Köln-NippesKleingärtner leisten Widerstand gegen Wohnungsbaupläne

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Bürgerprotest im Kleingarten: Die Anlage des Vereins „Flora“ grenzt an die Wohnbebauung des Sechzigviertels. Der Plan, an die Brandmauern neue Häuser anschließen zu lassen, liegt nahe. Doch dafür müssten die Gärten weichen

Bürgerprotest im Kleingarten: Die Anlage des Vereins „Flora“ grenzt an die Wohnbebauung des Sechzigviertels. Der Plan, an die Brandmauern neue Häuser anschließen zu lassen, liegt nahe. Doch dafür müssten die Gärten weichen

  • Seitdem die Stadtverwaltung die Ergebnisse ihrer „Flächenrecherche für weiteren Wohnungsneubau“ zur politischen Beratung vorgelegt hat, formiert sich Gegenwehr.
  • Flächen für 37.000 Wohnungen hat die Stadt ausgemacht, auf denen in den nächsten 13 Jahren gebaut werden könnte.

Nippes – Ein Bagger räumt Bienen, Fuchs und ein spielendes Kind vom grünen Rasen. Köln wird grau statt grün. Sue Appleton, Web-Designerin und Nippeser Kleingärtnerin, ist nicht zimperlich bei der Motivwahl zum Bürgerprotest.

Barbara Burg, Sprecherin der gerade gegründeten Bürgerinitiative „Grüne Lunge Köln“, macht Stimmung mit der Erinnerung an die legendäre „Nippeser Baggerwehr“, die in den 1970er Jahren erfolgreich gegen den Ausbau der Inneren Kanalstraße zu einer Stadtautobahn gekämpft hat.

Rund dreißig Kleingärtner demonstrieren mit ihrem Applaus stellvertretend für über 600 Mitglieder des Vereins „Flora“ ihre Kampfbereitschaft gegen die Planer in der Stadtverwaltung.

„Wir sind die grüne Lunge für Nippes und das Agnesviertel“, sagt Burg über die Kleingartenanlage zwischen Nippeser Sechzigviertel und Innerer Kanalstraße.

Martin Turck vom Rheinischen Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz sagt einen Satz, der den Kern des Problems beschreibt: „Weil die Stadt wächst, kann man sich nicht leisten, Grünflächen wegzunehmen.“ Das klingt nach logischer Konsequenz, ist aber ein Widerspruch.

Wie die Stadt wachsen kann, ohne Flächen zu verbrauchen, bleibt an diesem Vormittag in dem herrlichen Kleingarten-Paradies mitten in der Stadt sein Geheimnis.

Beschlossen ist noch nichts

Seitdem die Stadtverwaltung die Ergebnisse ihrer „Flächenrecherche für weiteren Wohnungsneubau“ zur politischen Beratung vorgelegt hat, formiert sich überall Gegenwehr.

„Es gibt keine einzige Fläche, die einfach ist“, sagt Christiane Jäger vom federführenden Amt für Stadtentwicklung. „Irgendjemand tut es immer weh.“ Flächen für 37.000 Wohnungen hat die Stadt ausgemacht, auf denen in den nächsten 13 Jahren gebaut werden könnte.

Ein Jahr lang sei in jedem Einzelfall das Für und Wider abgewogen worden. So seien nicht nur Eignung und Anbindung für den Wohnungsbau geprüft worden. Auch andere Interessen wie der Erhalt von Grünflächen oder Gewerbegebieten wurden berücksichtigt, so Jäger. Ihr ist aber auch wichtig zu sagen: Die im „Stadtentwicklungskonzept“ benannten Flächen seien Vorschläge. Beschlossen ist noch nichts.

Gute Argumente gegen die Bebauung

Die Nippeser Kleingärtner können, wie es scheint, gute Argumente gegen die Bebauung nennen. Nippes und die nördliche Innenstadt haben viele Einwohner, aber nur wenig Grünflächen. Dass der Innere Grüngürtel unter Denkmalschutz steht, ist ebenso ein guter Grund wie die Förderung des sozialen Miteinanders und des Naturschutzes. Hinzu kommen Hunderte betroffene Wähler, die wenig Interesse haben, demnächst auf neue Häuserwände zu schauen. Der Nippeser Bezirksbürgermeister Bernd Schößler hat die Kleingartenanlage bereits zum „No Go Standort“ erklärt. Die Antwort auf die Frage, wo denn gebaut werden kann, fällt schwerer als das klare „Nein“ im Einzelfall. Im Rathaus hat man die Bezirksvertretungen aufgefordert, Alternativen zu benennen, wenn sie etwas ablehnen wollen. Das ist in Nippes oder der Innenstadt schwerer als im Kölner Norden oder Süden.

Die einzelnen Initiativen wollen sich vernetzen. Das hilft dem Protest, macht die Abwägung im Einzelfall aber noch komplizierter. Für kommenden Samstag haben Ehrenfelder Gärtner zum Protest gegen die Bebauung von gleich allen 76 vorgeschlagenen Freiflächen aufgerufen. Nicht nur im Nippeser Kleingartenverein „Flora“ beansprucht man, „grüne Lunge“ zu sein. In Weidenpesch hat sich die Initiative „Grüne Lunge Rennbahn“ reaktiviert, die vor acht Jahren Wohnhäuser an der Niehler Straße verhinderte und nun den Kampf wieder aufnimmt.

Teils den Blick aufs Ganze verloren

An mancher Stelle scheint der Bürgerprotest den Blick aufs Ganze völlig aus den Augen verloren zu haben: So protestieren in Porz-Lind Bürger gegen den Plan der Stadt, in einem Neubaugebiet durch einige dreigeschossige Häuser statt 100 nun 120 Wohnungen zu ermöglichen. Außerdem möchten die Bürger eine Hundewiese erhalten, auf der eine Grundschule gebaut werden soll.

Die Lokalpolitik steht vor der schweren Aufgabe, jedes Einzelinteresse mit den Belangen der ganzen Stadt abzuwägen. Die bekannten Bürgerbeteiligungsverfahren helfen da nur begrenzt weiter: Es beteiligen sich fast nur diejenigen, die schon am Ort des Geschehens wohnen. Diejenigen, die von neuen Wohnungen profitieren, sind in der Regel nicht dabei. Der Ausweg könne nur in „größtmöglicher Transparenz“ liegen, so die stellvertretende Amtsleiterin Jäger. Die Stadt müsse „neue Kommunikationsformate“ entwickeln. Die große Herausforderung liege darin, „die Kritik aufzunehmen, aber dann auch erklären zu können, warum man etwas trotzdem macht“.

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