Ingrid Schaeffer-Rahtgens' Vater gehörte zum Kreis der Widerstandskämpfer, die das Attentat im Juli 1944 auf Hitler geplant hatten.
Zwei Kaffee bitte„Wenn er schon nicht lebt, muss ich die Faust hochhalten“

Ingrid Schaeffer-Rahtgens (85)
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Was erzählen Menschen, wenn man sie auf der Straße anspricht? Darum geht es Susanne Hengesbach in ihrer Rubrik „Zwei Kaffee, bitte!“
Meine heutige Gespächspartnerin verlor ihren Vater, als sie vier Jahre alt war. Den frühen Verlust eines Elternteils – dieses Schicksal teilt Ingrid Schaeffer-Rahtgens mit vielen anderen Kindern ihrer Generation. Carl Ernst Rahtgens ist allerdings nicht, wie es später oft heißt – im Krieg geblieben – wie Zigtausende andere.
Er wurde zum Tode verurteilt und am 30. August 1944 in der Strafvollzugsanstalt Berlin-Plötzensee erhängt, weil er an den Umsturzbestrebungen des 20. Juli beteiligt war. Der deutsche Oberstleutnant Rahtgens gehörte also zum Kreis der Widerstandskämpfer, die ein Attentat auf Adolf Hitler geplant hatten. Obwohl sie damals noch ein kleines Mädchen war, habe sie eine sehr gute Erinnerung an ihren Vater, erzählt Ingrid Schaeffer-Rahtgens, als wir uns beim Cappuccino im Café Fassbender gegenübersitzen.
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Frau mit außergewöhnlicher Biographie
Dass ich der 85-jährigen Dame aus Bergisch Gladbach in der Kölner Innenstadt begegne, liegt daran, dass sie einen Arzttermin in der Benesisstraße hatte.
Ingrid Schaeffer-Rahtgens ist, wie ich schnell feststelle, nicht nur eine Frau, die aufgrund ihrer eleganten Erscheinung ins Auge fällt, sondern auch eine Person, die eine außergewöhnliche Biographie mitbringt. Über ihre insgesamt zwölf Berufe, von denen sie mir im Verlauf unseres rund dreistündigen Gesprächs erzählt, könnte man mehrere Zeitungsartikel füllen – ebenso über ihr Engagement für die Klassische Musik, das sie als Veranstalterin der Konzertreihe „Klänge der Stadt“ in Bergisch Gladbach offenbar unermüdlich aufbringt.
Ungeachtet dessen bitte ich meine Gesprächspartnerin, noch einmal ganz weit zurück auf ihre Kindheit zu schauen und erfahre dabei etwas, das in der damaligen Zeit geradezu revolutionär erschienen sein muss: „Mein Vater wollte unbedingt bei meiner Geburt mit dabei sein!“ – „Also nicht nur mit einem Strauß Nelken auf dem Krankenhausflur auf- und abmarschierend, sondern aktiv.“
Vater war ein „fröhlicher, christlicher und lustiger Mensch“
Ingrid Schaeffer-Rahtgens nickt bestätigend und erzählt, dass ihre Mutter, damals 22 Jahre alt, zum Ende der Schwangerschaft vorübergehend von Berlin zu ihren Schwiegereltern nach Hannover gezogen war. Ehemann Carl Ernst war zu dieser Zeit an der Westfront und hatte sich vorsorglich Urlaub genommen. Nur dass seine Erstgeborene keinerlei Anstalten machte, zum errechneten Termin auf die Welt zu kommen, sondern schließlich mit 14 Tagen Verspätung geholt werden musste.
Carl Ernst muss völlig verzückt und verzaubert gewesen sein von seiner Tochter, einem rosigen Wonneproppen, so dass sofort das Band für eine besonders enge Bindung gelegt wurde. Sie seien gemeinsam Schlitten gefahren, barfuß in den eiskalten Fluss gestiegen und hätten – manchmal „zum Ärger meiner Mutter“ – viel Blödsinn miteinander gemacht.
„Welche Adjektive würden Ihnen spontan für ihren Vater einfallen?“, frage ich. Er sei ein „fröhlicher, christlicher und lustiger Mensch“ gewesen, entgegnet die Tochter. Carl Ernst sei ein Neffe von Feldmarschall Günther von Kuge gewesen, in dessen Stab unter anderem Henning von Tresckow und Philipp von Böselager saßen, die in vorderster Front für den Widerstand und in der Attentat-Vorbereitung tätig waren. Um seine Familie nicht in Gefahr zu bringen, habe ihr Vater über diese Dinge jedoch stets Stillschweigen bewahrt.
Gestapo-Männer standen auf der Schwelle des Hauses
Ingrid Schaeffer-Rahtgens erinnert sich noch genau an den Moment, als zwei Gestapo-Männer Anfang September 1944 morgens auf der Schwelle ihres Hauses standen und der Mutter das Todesurteil vom Volksgerichtshof sowie die Beschlagnahmeverfügung von sämtlichem Hab und Gut überreichten. Von dem Moment an hätten sie alle – auch sie und die beiden kleineren Geschwister – unter Sippenverfolgung gestanden.
Ich frage die alten Dame nach ihren Gefühlen und danach, was sie angesichts der Tatsache, dass ihr Vater im Alter von 36 Jahren wegen Landes- und Hochverrats zum Tode verurteilt wurde, stärker verspüre: Trauer oder Stolz?
Mein Gegenüber beantwortet die Frage nicht direkt, sondern erzählt von Demütigungen als Kind und Erlebnissen in der Schule. Etwa davon, wie ihr damals, wenn sie etwas nicht wusste, mit dem Lineal auf die Finger geschlagen wurde. „Ich war die Tochter des Vaterlandsverräters, war doch klar!“
Sie erzählt aber auch davon, dass „das Widerständige“ zum Bestandteil ihres Lebens geworden sei. „Wenn er schon nicht lebt, muss ich die Faust hochhalten!“
Die Teilnahme an Gedankfeiern zum 20. Juli seien für sie seit vielen Jahren zu einem Muss geworden. Die Menschen, die sich alljährlich in Berlin treffen, um an das gescheiterte Hitler-Attentat zu erinnern, nennt sie „eine große Familie“ und würde sich wünschen, dass das Datum zum „Internationalen Tag des Widerstands“ umbenannt würde.
Ingrid Schaeffer-Rahtgens befürchtet, dass die Gesellschaft immer gleichgültiger wird – dass uns die Zivilcourage mehr und mehr abhandenkommt. „Was haben Sie vor der Bundestagswahl angesichts der großen Anti-AfD-Demonstrationen gedacht?“ frage ich. Die 85-Jährige lächelt. „Das reicht natürlich nicht!“