Schüsse in PraxisOpfer-Vertreterin kritisiert Kölner Richter – „Ein Unding“

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Marianne Weich hat schon mehr als tausend Opfern von Straftaten geholfen und sie beraten.

Köln – Mit Befremden hat eine ehrenamtliche Mitarbeiterin des Opfervereins „Weißer Ring“ das Vorgehen eines Kölner Richters aufgenommen, der eine Ärztin und deren Sprechstundenhilfe beim Gerichtsprozess zum Schweigen bringen wollte, nachdem eine Patientin in der Praxis um sich geschossen hatte. Das Gericht hatte die ärztliche Schweigepflicht in den Vordergrund gestellt.

Anwalt drohte betroffener Ärztin mit Strafanzeige

„Ich finde es unmöglich, dass Zeugen so angegangen werden“, sagt Marianne Weich, die seit mehr als 35 Jahren Opfer von Straftaten begleitet und als Schöffin bei Gericht tätig war. Der Richter hatte den Zeuginnen gesagt, sich mit einer Aussage womöglich strafbar zu machen. Ingo Lindemann, Verteidiger der Angeklagten, hatte der Praxis-Inhaberin unverhohlen mit einer Anzeige gedroht (hier lesen Sie mehr).

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Verteidiger Ingo Lindemann mit der Angeklagten und einer Wachtmeisterin beim Prozessauftakt im Kölner Landgericht.

„Ich habe Opfer erlebt, die sind Tage vor dem Gerichtstermin völlig fertig“, so Marianne Weich, weil sie „eine wahnsinnige Angst“ vor der Verhandlung und der Konfrontation mit dem Täter hätten. Nach der Aussage fiele dann oft eine richtige Last von ihnen ab. Mit der Androhung von rechtlichen Konsequenzen sei neues Stresspotential gegeben. „Das ist ein absolutes Unding“, sagt Weich.

Kölner Richter bezog sich auf ein Urteil von 1984

Richter Peter Sommer hatte sich in seiner Bewertung auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1984 berufen. Dieser Fall behandelte jedoch die Versorgung eines angeschossenen Einbrechers in der Notaufnahme. Hier galt die ärztliche Schweigepflicht, von der der Chefarzt der Klinik auch eine Krankenschwester nicht entbunden hatte. Kein vergleichbarer Fall, meinte die Staatsanwältin.

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Denn im aktuellen Fall waren die Ärztin und deren Mitarbeiterin unmittelbare Tatopfer. Auf die Sprechstundenhilfe wurden Schüsse aus einer Schreckschusspistole abgegeben, in Todesangst verbarrikadierte sie sich mit ihrer Chefin im Behandlungszimmer. Vor Gericht hatte sich die Ärztin dann auf eigenes Risiko gegen den Rat des Richters zur Aussage entschlossen; das sei ihr gutes Recht.

Ärztekammer äußert sich zur Schweigepflicht vor Gericht

Die betroffene Psychiaterin, die nicht als Nebenklägerin und ohne Anwalt im Zeugenstand auftrat, hatte sich zuvor beraten lassen, sagte sie dem Gericht. „Grundsätzlich darf ein Arzt vor Gericht zur Behandlung eines Patienten nur aussagen, wenn der Patient ihn von der Schweigepflicht befreit hat“, teilt die Ärztekammer Nordrhein auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ mit.

Anders könnte dies beurteilt werden, wenn der Arzt als Opfer einer Straftat durch den Patienten selbst betroffen sei. „In diesem Fall kann es grundsätzlich zulässig sein, in Wahrnehmung eigener berechtigter Interessen eine Aussage zu machen“, so die Ärztekammer, ohne sich zum aktuellen Verfahren äußern zu wollen. Der Vorstoß des Richters erscheint damit zumindest fragwürdig.

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