„Keine Verschnaufpause“Zweiter extremer Winter bringt Kölner Kinderärzte an ihre Grenzen

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Eine Kinderärztin untersucht ein Kind mit einem Stethoskop.

Ein Infekt jagt den nächsten: Vor allem kleine Kinder sind in der kalten Jahreszeit häufig krank. Das macht den Kinderärzten zu schaffen.

Scharlach, Grippe, Corona: Noch immer ist in den Kinderarztpraxen viel zu tun. Das geht an die Substanz der Beschäftigten.

Alle Hoffnung ruht auf dem Frühling. Denn dieser Winter war länger als die bisherigen. Zumindest aus Sicht von Kinderärzten und all denjenigen, die mit Kindern und deren Gesundheit zu tun haben, also Familien oder Beschäftigten in Kitas und Schulen. „Der Winter war so lang, weil die Infektwelle ungewöhnlich früh angefangen hat. Es gab zwischendurch keine Verschnaufpause, bis jetzt“, sagt der Kölner Kinder- und Jugendarzt Marc Neukirch. Er ist stellvertretender Obmann im Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) und vertritt damit die Interessen seiner Kölner Kolleginnen und Kollegen, mit denen er sich regelmäßig austauscht.

Atemwegserkrankungen, RSV-Infektionen, Coronafälle, Grippe, Scharlach, Pfeiffersches Drüsenfieber, Magen-Darm-Infekte – die Liste ließe sich fortsetzen. „Wir hatten keinen schönen Winter, und zumindest was die Krankheiten angeht, ist er noch nicht vorbei“, sagt Neukirch. Es sei nun der zweite extreme Winter hintereinander, eine Folge der Pandemie, und „die Sorgen sind groß, wie wir die Arbeit im nächsten Winter noch bewältigen können. Es ist zu kräftezehrend“.

Kölner Kinderärzte kämpfen mit Infektwelle und Personalausfällen

Durch die strengen Hygienemaßnahmen und Kontaktbeschränkungen waren im ersten Jahr der Pandemie viele Infekte ausgefallen. „Wir erleben noch immer Nachholeffekte. Das betrifft alle Menschen, aber Kinder und Jugendliche verstärkt“, sagt Neukirch. Die Immunsysteme seien weniger trainiert. „Bei Kleinkindern unter vier Jahren waren die Infekte in diesem Winter enorm.“ Die Zahl der Grippefälle bei Jugendlichen habe sich stark erhöht, zudem seien diese sehr viel früher als üblich aufgetreten.

Nach schweren Infekten wie Corona, Grippe oder dem Pfeifferschen Drüsenfieber dauere es, bis sich das Immunsystem wieder erhole. Komme es zu früh zu Kontakt mit anderen Viren, könne der Körper diese oft noch nicht abwehren. Die Folge: Ein Infekt reiht sich an den nächsten. „Ich habe noch nie so viele erschöpfte Eltern erlebt, die einfach nicht mehr können, weil ihre Kinder ständig krank sind, nicht in die Kita können und Mütter und Väter ihren Beruf nur schwer ausüben können“, berichtet Neukirch.

Wir hoffen sehr auf eine dauerhafte finanzielle Besserstellung der kinderärztlichen Praxen
Kinderarzt Marc Neukirch

Die saisonbedingte Infektwelle, die in den beiden vergangenen Wintern heftiger ausfiel als in den Vorjahren, führte auch zu Ausfällen beim Personal. „In vielen Praxen musste der Betrieb zwischenzeitlich eingeschränkt werden“, berichtet Neukirch. Vorsorgeuntersuchungen hätten abgesagt werden müssen, weil die Infektsprechstunden schlichtweg den zeitlichen Rahmen gesprengt hätten oder weil Mitarbeitende fehlten.

Ohnehin hätten viele Praxen mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen. „Es ist sehr schwer, Medizinische Fachangestellte zu finden.“ Doch genau diese sind es, die Neukirch zufolge den Ärztinnen und Ärzten sehr viel Arbeit abnehmen – neben Telefondiensten, Anmeldung und Verwaltungsangelegenheiten nehmen sie unter anderem Blut ab, untersuchen Proben im Labor, assistieren den Ärzten. „Diese gewonnene Zeit können wir dann unseren Patienten widmen“, sagt Neukirch.

Die Personalausstattung sei nicht nur in den Kliniken, sondern auch in den Kinderarztpraxen ein Problem: „Wir brauchen mehr Personal als Puffer, vor allem für den Winter. Kindergesundheit ist ein Saisongeschäft“, sagt Neukirch. Das sei analog zu den Kinderkliniken, wo im Winter mehr Betten gebraucht werden als im Sommer. „Aber wir brauchen das ganze Jahr über eine finanziell und personell ausgestattete Pädiatrie. Wir brauchen die langfristige Unterstützung auch vonseiten der Politik.“

Es gibt erste Lichtblicke: So hat der Bundestag erst vor wenigen Tagen beschlossen, dass Kinderärzte künftig ihre Leistungen auch tatsächlich in voller Höhe bezahlt bekommen – und nicht mehr wie bisher nur diejenigen innerhalb eines festgelegten Budgets. „Wir hoffen sehr auf eine dauerhafte finanzielle Besserstellung der kinderärztlichen Praxen. Das würde uns in den Wintermonaten sehr entlasten“, sagt Neukirch.

Nicht erst durch Corona haben psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen stark zugenommen. „Für diese Patienten brauchen wir viel Zeit, die wir oft aber nicht haben. Doch wir bekommen kaum einen Platz für Jugendliche mit Essstörungen in einer Klinik“, klagt Neukirch. Auch die Wartezeiten in psychologischen Praxen seien aktuell zu lang. „So lange müssen wir Kinderärzte diese Patienten auffangen.“

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