„Du Jude“ als SchimpfwortDiskussion um Antisemitismus an Kölner Schulen

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Juden und Muslime diskutierten in der Kölner Synagoge

Köln – Jung ist die Hoffnung, alt ist die Angst. Die Alten treibt die Sorge um, dass Ressentiments gegen Juden und Muslime zunehmen. Begründeterweise: Fremdenfeindliche und antisemitische Straftaten haben im vergangenen Jahr um knapp 20 Prozent zugenommen. Auf Schulhöfen wird „Du Jude“ seit Jahren als Schimpfwort benutzt. Die Narrative gleichen sich: Juden gelten als Opfer, Muslime als islamistisch. Unter Jugendlichen wird das so weitergegeben, aber auch in manchen Schulbüchern.

Warum ist das so? Und was lässt sich dagegen tun? Der Zentralrat der Juden hat das jüdisch-muslimische Dialogprojekt Schalom Aleikum aufgelegt, um sich näherzukommen und Antworten zu finden – „Es geht um einen kleinen Beitrag zum gesellschaftlichen Frieden“, sagt Abraham Lehrer, Vorstand der Kölner Synagogengemeinde und Vizepräsident des Zentralrats der Juden, vor einem Gespräch über Antisemitismus in Schulen am Montagabend in der Synagoge an der Roonstraße.

Antisemitismus an Kölner Schulen: Nicht immer offener Hass

Der „interreligiöse Dialog funktioniert zwischen Juden und Muslimen noch nicht so, wie wir uns das wünschen würden“, sagt Lehrer. „Und es gibt viel zu viele Fälle von Antisemitismus und Islamophobie.“ Auf dem Podium sitzen zwei Lehrerinnen mit jüdischem und zwei Lehrer mit muslimischem Hintergrund. Moderator Joachim Frank, Chefkorrespondent des „Kölner Stadt-Anzeiger“, erläutert eingangs eine gängige Definition von Antisemitismus: „Eine Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann.“ Mascha Kogan, Lehrerin an einer Neusser Gesamtschule, greift das zu kurz: „Die alltäglichen Schimpfworte fehlen da“, sagt sie. Antisemitismus bedeute nicht immer offenen Hass.

Kogans Einschätzung passt zur ersten These des Abends: Lehrerinnen und Lehrer nehmen bisweilen keinen Antisemitismus wahr, weil sie nicht wirklich wissen, was darunter zu verstehen ist. „Antisemitismus erkennt man nicht wie eine Prügelei, es ist eine innere Einstellung“, sagt Rachel Polonskij, Lehrerin an einem Mönchengladbacher Gymnasium. „Es stimmt schon, dass viele Lehrer nicht wissen, was unter Antisemitismus zu verstehen ist.“

Antisemitismus in Köln: Es gibt verschiedene Formen

„Man muss verschiedene Formen von Antisemitismus unterscheiden“, gibt Mouhcine El Amraoui, Lehrer am Stadtgymnasium Porz, zu bedenken. „Wenn jemand sagt, ich habe nichts gegen Juden, aber gegen den Staat Israel, kann das auf eine Haltung der Muslimbrüderschaft zurückzuführen sein, wenn jemand Menschen lobt, die Juden bekämpft haben, könnte es sich um salafistischen oder neonazistischen Antisemitismus handeln.“

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Die wenigsten Lehrer seien in der Lage, das zu differenzieren. „Ich glaube, dass eine Leitlinie zum Umgang mit Antisemitismus fehlt“, sagt Mutlu Yolasan, ebenfalls Lehrer an einer Neusser Gesamtschule. Die Wurzeln für Antisemitismus und Islamophobie lägen oft im familiären Umfeld. „Aber natürlich sind auch die Schulen in der Verantwortung.“

Bekämpfung von Antisemitismus beginnt im Elternhaus

Die zweite These des Abends ist unstrittig: Die Bekämpfung von Antisemitismus beginnt im Elternhaus und in der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler. „Sind Schüler über gemeinsame Diskriminierungserfahrungen erreichbar?“, fragt Moderator Frank. „Gemeinsamkeiten zu suchen ist ein Ansatz. Es kann auch dich treffen – das lässt viele Schüler nachdenken“, glaubt Yolasan. Rachel Polonskij erzählt die Geschichte von einem im Unterricht hinter ihrem Rücken gezeigten Hitlergruß, von dem sie erst erfahren habe, als die Schüler den Vorfall mit ihrer Klassenlehrerin besprochen hatten. „Um Antisemitismus zu bekämpfen, müssen auch Nicht-Juden Initiative zeigen. Das hat in diesem Fall geklappt.“

Fast jeder im Publikum hat eigene Erfahrungen mit Antisemitismus oder Rassismus gemacht. Schüler, Lehrer, Vertreter von Verbänden und Initiativen. „Es braucht speziell ausgebildete Diskriminierungsexperten an Schulen, und zwar nicht nur zu den Themen Mobbing und Rassismus, sondern auch zum Antisemitismus“, findet Shira Rademacher, Lehrerin für jüdische Religionslehre. Ein junger Muslim sagt, es brauche „einfach gegenseitigen Respekt, damit wäre schon viel gewonnen“, und schlägt „einen Raum der Stille für interreligiösen Dialog in Schulen“ vor. Manfred Levy, Mitarbeiter des jüdischen Museums in Frankfurt, verweist darauf, dass Juden in vielen Schulbüchern lediglich als Opfer und Verfolgte dargestellt würden. „Verschwörungsmythen prägen die Vorstellungen.“ Levy warnt davor, die Gefahr von Antisemitismus unter Geflüchteten zu überhöhen: „Bei ihnen lässt sich der Antisemitismus in der Regel schnell dekonstruieren“, das zeige sich in der Bildungsarbeit.

Antisemitismus: Enorme Wirkmacht von Social Media

Eren Güvercin von der Alhambra-Gesellschaft erinnert an die „enorme Wirkmacht von Social Media. Websites wie jene der »Generation Islam« haben eine höhere Reichweite als alle islamischen Verbände zusammen. Sie greifen immer wieder Stereotype und Vorurteile auf. Dem muss auch in den sozialen Medien etwas entgegengesetzt werden.“

Einig sind sich fast alle an diesem Abend in der Synagoge, dass der Weg weit ist zu einer ersehnten Normalität, in der die religiöse Zugehörigkeit eher am Rande interessiert und Synagogen nicht hermetisch überwacht werden müssen. Vielleicht weiter denn je. Und, dass man sich nur mit Gesprächen, Zivilcourage und Respekt dieser Normalität nähern kann. Nicht nur bei öffentlichen Diskussionen, immer und überall.

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