Wird die neue AfD-Jugend zu „altem Wein in neuen Schläuchen“? Darüber scheint man sich selbst in der Partei uneins.
Radikale Kandidaten und mehr KontrolleWas sich in der neuen AfD-Jugend ändern wird - und was eher nicht

Demonstration der heute aufgelösten Jungen Alternative in Berlin (Archivbild von Oktober 2022)
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Mehr als neun Monate ist es her, dass die AfD ihre Jugendorganisation verstieß. Anfang Januar stimmte sie auf ihrem Bundesparteitag in Riesa mit über 70 Prozent für das Ende der rechtsextremen Jungen Alternative (JA) - trotz Flehen, Wut und Tränen des Nachwuchses. Zu sehr hatte sich die Parteijugend der Kontrolle der Mutterpartei entzogen, zu groß soll die Sorge vor einem Verbot gewesen sein. Ende März löste sich die Junge Alternative auf.
Eigentlich wollte die AfD zum April eine neue, diszipliniertere Jugendorganisation gründen. Daraus wurde nichts. Seit mehr als sechs Monaten agiert die AfD ohne Parteijugend.
Nun soll sich das ändern: Am 29. November will die AfD in Gießen eine neue Jugendorganisation gründen, die Einladungen sind verschickt, die ersten Namen für einen neuen Bundesvorstand kursieren. Sie lassen daran zweifeln, ob die neue Jugend weniger radikal auftreten wird als ihre Vorgängerin.
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Fest steht: Die AfD will sich Kontrolle zurückholen. Die neue Organisation soll kein eigenständiger Verein mehr sein, sondern wird enger an die Mutterpartei geknüpft. AfD-Mitglieder unter 36 Jahren werden automatisch auch Teil der Parteijugend, gleichzeitig müssen alle Mitglieder der Jugendorganisation auch in der AfD sein.
Viele weitere Fragen scheinen kurz vor der Neugründung noch ungeklärt, beginnend mit dem Namen. Ursprünglich sollte sie „Patriotische Jugend“ oder „Junge Patrioten“ heißen, doch diesen Namen hat die AfD scheinbar verworfen. Fragte man Anfang Oktober in der Partei nach, hörte man von „Deutschland-Jugend“ und „Generation Deutschland“. Auch die Suche nach einem neuen Bundesvorstand gestaltet sich offenbar schwierig. In der Jugend könne man sich nur schwer auf Kandidaten einigen, heißt es aus Parteikreisen.
Kandidaten aus NRW fielen mit rechtsradikalen Chatnachrichten auf
Derzeit kursieren auch erste Namen von Kandidaten aus Nordrhein-Westfalen für Posten im Bundesvorstand und im NRW-Landesverband, der allerdings erst nach Karneval gegründet werden soll. Zwei mögliche Kandidaten aus NRW sind in der Vergangenheit mit rechtsradikalen Chatnachrichten aufgefallen.
Einer von ihnen ist Manuel Krauthausen, 33 Jahre alt, Bundestagsabgeordneter aus Aachen, von Beruf Schornsteinfeger. Ursprünglich wollte Krauthausen Polizist werden. Doch dann postete der damals 21-jährige Kommissaranwärter rassistische und menschenverachtende Bilder in einen Chat seines Jahrgangs und wurde entlassen. Der Polizeipräsident attestierte ihm eine „menschenverachtende Grundhaltung mit rechtsextremen, zumindest aber latent rassistischen Tendenzen“; damit sei er untragbar für den Polizeidienst. Krauthausen zog bis vor das Oberverwaltungsgericht NRW, das seinen Rauswurf 2015 bestätigte, und im Februar dieses Jahres in den Deutschen Bundestag ein. Er ist Mitglied im Ausschuss für Umwelt, Klimaschutz, Naturschutz und nukleare Sicherheit und bestreitet in seinen Reden den menschengemachten Klimawandel. Krauthausen ließ eine Anfrage der Redaktion unbeantwortet.
Ebenfalls für einen Posten gehandelt wird ein ehemaliger JA-Vorsitzender aus Ostwestfalen. Er geriet vor zwei Jahren unter Druck, weil er in einer JA-internen Chat-Gruppe „ein nächtliches Sieg Heil!“ wünschte.
Völkischer Kandidat liegt vorn
Favorit für den Posten des Bundessprechers ist derzeit Jean-Pascal „Kalli“ Hohm, 28 Jahre alt, Landtagsabgeordneter, Rechtsextremist und Brandenburger, wo einst seine erste politische Karriere als AfD-Mitarbeiter im Landtag begann und jäh endete. In der Brandenburger AfD unter dem heutigen Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland und dem früheren Neonazi Andreas Kalbitz hatten stramme Völkische eigentlich einen Freibrief. Hohm gelang das Kunststück, es sich mit beiden zu verscherzen.
2017 musste er als Landtagsmitarbeiter gehen. Bei einem Fußballspiel im Cottbuser Gästeblock war es zu Ausschreitungen gekommen; Fans zeigten den Hitlergruß und riefen antisemitische und rassistische Slogans und Hohm stand mittendrin - gemeinsam mit seinem damaligen Mitbewohner Robert Timm, dem Regionalchef der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ (IB). „Mit den Ausschreitungen habe ich nichts zu tun“, sagt Hohm heute, „mit den antisemitischen Rufen auch nicht. Ich finde das falsch, ich unterstütze das nicht.“

Jean-Pascal Hohm, AfD-Landtagsabgeordneter in Brandenburg
Copyright: Patrick Pleul/dpa
Zwei Jahre später war Hohm wieder da, arbeitete für den Bundestagsabgeordneten und heutigen AfD-Landeschef René Springer. Im Gutachten des Landesverfassungsschutzes zur Hochstufung der AfD zum „rechtsextremistischen Prüffall“ tauchte er mehrfach auf – und vermutlich deswegen zeitweise wieder politisch ab.
Zwischendurch, 2018, wurde Hohm in Rom abgelichtet, auf dem Instagram-Foto eines Neofaschisten der „Casa Pound“. „Deutsche Kameraden in Ostia”, steht unter dem Bild. „Wir haben mit der Person aus dem Casa-Pound-Umfeld etwas getrunken, mehr nicht“, sagt Hohm heute dazu. „Ich finde das Foto nicht verwerflich. Die politische Weltanschauung der Casa-Pound-Bewegung ist aber definitiv nicht meine“, fügt er hinzu. Hohm distanziert sich. Aber spannend ist, wie und warum er das tut: „Der italienische Neofaschismus richtet sich in der Südtirol-Frage auch gegen Angehörige meines Volkes.“
So klingt jemand, der für sich in Anspruch nimmt, heute erwachsener auf die politische Welt und sein jüngeres Ich zu blicken – der aber sein völkisches Denken weiter vor sich herträgt.
Neue Parteijugend in NRW: „Alter Wein in neuen Schläuchen“?
Hat die neue Jugendorganisation ihre Gründung hinter sich gebracht, steht sie innerparteilich vor einer großen Herausforderung: Sie soll das Verhältnis zwischen Teilen der AfD und ihrer Jugend verbessern. In Nordrhein-Westfalen ist dieses besonders vergiftet. Landeschef Martin Vincentz war ein Befürworter der Neugründung und scheint auf eine Mäßigung zu hoffen: Er rechne mit „vielen frischen und neuen Gesichtern“ an der Spitze der nordrhein-westfälischen AfD-Jugend, so Vincentz. Ein weiterer AfD-Funktionär, der anonym bleiben möchte, bezeichnet die verstoßene JA im Gespräch als „Fremdkörper im eigenen Fleisch“: „Das war keine Jugendorganisation, das war eine Abschreckung. Ein geschlossener, personenbezogener Club.“
Kaum ein AfD-Politiker sammelte in der nordrhein-westfälischen JA mehr loyale Anhänger als Matthias Helferich, Kopf des rechtsradikalen Lagers in NRW und treuer Zitatgeber für Verfassungsschutz-Gutachten. Während der Landesverband die Finanzierung der Jugendorganisation einstellte, öffnete der Dortmunder Bundestagsabgeordnete ihr die Türen seines Wahlkreisbüros. Und während der Bundes-JA der Spitzname „Höcke-Jugend“ verpasst wurde, stieg Matthias Helferich zu einer Art rechtsextremen Schutzpatron der nordrhein-westfälischen Jugend auf. Als solcher rechnet er offenbar nicht mit weniger radikalen Tönen.
Viele Kandidaten, die derzeit diskutiert werden, seien in der JA groß geworden, betont Helferich gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Der Landesvorstand in NRW setzt darauf, dass Neumitglieder massiv eintreten, um die neue Jugendorganisation zu gestalten. Das sehe ich nicht“, sagt er. „Und selbst wenn: Auch die Neumitglieder folgen Martin Sellner (Anm. d. Red: ehemalige Führungsfigur der ‚Identitären Bewegung‘) auf Telegram und kleben ‚Remigration‘-Sticker.“
In der Partei scheint man sich uneins: Der AfD-Funktionär bekräftigte im Gespräch den Neuanfang in der Parteijugend. Er wolle keinen „alten Wein in neuen Schläuchen“, sagt er. Unabhängig davon greift Matthias Helferich zur selben Redewendung. „Das wird alter Wein in neuen Schläuchen“, prognostiziert er. Dafür spricht, dass sich der Instagram-Kanal der Jungen Alternative NRW jüngst umbenannt hat: Er trägt nun das Kürzel „GD“. Der Name „Generation Deutschland“ liegt vorne.
(mit Jan Sternberg, RND)