Köln früher und heuteAls der Dellbrücker SC dem 1.FC Köln Konkurrenz machte

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Die Fans des SC Dellbrück schauten die Spiele von den Dächern von Autos und sogar einem Kirchendach aus.

Köln-Dellbrück – Es ist ein winziger Fußweg an der Bergisch Gladbacher Straße, an dem der große Dellbrücker Nachkriegs-Mythos für einen Augenblick weiterlebt. Eine Tafel mit einem alten Foto entführt in eine Zeit, in der der Fußball noch nicht viel mit Geld zu tun hatte und bekannte Spieler in der Dorfkneipe nebenan ihr Bierchen tranken.

Kölner Nachkriegszeit: Verein aus Dellbrück spielt um Meisterschaft

Auf dem Foto sind Kicker in schwarz-weiß-gestreiften Trikots auf einem Aschenplatz zu sehen, der sich an dieser Stelle mal befunden hat. Im Hintergrund drängen sich die Zuschauer vor der Christuskirche und vom Krieg zerstörten Häusern. Unter dem Foto ist der Name des Vereins zu lesen, der ältere Dellbrücker noch immer in nostalgische Stimmung versetzt: „SC Preußen Dellbrück, Halbfinalist der deutschen Meisterschaft 1950“.

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Der Kölner Verein machte in der Nachkriegszeit sogar dem 1. FC Köln Konkurrenz.

„Et Höffge“ nannten die Dellbrücker die Heimspielstätte der „Preußen“, auf der sich heute ein Wohngebiet ausbreitet. Übersetzt heißt das so viel wie „kleiner Hof“. Das trifft es ganz gut, denn natürlich war die Fläche an der Ecke Heidestraße/Bergisch Gladbacher Straße klein, oft viel zu klein für all die Fans, die in den 1940er und 1950er Jahren Jean Paffrath, Willi Schlömer, Karl Habets oder Fritz Herkenrath spielen sehen wollten.

SC Dellbrück: Anwohner guckten das Spiel vom Kirchendach aus

8.000 Menschen fanden offiziell Platz, nicht selten kamen 10.000, wenn die erste Mannschaft gegen Schalke 04, Rot-Weiß Oberhausen oder Borussia Dortmund antrat. Die Dellbrücker spielten, zumindest zeitweilig, in der Oberliga West. Besser ging es damals nicht, die Bundesliga war noch nicht erfunden. Und selbst einem gewissen 1. FC Köln konnten sie Paroli bieten.

„Et Höffge“ allerdings war kein gepflegtes Stadion, sondern ein ständig abgelaufener Rasenplatz. Drumherum standen die Anhänger dicht gedrängt auf einfachen Erdhügeln. Bei besonderem Andrang stiegen sie auch auf die Dächer der benachbarten Häuser oder sogar auf den Turm der Christuskirche. „Das war unheimlich“, sagt Willi Hölzgen aus Dellbrück, der damals kaum ein Spiel verpasste.

Auch ein berühmter Kölner Schriftsteller spielte mit

Mit dabei war auch Jürgen Becker. Als Jugendlicher legte er sich regelmäßig in das Fenster im ersten Stock der Wirtschaft seiner Tante an der Hagedornstraße. Von dort konnte er beobachten, wie ein kleiner Kölner Vorort vor Selbstbewusstsein nur so strotzte. Die Spieler seien, begleitet von halb Dellbrück, in einer Art Triumphzug von ihrem Vereinslokal auf das Spielfeld gezogen.

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Heute befindet sich an der Gladbacher Straße eine Wohnsiedlung.

„Die Bergisch Gladbacher Straße war schwarz vor Menschen, die auf den Preußen-Platz strömten“, sagt der 89-jährige Schriftsteller, der die Namen der Spieler noch heute auswendig kennt. Heinz Schlömer, ein überragender Mittelläufer, wurde auch der Mann „mit dem Dynamit in den Beinen“ genannt.

Fritz Herkenrath: Aus Köln in die Nationalmannschaft

Jean Paffrath sei ein legendärer Mittelläufer gewesen. Und dann war da natürlich noch Torhüter Fritz Herkenrath, der es später sogar in die Nationalmannschaft von Trainer Sepp Herberger brachte. „Fritz Herkenrath war damals unser Idol“, sagt Jürgen Becker.

Willi Hölzgen nennt Herkenrath einen puren Glücksfall für den Verein: „Das war ein Naturtalent“, sagt der 88-Jährige, der von 1948 bis 1951 in der Jugendmannschaft des SC Preußen Dellbrück spielte: „Damit begann die große Zeit der Preußen.“ Schon vor dem Zweiten Weltkrieg sei die Jugendmannschaft des 1912 gegründeten SC überragend gewesen, danach hätten viele als Seniorenspieler weiter gemacht und ein großes Team geformt, das aber offenbar nicht allzu elegant spielte.

Dellbrücker Verein brachte dem Veedel viel Prestige

„Die Preußen waren eine Kampfmannschaft und ein paar Jahre lang kamen sie damit durch“, sagt Jürgen Becker. Wobei es mitunter skurril zuging auf dem Platz: Fritz Herkenrath setzte seine Landser-Mütze auch im Tor nicht ab. Und nicht nur die Gegner hielten ihn dort in Atem, wie Jürgen Becker zu berichten weiß. Auf die Frage, welche Schüsse er am meisten fürchte, soll Herkenrath geantwortet haben: „Die Ballrückgaben von Heinz Schlömer.“

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Von dem legendären Fußballplatz ist nichts mehr zu sehen.

Und dennoch: Dass es diese Mannschaft so weit brachte und damals sogar den 1. FC Köln überflügelte, gehört noch heute zu den großen Erzählungen des Stadtteils. „Ohne die Preußen würde Dellbrück kein Mensch kennen“, sagt „Kölner Stadt-Anzeiger“-Sportfotograf Uli Herhaus, der zwei Ausstellungen über die Mannschaft organisierte: „Dellbrück war Fußballmekka, und die Spieler wohnten hier, die hatten einen Bezug zum Vorort.“ Entsprechend fieberte der Ort mit. Wenn ein Tor für die Preußen fiel, läutete der Pfarrer die Glocken.

Kölner Verein: Fanandrang sorgt für neue S-Bahn Haltestelle

Vor allem die Saison 1950 hätte die Preußen unsterblich machen können. Als Zweitplatzierte der Oberliga West schaffte es das Team von Trainer Karl Winkler in die Endrunde zur gesamtdeutschen Meisterschaft, was dem 1. FC Köln nicht gelang. Als die Preußen am 4. Juni 1950 im Frankfurter Stadion gegen VfR Mannheim zum Viertelfinale antraten, waren 10.000 Kölner Fans in Bussen und Sonderzügen angereist. „Der Dellbrücker Hauptbahnhof hatte zur Regelung des Verkehrs einen Lautsprecher und über 20 Mann zusätzliches Personal anfordern müssen“, schrieb eine Zeitung.

Für Fans aus Holweide und Höhenhaus hatte der Verein in Holweide eigens Rampen hergestellt, damit auch dort Züge halten konnten (seitdem gibt es die S-Bahn-Haltestelle Holweide). Nach dem 2:1-Sieg kam es in Dellbrück zu spontanen Jubelfeiern. „Wä jetz noch ens säht, mer wäre Boore vun dr schäl Sick, dä kritt se gezopp“, soll ein Polizist aus Dellbrück gesagt haben.

Historischer Sieg: „Sensation aller Sensationen“

In der Presse war von einer „Sensation aller Sensationen“ zu lesen. Weil die erste Halbfinal-Begegnung mit Kickers Offenbach torlos endete, musste ein Entscheidungsspiel angesetzt werden, das in Oberhausen stattfand. Von 45.000 Zuschauern kamen 13.000 aus Köln. Hier zerplatzte der Traum, die Dellbrücker verloren. Trotzdem: Es war der Höhepunkt der Vereinsgeschichte.

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Dass es danach bergab ging, führt Willi Hölzgen vor allem auf die „Sportplatzfrage“ zurück. „Et Höffge“ musste 1952 der Erweiterung der benachbarten Kaserne Moorslede weichen. Heimspiele wurden fortan in der Riehler Radrennbahn und im weit entfernten Müngersdorfer Stadion ausgetragen. Die Entfernung ließ die Zuschauerzahlen aus dem Rechtsrheinischen schrumpfen, außerdem brachten Mietzahlungen für das Stadion den Verein in finanzielle Bedrängnis.

Zentraler Spieler wechselte zum FC Köln – Schlag für den Verein

In der Spielzeit 51/52 wechselte dann auch noch Fritz Herkenrath zum 1. FC Köln. Das Geld wurde wichtiger im Fußball. „Wenn in Dellbrück was Gutes heranwuchs, dann haben die anderen Vereine die genommen“, sagt Willi Hölzgen. In diesem Spiel habe Preußen Dellbrück nicht mithalten können. 1957 fusionierte der Verein mit dem SC Rapid Köln zum SC Viktoria Köln 04. Was blieb, ist eine große Gedenktafel an der Bergisch Gladbacher Straße und ein kleines Schild im Innenhof des Wohngebiets. Darauf steht: „Fußballspielen verboten.“

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