Kinder mit Angelman-SyndromDiagnose der Krankheit meist vor drittem Geburtstag

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Paula (4) hat das Angelman-Syndrom 

  • Christine Makowski leitet das Angelman-Zentrum an der München Klinik in Schwabing.
  • Sie hofft auf einen Durchbruch bei der Therapie des Angelman-Syndroms in den kommenden fünf Jahren.
  • Die schwerst behinderten Kinder könnten dann sprechen lernen.
  • Klinische Studien am Menschen sind gerade gestartet.

Köln – Das Angelman-Syndrom wird oft relativ spät erkannt, dabei haben die Betroffenen schwerste Einschränkungen. Woran liegt die späte Diagnose?  Im ersten Lebensjahr sind die Kinder meistens nicht sehr auffällig. Sie lächeln sehr früh, was von den Eltern meist als gutes Zeichen wahrgenommen wird. Es gibt eher subtile frühe Hinweise: Das frühe Lächeln ist nicht fixiert, die Babys lächeln ohne zu gucken. Viele Babys saugen nicht gut und schlafen schlecht.

Wenn die Gehirnströme mit einem EEG gemessen werden, sind die Amplituden bei Babys relativ normal, später schlagen sie deutlich weiter aus. Die typischen Veränderungen bei Angelman-Kindern sieht man im Alter von ein bis eineinhalb Jahren, einige schon früher.

Die meisten Kinder haben epileptische Anfälle

Die Kleinkinder fangen nicht an zu brabbeln, es dauert viel länger, bis sie sitzen und krabbeln können…

… dann gehen die Eltern zum Arzt und der verschreibt meist erstmal Physiotherapie, bis auffällt, dass das wenig hilft. Auffällig ist auch, dass die Kinder Worte nicht nachsprechen – die meisten Betroffenen lernen nicht sprechen. Zudem leiden die meisten Kinder an epileptischen Anfällen. Diagnostiziert wird die Krankheit in der Regel vor dem dritten Geburtstag.

Wie viele Menschen sind in Deutschland betroffen?

Schätzungen zufolge rund 5000.

Was verursacht die Erkrankung?

Ein Teilstück des 15. Chromosoms der Mutter fehlt entweder oder es ist beschädigt und kann nicht abgelesen werden. Für die Körperzellen ist das kein Problem, da übernimmt das väterliche Chromosom die Aufgaben, für die Nervenzellen funktioniert das so nicht: da ist das väterliche Chromosom, das die gleichen Informationen wie das der Mutter enthält, durch einen Prozess, den wir Imprinting nennen, stillgelegt. Man kann sich das wie ein fehlendes Puzzleteil vorstellen: Die Information, um das Protein des männlichen Chromosoms abzulesen, ist blockiert.

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Christine Makowski

Chromosom kann reaktiviert werden

Das Protein des männlichen Chromosoms kann aber theoretisch reaktiviert werden?

Ja, und zwar auf verschiedenen Wegen: Ein Zytostatikum kann gegeben werden, ist aber sehr toxisch. Die Idee ist es, dass das väterliche Gen gegengelesen wird durch ein Puzzlestück, das von außen mittels RNA zugeführt wird.

Gibt es mit der Methode schon Erfahrungen?

Bei der spinalen Muskelatrophie wird die Methode schon erfolgreich benutzt. So kann die Muskelschwäche gut bekämpft werden. Beim Angelman-Syndrom gibt es vielversprechende Ansätze.

Klinische Studien mit Kindern haben begonnen. Wann könnte es einen Durchbruch geben?

Es gibt große Hoffnungen. In den nächsten fünf Jahren wird sich das wohl entscheiden. Es gibt jetzt das erste Mal die Möglichkeit, die Krankheit ursächlich zu behandeln. Es braucht dafür eine Lumbalpunktion, das Medikament muss die Blut-Hirn-Schranke überwinden, es muss zum Kleinhirn und ins Großhirn. Das ist kompliziert. Drei Pharmafirmen führen derzeit klinische Studien durch. Über Langzeitwirkungen ist noch wenig bekannt, die therapeutischen Erfolge könnten allerdings groß sein.

Kinder könnten sprechen lernen

Könnten Kinder mit reaktiviertem väterlichen Chromosom sprechen lernen?

Ja. Es gibt Kinder mit Restfunktionen des Enzyms, die einzelne Wörter sprechen können. Wenn der väterliche Teil des Chromosoms aktiviert wird, wird die Sprachfähigkeit deutlich verbessert und auch die Motorik. Und wenn die Kommunikation der Betroffenen besser funktioniert, können auch sekundäre Phänomene wie Verhaltensstörungen besser behandelt werden. Ein großes Problem ist bislang, dass die Kinder sich fast gar nicht verständlich machen können. Sprache und Motorik könnten durch die Therapie so verbessert werden, dass die Kinder und ihre Familien enorm an Lebensqualität gewinnen.

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Die betroffenen Kinder lächeln sehr viel. Sind sie auch besonders glücklich?

Eher nicht. Weil sie viel lachen, sind sie einfach sehr liebenswert und erhalten auch viel positives Feedback. Es kommt aber auch zu Lachanfällen, aus denen die Kinder manchmal kaum herausfinden. 

Dr. Christine Makowski leitet den Schwerpunkt Neuropädiatrie an der München Klinik Schwabing. Dort gibt es ein Zentrum für Kinder mit Angelman-Syndrom.

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