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Rocker mit Kopfschuss getötetKölner Mordprozess wird neu aufgerollt

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Ermittler sicherten Spuren neben einem Brauhaus im Mülheimer Böcking-Park.

Im Mai 2023: Ermittler sicherten Spuren neben einem Brauhaus im Mülheimer Böcking-Park.

In einem Park in Mülheim wurde der Mann getötet. Auch dessen Freundin wurde von einer Kugel getroffen.

Es war eine „öffentliche Hinrichtung“ – so bezeichnete Richter Achim Hengstenberg den Mord per Kopfschuss am früheren Hells-Angels-Rocker Eren Y. (35) im Mülheimer Böcking-Park. Zwei Tatverdächtigte flüchteten danach in die Türkei, doch der mutmaßliche Auftraggeber wurde wegen Anstiftung zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Der Bundesgerichtshof (BGH) bestätigte die Strafe. Doch dann mischte sich das Bundesverfassungsgericht ein – und kippte spektakulär das Urteil.

Köln: Mordprozess startet komplett von vorne

Am Mittwoch heißt es daher im Landgericht Köln: Alles auf Anfang, das komplette Beweisprogramm wird wiederholt. In der Neuauflage des Mordprozesses kommt es nun auf einen entscheidenden Zeugen an, der im ersten Durchgang nicht gehört wurde – den mutmaßlichen Schützen. Der hatte über einen Anwalt seine Aussagebereitschaft signalisiert, wollte per Videovernehmung in der Türkei aussagen. Eine Aussage in Köln – trotz Zusicherung freien Geleits – hatte der Mann zuvor abgelehnt.

Der 28-jährige Angeklagte begrüßt seinen Verteidiger Leonhard Mühlenfeld beim Prozessauftakt im Landgericht Köln.

Der 28-jährige Angeklagte begrüßt seinen Verteidiger Leonhard Mühlenfeld beim Prozessauftakt im Landgericht Köln.

Nach weiterem Hin und Her hatte der Richter damals eine Zeugenvernehmung abgelehnt – mit dem Hinweis, nur eine direkte Konfrontation im Gerichtssaal sei zielführend. Das bewerteten die Verfassungsrichter als einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens. Dem Angeklagten, der die Höchststrafe erhalten und stets seine Unschuld beteuert hatte, sei ein gravierender Nachteil entstanden. Mit der Aufhebung des rechtskräftigen Urteils wurde auch der BGH überstimmt.

Köln: Knifflige Aufgabe für das Schwurgericht

Die entscheidende Frage: Wird der Zeuge im neuen Prozess aussagen? Dann könnten sich neue Anhaltspunkte zu einer möglichen Täterschaft oder auch Unschuld von Hami S. ergeben. Sollte er nicht mehr erreichbar sein, könnte das wieder einen klaren Nachteil für den Beschuldigten bedeuten – das könnte knifflig werden für das Gericht. „Ich bin froh, dass das Bundesverfassungsgericht unserer Auffassung gefolgt ist, dass der Zeuge dringend hätte gehört werden müssen“, sagt Verteidiger Leonhard Mühlenfeld. Nun bestehe die Chance, dass die ganze Wahrheit ans Licht komme.

Die Verurteilung in der ersten Instanz beruhte auf Indizien. Nicht einmal das Motiv konnte geklärt werden. Womöglich habe es nach der Auflösung des Kölner Hells-Angels-Charters „Rhine Area“ einen Streit um eine von Eren Y. geplante Neugründung der Gruppierung gegeben, so das Gericht. Der Beschuldigte, der 28-jährige Hami S., war der Bruder des früheren Präsidenten, es soll zu Drohungen gekommen sein. Überführt worden sei Hami S. durch die Auswertung von Handydaten. Kurz vor und nach dem Verbrechen hatte er viele Male mit einem der Schützen telefoniert. Es war laut Richter abwegig, dass man nur über eine Verabredung zum Fußballgucken gesprochen habe. Das hatte Hami S. behauptet.

Schwer belastet hatte den Beschuldigten auch eine Freundin eines weiteren Mordverdächtigen. Der habe nebulös von einem „Job“ gesprochen, den er für Hami S. zu erledigen habe. Alles spreche für einen gemeinsamen Tatplan, sagte der Richter. Vor dem Urteil hatte der Vater zweier kleiner Kinder unter Tränen an das Gericht appelliert, keinen „unschuldigen Papa“ zu verurteilen. Auch Verteidiger Mühlenfeld hatte Richter und Schöffen ermahnt, sich bei einer solch einschneidenden Entscheidung komplett sicher sein zu müssen, „wenn man anschließend noch ruhig schlafen will“.

Den Tathergang rekonstruierte das Gericht folgendermaßen: So waren es die früheren Rocker Marco C. (27), genannt „Toblerone“ und Emre U. (31), genannt „Chico“, die am Tattag an der Wohnung des späteren Mordopfers aufgetaucht waren. Dort öffnete der Mitbewohner die Tür, Eren Y. war nicht zu Hause. Handydaten zeigen, dass „Chico“ sich danach bei Eren Y. gemeldet hatte, offenbar verabredete man sich am McFit am Clevischen Ring, in dem Y. mit seiner Freundin trainiert hatte. Die berichtete später im Gericht von einer freundschaftlichen Stimmung, als man am Fitnessstudio aufeinandergetroffen sei. Man kannte sich. „Marco war zwei Tage vorher noch bei uns zu Hause, saß am Tisch, alles war ganz normal“, berichtete die Zeugin. Niemals hätten sie oder ihr Freund mit einem Angriff gerechnet.

Kölner Böcking-Park: Schüsse in Rücken und Kopf

Die Gruppe ging gemeinsam zum Böcking-Park, alles erschien noch harmlos. Plötzlich habe sich Marco C. gebückt und in seiner Tasche gekramt, so beschrieb es die Zeugin. Dann fielen die Schüsse, einer in den Rücken von Eren Y., der nächste in den Kopf. In Panik flüchtete die Freundin und bemerkte da erst, dass auch sie getroffen worden war. Blut lief aus Hals und Kiefer. „Meiner Mandantin wurde das Gesicht zerfetzt“, so drastisch formulierte es Opfer-Anwältin Funda Bicakoglu.

Während Eren Y. noch am Tatort starb, konnte seine Freundin durch das schnelle Handeln eines Kellners eines nahe gelegenen Brauhauses gerettet werden. Der drückte der Verletzten Stoffservietten auf die sprudelnde Wunde, band sie mit einer Tischdecke ab. Dann übernahmen die alarmierten Rettungskräfte. Die 29-Jährige wurde notoperiert, überlebte knapp. „Mein Leben ist kaputt“, sagte sie bei der Polizei. Und bekräftigte unter Tränen im Gericht: „Da hat sich bis heute nichts dran geändert.“ Auch sie wird bei der Neuauflage wieder als Zeugin aussagen müssen.