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Zwei Kaffee, bitte!„Eine Verlagerung der Drogenszene löst das Problem nicht“

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Ein Gespräch mit Sarah Mosczinsky, die mehr Verständnis für Traumatisierte fordert.

Ein Gespräch mit Sarah Mosczinsky, die mehr Verständnis für Traumatisierte fordert.

Was erzählen Menschen, wenn man sie auf der Straße anspricht? Darum geht es Susanne Hengesbach in ihrer Rubrik „Zwei Kaffee, bitte!“.

Das Gespräch mit dieser Frau, die mir heute in Karstadt-Nähe begegnet, wirkt lange in mir nach. Mir wird bewusst, wie selten man es erlebt, dass jemand mit Verständnis, Anteilnahme und Mitleid von den Menschen spricht, die in der Regel als „spezielle Personengruppe am Neumarkt“ mit abfälligen Begriffen belegt und verunglimpft werden. Umso mehr berührt mich Sarah Mosczinsky mit ihrer Reaktion auf meine Frage: „Was denken oder empfinden Sie, wenn Sie durch die Kölner City schlendern?“

„Ich bin erschüttert über die Ignoranz unserer Gesellschaft“, entgegnet sie. „Dass Passanten vorbeigehen, ohne diesen Menschen auch nur einen Blick zu schenken. Jeder Drogenabhängige war doch auch mal ein kleines Kind, das gespielt hat und sicher eine ganz andere Vorstellung von seinem Leben hatte.“ Niemand aus dieser sogenannten Drogenszene, gibt die Kölnerin zu bedenken, „hat sich ausgesucht, süchtig zu werden“.

Verständnis für Therapie wäre wichtig

Jeder einzelne, davon ist meine Gesprächspartnerin überzeugt, betäubt auf diese Weise ein großes psychisches Leiden. „Taub zu werden gegenüber dem, was in einem schreit“, darum gehe es beim Suchtmittelkonsum, betont sie, als wir uns in der Café-Bar Alfredo gegenübersitzen. Dass Abhängigkeit in den meisten Fällen mit einem traumatischen Erlebnis oder mit einer Kette von seelischen Verletzungen in Zusammenhang steht, sei leider noch immer viel zu wenig in das gesellschaftliche Bewusstsein gelangt. „Dabei wäre das für Verständnis, Therapie und andere notwendige Maßnahmen so wichtig.“

Im Verlauf unserer Unterhaltung wird schnell deutlich, dass Sarah Mosczinsky als Betroffene spricht. Aus einer Selbsterfahrung heraus habe sie angefangen, sich mit dem Thema Trauma zu beschäftigen. Und je intensiver sie dies getan habe, umso größer sei ihr Unverständnis darüber geworden, wie wenig Hilfe den Betroffenen hierzulande zuteilwerde.

Wir wissen alle, es wird immer mehr
Sarah Mosczinsky

Man gehe heute davon aus, sagt die 49-Jährige, dass in einer Schulklasse mit 30 Kindern im Schnitt jeweils zwei Mädchen und ein Junge Opfer von „Gewalt oder Vernachlässigung“ würden. Vor diesem Hintergrund hält es die Kölnerin für unabdingbar, dass insbesondere Menschen, die in Sozial-Berufen arbeiten, eine psychologische Ausbildung erhalten. „Aber selbst Ärzte wissen teilweise nicht, was ein Trauma ist. Von Politikern ganz zu schweigen.“

Bevor sie angemessene therapeutische Hilfe bekommen, auch das weiß Mosczinsky aus eigener Erfahrung, warten Betroffene Monate oder gar Jahre. Man führe zermürbende Diskussionen mit den Krankenkassen, fühle sich als nervender Bittsteller. Besonders bitter sei, dass nicht nur den Betroffenen, also den Leidenden, Steine in den Weg gelegt würden, sondern auch den Menschen, die helfen wollten und die nach Studium und Zusatz-Ausbildung unter anderem durch das restriktive Zulassungssystem keine Praxis eröffnen könnten.

Durch Therapie könnten Suizide verhindert werden

Gerade mit Blick auf die Folgen des harten Drogenkonsums kann Mosczinsky über die Politik hierzulande nur den Kopf schütteln. „Wir wissen alle, es wird immer mehr. Und wir wissen auch, dass sich das Problem nicht dadurch löst, indem man die Drogenszene verlagert.“ Gleichwohl werde nach wie vor lieber Geld für Folgen und Konsequenzen ausgegeben als für Prävention.

„Ich möchte nicht wissen, wie viele Millionen oder gar Milliarden es kostet, traumatisierte Menschen unbehandelt zu lassen, die uns durch Arbeitsausfall oder Frühverrentung als Berufstätige verloren gehen. Und ich möchte nicht wissen, wie viele Suizide – gerade bei jungen Menschen – verhindert werden könnten, wenn mehr Therapieplätze zur Verfügung stünden.“

Sarah Mosczinskys Wunsch ist es, eine Ausbildung zur Heilpraktikerin in Psychotherapie zu machen und selber Trauma-Therapeutin zu werden, „weil ich den enormen Bedarf sehe“. Anstelle von Stigmatisierung wünscht sie sich mehr Verständnis und Empathie für leidende Menschen und mehr vorausschauendes Denken anstelle der üblichen Reaktion auf bereits entstandene Probleme. „Kennzeichnend für unser System ist, dass es fast ausschließlich erst bei Eskalation greift.“ Aber das sei zu spät. Gerade bei Jugendlichen, betont mein Gegenüber, selbst Mutter einer Heranwachsenden, „entscheidet Zeit über Leben“.