Momentaufnahme90 Minuten in Kölner Friseursalon – „Nächstes Jahr knutschen wir uns“

Nach wochenlanger Pause dürfen die Kunden wieder zum Friseur – ein Besuch im Salon „Hair Creativ“.
Copyright: Martina Goyert
- Hinsetzen, Leute beobachten, Geschichten entdecken. Fotografin Martina Goyert und Autor Uli Kreikebaum hören außerdem zu und fragen nach, schreiben auf. 90 Minuten, irgendwo in Köln.
- Aus einem anonymen Stadtbild werden Geschichten. Das ist die Idee hinter der preisgekrönten Serie „Momentaufnahme“.
- Dieses Mal haben wir den Friseursalon „Hair Creativ“ besucht. Nach wochenlanger Corona-Pause sind die Kunden zurück – eine besondere Situation.
Köln – 13 Uhr Eine alte Frau trippelt in Zeitlupe aus dem Friseursalon Hair Creativ an der Iltisstraße, Friseurmeisterin Jolly Becker hat drei Minuten, um zu rauchen und zu reden. „Die alten Menschen wollen alle sofort einen Termin, seit wir wieder aufhaben“, sagt sie, „das verstehe ich, aber um manche hat man etwas Sorge, zum Beispiel um eine 84-jährige Stammkundin, die jede Woche mit dem Rollator zum Föhnen kommt. Sie sagte aber gleich: Ich habe den Krieg überlebt, Schätzchen! Was kommt, das kommt.“
Jolly Becker sagt, sie sei froh, wieder arbeiten zu können. „Die Masken sind beklemmend, man bekommt weniger Luft, aber der Mensch gewöhnt sich an alles.“ Kundin Nicole Altindagoglu ist froh, dass die Farbe in ihren Haaransätzen für 45 Minuten einwirken muss – „ich finde schon zwei Stunden am Stück mit Mundschutz viel“. Auf Shoppen, Kino, Restaurant oder anderen Konsum zu verzichten, sei ihr in den vergangenen Wochen „überraschend leicht gefallen“.

Nicole Altindagoglu war überrascht, dass der Verzicht auf die meisten Dinge leicht gefallen sei, „Spielplätze, shoppen, Kino, kein Problem. Nur auf die Schule zu verzichten, fällt sehr schwer“.
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13.09 Uhr Die Maskenpflicht im Friseursalon ist nur eine von vielen ungewohnten Pflichten: Kunden und Angestellte müssen beim Eintreten die Hände desinfizieren, Getränkeausgabe, Rasuren und Augenbrauenbehandlungen sind nicht erlaubt, Händeschütteln und Umarmen tabu, Plätze, Tische und Plexiglasscheiben zwischen den Plätzen werden nach jedem Kunden desinfiziert. „Man muss immer wieder darauf achten, dass jeder alles richtig macht“, sagt Enzo Barbanti. „Ich selbst auch. Aber es geht. Jeder nimmt Rücksicht.“

Mitinhaber Enzo Brabanti föhnt Sandra Le Bihan die Haare. Die Maske stört ihn nicht, dass er seine Stammkunden nicht umarmen darf, schon. „Nächstes Jahr knutschen wir uns richtig!“
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13.14 Uhr Barbanti ist Mitinhaber des Salons, der eine zweite Filiale in Deutz hat. Über die zurückliegenden Wochen will er nicht jammern, „es gibt Millionen Menschen, denen es gerade schlecht geht.“ Sorgen gemacht habe er sich um seine Angestellten, das Kurzarbeitergeld sei für Friseure eben wenig. Nun steht eine Spendenbox vor dem Tresen, versehen mit einem dezenten Hinweis, dass die Schließung des Salons ein Loch in den Etat gerissen habe. „Ich hoffe, ich kann meinen Angestellten zumindest einen ganz kleinen Teil der Ausfälle zurückzahlen.“
13.30 Uhr Seltsam sei es, die Bekannten unter den Kunden nicht mehr in den Arm zu nehmen, sagt Barbanti, derweil er der Stammkundin Sandra Le Bihan die Haare föhnt. „Nächstes Jahr umarmen wir uns wieder“, sagt sie. „Dann knutschen wir uns richtig“, sagt Enzo und lacht.

Stammkundin Sandra Le Bihan war wegen der Corona-Krise drei Monate nicht im Salon. „Ein Besuch beim Friseur macht klar, wie groß die Veränderung gerade ist“, sagt sie.
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13.32 Uhr Sie sei froh, wieder relativ normal leben zu dürfen, sagt Sandra Le Bihan. Am schwersten falle es ihr, zu Hause alles unter einen Hut zu kriegen. „Ich habe den Anspruch, gute Mutter, gute Lehrerin und Arbeitnehmerin zu sein, aber das geht nicht immer“. Andererseits fühle sie sich privilegiert: Als Familie hätten sie keine finanziellen Sorgen, „und wir durften in den vergangenen Wochen relativ viel: Verwandte von mir in Paris leben in einer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung und durften bis zuletzt kaum raus“. Weniger Konsum, weniger Freiheit, weniger Nähe zu anderen Menschen – es ist erstaunlich, wie viele von uns sich in der Krise schnell daran gewöhnt haben. Manche halten das für ein gutes Zeichen, manche für ein schlechtes.
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13.34 Uhr Gegenüber von Sandra Le Bihan sitzt Barbara Kramer. „Es ist ungewöhnlich, mit Maske hier zu sitzen, aber es ist in Ordnung. Ich habe mich im Internet informiert über die neuen Regeln hier“, sagt sie, „es ist beruhigend zu wissen, dass alles für die Sicherheit getan wird.“

„Es ist beruhigend zu wissen, dass hier alles für die Hygiene und die Sicherheit der Kunden getan wird“, sagt Stammkundin Barbara Kramer. In sechs Wochen kommt sie wieder – „hoffentlich“.
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13.36 Uhr Azubi Emilio de Luna wischt Tische und Stühle mit Desinfektionsmittel ab, bevor er die nächste Waschmaschine anstellt – sie läuft durchgehend – und nach Geschäftsschluss weiter: Die Angestellten dürfen den Salon nicht in Dienstkleidung verlassen – Hemden, T-Shirts, Socken und Hosen müssen bei 60 Grad gewaschen werden.

Azubi Emilio De Luna trägt einen Termin ein. „Ein paar Kunden sind ängstlich, aber die meisten freuen sich“, sagt er. „Durch die Masken versteht man sich leider nicht so gut.“
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13.48 Uhr Sandra Le Bihan studiert auf einem Tablet ein unveröffentlichtes Skript einer Freundin, zu Hause lese sie gerade das Buch „Würde“ von Gerald Hüther: „Vor Corona geschrieben, aber aktuell. Wir haben in den vergangenen Wochen sehr viel über Medizin, aber weniger über Menschenwürde gesprochen.“
14.01 Uhr Zu einem würdevollen Dasein gehört unbestritten gepflegtes Haar – damit war es naturgemäß in den vergangenen sechs Wochen schwierig. „Katastrophe, wie einige aussahen!“, sagt bei einer kurzen Nikotinpause draußen Friseurmeisterin Joanna Brymm, die außer Mundschutz im Salon auch ein Visier aus Plexiglas trägt. Angst bei der Arbeit habe sie nicht, sagt Brymm, „abends kommen manchmal ein paar Gedanken, aber ich glaube, unser Risiko ist überschaubar.“

Friseurmeisterin Joanna Brymm trägt Maske und Visier – „die Maske für unsere Kunden, das Visier zu meinem Schutz“. Angst? Habe sie nicht. „Nur nach der Arbeit kommen ab und zu ein paar Gedanken.“
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14.15 Uhr Barbara Kramer macht einen neuen Termin aus, in sechs Wochen will sie wieder kommen. „Ich denke, dass ist auch für den Salon gut, um planen zu können“, sagt sie. „Sofern man denn gerade planen kann.“
14.30 Uhr Sabine Brock und ihre Freundin Nicole Trebinger treffen sich regelmäßig im Salon an der Iltisstraße. Sie haben eine ähnliche Haarfarbe, ähnliche Frisuren, ihr Teint ist ähnlich, man würde sich nicht wundern, wenn es auch ihr Männergeschmack wäre. Wegen Corona haben sie sich drei Monate nicht gesehen, jetzt begegnen sie sich mit Mundschutz hinter einer Plexiglasscheibe und versuchen, zu reden. „Ist das komisch“, sagt Brock und lüftet kurz die Maske. Nach ein paar Sätzen steht Trebinger auf und sagt, sie müsse kurz raus. Wenig später kehrt sie mit einer Plastiktüte zurück, in der sich eine Flasche Sekt abzeichnet. „Ist schlimm genug alles im Moment“, sagt sie. „Alkohol ist zum Glück noch erlaubt!“