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„Ohne Quälerei geht das nicht“Günter Czerwinski läuft mit 81 Jahren den Köln-Marathon

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Günter Czerwinski Marathon Köln

In seiner Altersklasse wird der Kölner in jedem Fall gewinnen. Er muss nur ankommen. Und das ist bei seiner Erfahrung sehr wahrscheinlich.

Über die Frage, was es braucht, um mit 81 Jahren fröhlich und unbeschwert beim Köln-Marathon an den Start zu gehen – und zwar über die volle Distanz von 42,195 Kilometern – braucht Günter Czerwinski nicht lange nachzudenken. Je älter er wird, desto häufiger wird sie ihm gestellt. Das geht jetzt schon ein paar Jahre so. Und der Respekt, der dabei mitklingt, nimmt zu. Mit jedem Lebensjahr.

Gute Gene, für die er nichts könne, wie er entschuldigend hinzufügt. „Die habe ich von meinen Vorfahren“, sagt er. „Mit anderen Worten, ich habe nichts von dem, was andere Leute in meinem Alter normalerweise haben. Keine Probleme am Fuß, am Knie, an der Hüfte oder im Rücken.“

Das hat nicht jeder – und das ist sicherlich beneidenswert. Aber von dieser Glückspilzsorte Mensch dürfte es in Köln nicht nur den einen Gerd Czerwinski geben. Sondern viele andere. Die Statistik weist für das Jahr 2024 aus, dass 5,9 Prozent der Kölnerinnen und Kölner über 80 sind. Das entspricht etwa 64.300 Personen.

Fünfeinhalb Stunden bis zum Dom

Wie viele davon männlich sind, weist sie nicht aus, aber nur einer von ihnen wird am Sonntag um 10.30 Uhr auf dem Ottoplatz an den Start gehen - und seine Altersklasse schon gewonnen haben, bevor es losgeht. Günter Czerwinski muss bloß ankommen. Am Dom. Und das wird er. Vermutlich nach knapp fünfeinhalb Stunden. Wie 2024 – da stand im Ziel eine 5:26:29 auf seiner Uhr.

Was den Marathon angeht, zählt der Kölner, der für den ASV startet, beileibe nicht zu den Spezialisten. Weil die 42 Kilometer nicht seine Lieblingsdisziplin sind. „Ich habe damals nur damit angefangen, weil es in Köln einen neuen Marathon gab. Als Kölner muss man den doch gelaufen sein.“ Das war im Oktober 1997 und Czerwinski nach knapp dreieinhalb Stunden im Ziel am Dom. Mit knapp über 50 eine respektable Zeit, aber nicht für ihn.

Manchmal antwortet er auf die Frage, wie er zum Langstreckenläufer wurde, glaube er fest daran, dass ihm das in die Wiege gelegt worden sei. Und zwar wörtlich. „In der zweiten Hälfte meines ersten Lebensjahres hat mich meine Mutter in Oberschlesien in einem Kinderwagen gepackt und auf der Flucht bis nach Köln transportiert. Von Anfang Januar bis Mai 1945 waren wir unterwegs – zu ihren Eltern. Ich habe den Eindruck, dass da mein unstillbares Verlangen entstanden ist, mich zu bewegen. Ich wollte diese vier Monate nachholen, die ich im Kinderwagen gelegen habe. Womöglich laufe ich deshalb immer noch. Schon in der Schule, bei Vergleichskämpfen, damals habe ich immer die 1000 Meter genommen. Mehr nicht. Die 400-Meter-Stadionrunde war mein Freund.“

Mit dem Hermannslauf hat alles angefangen

Mit dem Laufen, das habe sich einfach alles immer irgendwie ergeben. Auch wenn in der Lebensmitte viele Jahre die Familie im Vordergrund stand. „Meine Frau, die Kinder, das Haus, die Arbeit. Ich war als Anwalt und Notar tätig, meine Frau ist Ärztin. Da war das Laufen weniger wichtig.“

Mit Mitte 40 habe ihm sein langjähriger Freund vom traditionsreichen Hermannslauf erzählt. 31,1 Kilometer durch den Teutoburger Wald – von Detmold nach Bielefeld. „Der hat so geschwärmt und mir gesagt, dass ich das nächste Mal mitkommen muss. Das habe ich getan. Seither ist der Hermann einer meiner Lieblingsläufe.“

So zieht ein Läuferleben dahin – bis Anfang 50. Da hat das begonnen, was Günter Czerwinski als „intensives Training“ bezeichnet. Zunächst sei es darum gegangen, bessere Zeiten zu erzielen. 38 Minuten auf zehn Kilometer. Die 15 Kilometer beim Kölner Brückenlauf, den Halbmarathon. So richtig zufrieden hat ihn das alles nicht gemacht. „Ich habe gemerkt: Für mein Alter bin ich auf diesen Strecken einfach zu langsam. Und habe mich deshalb für die längeren Strecken interessiert.“

100 Kilometer durch die Nacht von Biel

Länger – das sind in Czerwinskis Fall 100 Kilometer. Einer der bedeutendsten Ultramarathonläufe weltweit, der alljährlich im Rahmen der Bieler Lauftage in der Schweiz stattfindet und Sportler aus aller Welt anzieht, gehört dazu. Er ist bekannt für seine anspruchsvolle Strecke, auf der es 485 Höhenmeter zu überwinden gilt und wird immer an einem Freitagabend gestartet.

„Dann läuft man die ganze Nacht durch, sieht so gegen vier Uhr den Mond untergehen. In leuchtendem Orange. Und eine Stunde später geht im Osten in der gleichen Farbe die Sonne auf. Das sind Erlebnisse, die kann man sich nur gönnen, wenn man sich dann auch mal nachts auf den Weg macht, anstatt ins Bett zu gehen.“

Ohne Quälerei geht das nicht. Dann aber gibt es unterwegs auch immer wieder dieses unbeschreibliche Hochgefühl
Günter Czerwinski (81), Marathonläufer

Czerwinskis Begeisterung über Biel ist auch nach mehr als 20 Teilnahmen ungebrochen. Auch in diesem Jahr war er wieder dabei. Da sei es aber schrecklich gewesen, regnerisch und kalt. „Es hat von Anfang an geschüttet. Der Boden war weich und matschig. Es wurde immer kälter. Ich wäre fast erfroren. Ich konnte mir nicht mal mehr selbst die Hose zumachen.“ Knapp 18 Stunden habe er gebraucht und müsse deshalb nächstes Jahr noch einmal wiederkommen. Mit so einem Resultat wolle er sich nicht aus Biel verabschieden.

Und warum das Ganze? Mit 81? Weil es besonders schön ist, nach langen Läufen ins Ziel zu kommen, lautet die Antwort. „Du weißt von vornherein: Ohne Quälerei geht das nicht. Dann aber gibt es unterwegs auch immer wieder dieses unbeschreibliche Hochgefühl. Das möchte man auch nicht missen.“

Ob sich das am Sonntag auch einstellen wird, weiß Czerwinski noch nicht. Nur eines weiß er: dass Köln sein letzter Marathon sein wird. Obwohl, das haben schon viele gesagt. Schließlich steht der letzte Hunderter in Biel 2026 auch noch ins Haus.

„Bewegen ist Leben, das ist mein Sinnspruch“, sagt Günter Czerwinski. Vor allem Laufen. Aber auch das Balancieren auf der Slackline. Ganz aufhören, sich zur Ruhe setzen, das gehe auf keinen Fall. Er sei sich nicht sicher, ob er das überlebe. „Wer rastet, der rostet“, sagt er. Aus seinem Mund klingt das keineswegs abgedroschen. Weil da einer aus Erfahrung spricht.