Streit der Woche zum Kölner Karneval„Männer, wir sind nicht eure Fummel-Mariechen!”

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Symbolfoto

Ob Engelchen oder Teufelchen – Frauen wollen im Karneval Spaß haben. Wenn da nur nicht die betrunkenen, grapschenden Männer wären, schreibt unsere Autorin.

  • Peter Berger, 60, ist Chefreporter und liebt den Kölner Karneval im Kleinen. Die handgemachten Sitzungen, die Jecke in der U-Bahn, das Wühlen in Kostümkisten. Er argumentiert hier, warum ein Leben ohne Karneval zwar möglich, aber sinnlos ist.
  • Claudia Lehnen, 41, Ressortleiterin NRW/Wochenende, hatte einen Kölner Großvater, der sein Leben im fränkischen Exil verbringen musste und dort die gesamte Familie mit jeckem Frohsinn infizierte. Heute sagt sie: Karneval, mir reicht's!
  • Unser Streit der Woche.

Köln – Mit der Prinzenproklamation tritt der Kölner Karneval in seine Hochphase ein. Bis Aschermittwoch befindet sich die Stadt im heiter-beduselten Ausnahmezustand. Ein Grund zur Freude?

Pro: Ein Leben ohne Karneval ist möglich, aber sinnlos

von Peter Berger

Es sind wahrlich bedauernswerte Geschöpfe, die im Fastelovend nicht wenigstens ein paar Tage in Kölle verbringen können. In der Stadt, die den Karneval atmet, aufsaugt, mit Liebesbezeugungen überschüttet. In der es selbst dem Januar manchmal zu bunt wird. Bei all den Farbtupfern im Alltagsgrau, mit kitschigen Clowns hinter Fensterscheiben, beschwipsten Berlinern in Bäckereien, Gardisten in jeder Straßenbahn und Funken, die sich vor ihren Quartieren unter den Resten der Weihnachtsbeleuchtung für den Auftritt parat machen.

Fastelovend in Kölle. Jetzt, genau jetzt ist die schönste Zeit. Die Zeit, in der sich Kostümkisten aus ihren Keller-Verliesen befreien, Wurfmaterial für pittoreske Nachbarschaftszüge gesammelt, genäht, geklebt, getackert wird. Es ist die Hoch-Zeit der Sicherheitsnadel und der Heißklebepistole. Und der Änderungsschneiderei, der Notaufnahme für verzweifelte Narren, die sich bei ihrer Kostümwahl entweder zu viel oder gar nichts vorgenommen haben.

Die Zeit, in der sich alles vorbereitet auf fröhliche Abende irgendwo im Veedel. Mit der decke Trumm. Mit dem Pastor in der Bütt. Mit der Kekebus, den Stunkern, den Imis, den Lappen, den Flüsterern. Meine Sitzung, deine Sitzung, jeder Jeck hat seine Sitzung. Loss mer singe! Jeckespill!

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Es ist die Zeit der Reisebusse, die aus Köln gar nicht mehr rauskommen und aus denen Kapellen, Tanzmariechen mit ihren Offizieren vor großen und kleinen Sälen Abend für Abend auf die Straße kippen. In der das Dreigestirn den Sternsingern begegnet und nichts leichter ist, als einzutauchen in diesen brodelnden Kessel Buntes, von dem keiner weiß, wer ihn dieses Mal wieder angerührt hat. Was aber auch keinen interessiert. Hauptsache die Suppe reicht bis Aschermittwoch.

Und wenn der Rest der Welt an Wieverfastelovend noh Kölle kütt, ist der wahre Jeck zwar schon deutlich ermattet, stürzt sich dennoch mit Vorfreude aufgetankt in sein Pflichtprogramm.

Er kratzt seinen Resturlaub zusammen, breitet das Matratzenlager aus, füllt den Kühlschrank, um wenigstens einigen jener bedauernswerten Geschöpfe, die sonst niemals erfahren würden, wie es sich anfühlt, auf dem rheinischen Planeten zu leben, mit Brauchtum zu infizieren. Auf dem Höhepunkt der Session.

Das ist seine Bestimmung. Er lässt sie in seiner Karnevalskiste – seinem Allerheiligsten – wühlen und ist überglücklich, weil deren Inhalt wie durch ein Wunder wie immer für alle reicht. Es braucht nur einen Abend in der Kneipe oder beim Nachbarschaftszoch im Veedel, und schon tanzen die frisch infizierten Jecken von allein, fliegen durch die Nacht, als habe man sie in die Freiheit entlassen.

Und wenn am Dienstag der Nubbel brennt, ziehen sie hinaus zurück in ihre Welten, um diese mit ihren Liebesbezeugungen von Kölle zu überschütten. Das ist für ihn der Beweis: Am Aschermittwoch ist nicht alles vorbei, und Köln bleibt der Mittelpunkt des Universums. Ein Leben ohne Karneval mag vielleicht möglich sein. Aber es wäre sinnlos.

Contra: Karneval, mir reicht's!

von Claudia Lehnen

Der Karneval hatte seine Chance. Nicht eine. Gefühlt hunderte. Aber irgendwann muss man auch mal konsequent sein. Mit uns ist es vorbei. Ein für alle Mal. Das liegt nicht an der Idee selbst. Denn die ist auf den ersten Blick ja sehr charmant. Auch für eine Wahlkölnerin, die eigentlich aus Franken kommt. Einmal im Jahr Hierarchien einreißen, Vorschriften eine Pappnase verpassen, Hemmungen überschminken und mit den Nachbarn aus dem Veedel den letzten Rest an Seriosität mit einem Fässchen Kölsch hinunterspülen. Und dann einfach mal über die Stränge schlagen, ohne spießig an die Kopfschmerzen des nächsten Tages zu denken. Zusammenreißen kann man sich auch im März oder Oktober wieder. Carpe diem, Alaaf, wir leben nur einmal.

Ich habe mich viele Jahre lang redlich bemüht. Habe Kostüme geschneidert, Sitzungen besucht, stand schwanger am Rosenmontag morgens um sieben an der Zugstrecke, schunkelte mich durch Kneipen, soff Kölsch in Mengen, ich war schon an Weiberfastnacht vor der Arbeit als Krokodil beim Zahnarzt, um später im Büro nicht die unverkleidete Spaßbremse zu sein, ich schminkte meine Kinder, suchte die Große verzweifelt donnerstags im Getümmel auf der Zülpicher, lernte das „Trömmelchen“ ebenso auswendig wie „In unserm Veedel“, ließ mich ungefragt bützen – und alles fürs Brauchtum.

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Der Kater dauerte von Jahr zu Jahr länger. Das liegt banalerweise auch an den Getränken. Denn: Nüchtern ist Karneval in Köln nicht zu ertragen. Wer an Weiberfastnacht erst um zwanzig Uhr rausgeht, weil vorher kein Babysitter konnte, der prallt schon in der ersten Kneipe mit null Promille ungebremst in eine Wand aus lallenden, nach Bier und Kotze stinkenden Brunfthirschen. Übergriffige Blicke, abwertende Anmachsprüche, grapschende Hände. Das mag ungehemmt sein, aber von Erotik ist es ungefähr so weit entfernt wie das Platzen eines Luftballons von Beethovens fünfter Symphonie. Wer solche Bilder im Kopf hat und eine Teenager-Tochter zu Hause, kann die von jetzt bis Aschermittwoch eigentlich nicht mehr aus den Augen lassen. Sechzehn Sexualdelikte wurden in Köln 2019 allein an Weiberfastnacht zur Anzeige gebracht. Aber es wird natürlich auch geprügelt (141 Anzeigen wegen Körperverletzung), geraubt (9), gestohlen (74) und verwüstet (19 Sachbeschädigungen), und wer an Weiberfastnacht in der Innenstadt tagsüber mit seinem Kleinkind unterwegs ist, kommt nicht umhin, auf Menschen zu treffen, die vor aller Augen auf die Straße kacken. Schön ist das alles nun wirklich nicht.

Schon gar nicht dann, wenn man kein Mann ist. Frauen gegenüber benimmt sich der Kölner Karneval ähnlich gering schätzend wie die katholische Kirche. Einmol Prinz zo sin, en Kölle am Rhing? Ist für Frauen tatsächlich auch 2020 noch verboten. Auch nach einer halben Flasche Kabänes fällt mir da vor Empörung die Pappnase aus dem Gesicht. Zum Vergleich: Wir haben seit 15 Jahren eine Kanzlerin, Frauen dürfen in Deutschland Astronautin werden und Kranführerin. Wer in der Stellenausschreibung das „-in“ vergisst, muss Strafe zahlen. Aber jeckes Oberhaupt für eine Session – das ist für Frauen natürlich zu hoch. Mir reicht’s. Wir sind doch nicht bloß eure Fummel-Mariechen!

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