehr feiern auch Männer und Frauen mit Migrationshintergrund mit – die Kinder ja sowieso über die Schulen.

Vereinzelt sieht man diese in einigen Traditionskorps und Tanzgruppen sowie in den Musikkapellen. Auffällig viele waren – sichtlich mit Spaß an dem Geschehen um sie herum am Rosenmontag im Einsatz – als Wagenengel, Sicherheitskräfte oder Kamellejunge. Damit trägt der Fastelovend ja auch irgendwie zur Integration bei.

Noch nie war die Bandbreite an jecken Veranstaltungen so groß wie in dieser Session. Vom Redner-Frühschoppen fast ohne Musik bis hin zu reinen Party-Sitzungen mit einer Aneinanderreihung von bis zu zwölf kölschen Bands war alles dabei. „Opas Karneval“ ist noch lange nicht tot – er steckt nur in einem anderen Anzug. Denn die Fastelovends-Traditionalisten werden ausreichend mit Nostalgie- und Brauhaussitzungen bedient. Und da ist die Nachfrage steigend.

Wie bei vielen Gesellschaften, aber halt nicht bei allen. Denn bei manchen Sitzungen blieb selbst der Gürzenich zu einem Drittel oder gar zur Hälfte leer. Da hat man den Generationswechsel verschlafen oder operiert in der Außenwirkung am Geschmack des Publikums vorbei. Da muss sich manche KG ganz gewaltig hinterfragen. Aber vielleicht gibt es ja auch zu viele Gesellschaften.

Definitiv gibt es zu viele Tanzgruppen. Denn die werden immer weniger gebucht und müssen oftmals bis tief in die Eifel oder ins Ruhrgebiet reisen, um überhaupt auftreten zu können. Da macht es gar keinen Sinn, dass sich einige KGs noch Tanzgarden aus dem Umland in ihr Mitgliederverzeichnis und mit in den Zoch holen. Dafür gibt es genug Tänzerinnen und Tänzer in Kölle. (NR)

Das neue Motto bietet Chancen

„Et Hätz schleiht em Veedel“ – das Motto für die kommende Session ist gut gewählt, hat es doch  eine politische Dimension. Es steht  für eine Dezentralisierung des Karnevals in Köln, für ein Weg vom (oft nicht mehr kontrollierbaren) Gigantismus der Partys auf den Straßen der Innenstadt. Und es steht vor allem für den Respekt gegenüber all jenen, die ihre Freizeit, oft ihr ganzes Leben, dem Karneval und der Brauchtumspflege widmen. Ursprünglich, selbst gemacht, integrierend, generationsübergreifend –   Karneval im Veedel steht im besten Sinne für Heimat und Gemeinschaft.

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Stefan Worring

Das Motto könnte zwar den neuen Zugleiter Holger Kirsch vor einige Probleme bei der Umsetzung (inter)nationaler Themen im Rosenmontagszug stellen, ist aber eine Chance für die sonntäglichen Veedelszöch. Die Veedelsvereine  waren oft schön,  fielen aber bei  stadtpolitischen Themen gegenüber den Schullzöch   deutlich ab – man hat ein Jahr Zeit, das zu ändern. (stef)

Männerdomäne bröckelt

Ist der Karneval noch immer eine Männerdomäne? Ja, aber eine, die stark bröckelt. Die jecken Frauen werden immer selbstbewusster. Winken und Wirken reicht ihnen nicht mehr. „Agrippinas Töchter“ wollen mehr.  Unter diesem Namen starten die vier Damengesellschaften Colombina Colonia, Schmuckstückchen, De Kölsche Madämcher und die 1. Damengarde Coeln in der Session 2020 ein neues Format. Sie  bündeln ihre Kräfte und möchten Programme von Frauen für Frauen anbieten.

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Monika Salchert

Der Plan zum Auftakt klingt vielversprechend: Bei der ersten Mädchensitzung Mitte Januar 2020 lassen sie Männer im Hintergrund arbeiten – im Elferrat sitzen dann die Präsidenten der Traditionsgesellschaften. Das Projekt ist eine  richtig gute Idee. Gemeinsam werden die Frauen im Karneval  sicht- und hörbarer. Und wer weiß, welche Türen sich demnächst noch öffnen. Vielleicht sehen wir schon bald das erste weibliche Dreigestirn. (mos)

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