Schüsse in Kölner PraxisAnwalt droht Ärztin mit Strafanzeige – weil sie aussagen will

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Verteidiger Ingo Lindemann mit der Angeklagten und einer Wachtmeisterin im Kölner Landgericht.

Köln – Eine Patientin betritt eine Praxis am Neumarkt, beschwert sich über die Wartezeit und gibt bis zu acht Schüsse aus einer echt aussehenden Schreckschusspistole ab. Sie versetzt die Sprechstundenhilfe in Todesangst. Das Opfer benutzt einen Stuhl als Schild, flüchtet zu ihrer Chefin in ein Behandlungszimmer und verbarrikadiert sich. Es sind traumatische Erlebnisse, doch sprechen konnte die 59-Jährige darüber am Donnerstag beim Strafprozess im Kölner Landgericht nicht. Richter Peter Sommer äußerte Bedenken bezüglich einer weitreichenden ärztlichen Schweigepflicht. 

Richter rät Opfer, die Aussage zu verweigern

Die Zeugin dürfe wohl nicht mal sagen, dass die Patientin sich am Tattag im vergangenen Mai in der Praxis aufgehalten habe. „Aber es geht doch nur um den Vorfall und nicht um die Krankengeschichte“, sagte die Zeugin und wirkte irritiert.

Laut einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs sei das schwer zu trennen, Richter Sommer empfahl der Zeugin daher eindringlich, nicht auszusagen; weil sie sich sonst strafbar machen könnte. Unverrichteter Dinge verließ die Arzthelferin daraufhin den Gerichtssaal 13.

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Anwalt droht Psychiaterin mit möglicher Strafanzeige

Wenig später saß die Psychiaterin im Zeugenstand, wieder äußerte der Richter seine Bedenken. Doch die Ärztin zeigte sich unbeeindruckt. Sie habe sich zuvor beraten lassen und aus ihrer Sicht spräche nichts dagegen, den Vorfall mit der Patientin zu beschreiben. „Aber es gibt das Risiko, sich strafbar zu machen“, hakte Richter Sommer abermals ein.

„Ich sehe mich als Geschädigte“, sagte die Ärztin. Verteidiger Ingo Lindemann drohte der Ärztin daraufhin mit rechtlichen Konsequenzen. Er könne eine Strafanzeige seitens der Patientin nicht ausschließen.

Anwältin sieht Opferrechte beschnitten

Unproblematisch sah es hingegen die Staatsanwältin, laut höchstrichterlicher Rechtsprechung dürfe ein Arzt gegen den Patienten aussagen, wenn „der ärztliche Vertrauensbereich“ missbraucht würde, etwa wenn ein Patient einen anderen im Wartezimmer beklaut.

Opfer-Anwältin Monika Müller-Laschet zog bei der Verhandlung einen drastischen Vergleich. Nach der Logik von Gericht und Verteidigung hätte die von einem Insassen in der JVA Straubing vergewaltigte Gefängnispsychologin ja auch nicht gegen ihren Klienten und Peiniger aussagen dürfen.

Kritisch sieht den Vorgang auch die auf Opfervertretung spezialisierte  Anwältin Eva Kuhn. „Opferrechte dürfen nicht in der Form beschnitten werden“, sagt Kuhn, zumal in der Konsequenz dann auch weitergehende Ansprüche wie Schmerzensgeld ausgebremst würden.

Ärztin besteht auf Zeugenaussage

Und so war es am Ende der geschädigten Ärztin überlassen, ihre Aussage im Landgericht auf eigenes Risiko zu tätigen. Und das tat sie auch. Die Medizinerin  beschrieb, einen Knall gehört und zur Rezeption geeilt zu sein. Dort habe sie die Täterin gesehen, die gerade die Waffe auf ihre Mitarbeiterin gerichtet und immer wieder abgedrückt habe. Wüste Beschimpfungen habe die Frau von sich gegeben, laut Anklage auch Todesdrohungen.

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„Ich habe gehofft, dass es sich nicht um eine echte Waffe handelt“, sagte die Ärztin, generell sei sie ein optimistischer Mensch. Nachdem sie sich mit Sprechstundenhilfe und einem Patienten ins Behandlungszimmer geflüchtet und die Türklinke hochgedrückt habe, um ein Eindringen der Patientin zu verhindern, sei es plötzlich ganz ruhig geworden. Die Angreiferin hatte die Praxis verlassen, das SEK nahm sie später an ihrer Wohnanschrift ganz in der Nähe fest.

Auf einmal doch von Schweigepflicht entbunden

Kurios wurde es, als Verteidiger Lindemann eine Frage zur Medikation der Patientin stellte. Hier berief sich die Ärztin tatsächlich auf die Schweigepflicht. Da könne man eine Ausnahme machen, so der Anwalt; um zu hören, was er hören wollte.

Nämlich, dass die geständige Mandantin, der die  Unterbringung  in der Psychiatrie droht,  ihre Medikamente  nicht genommen hatte. Inzwischen sei sie stabil. Der Prozess wird fortgesetzt.

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