1965 blickte der „Kölner Stadt-Anzeiger“ auf das erste Weihnachten nach Kriegsende zurück und druckte Fotos und Beiträge aus dem Jahr 1945 nach. Wir greifen dies nun auf – und spiegeln so die Stimmung beider Jahre.
„400 Gramm Süßigkeiten für Kinder“Wie Kölnerinnen und Kölner das erste Weihnachten nach Kriegsende erlebten

Die Luftaufnahme aus dem Jahr 1945 zeigt die im Zweiten Weltkrieg durch alliierte Bombenangriffe zerstörte Innenstadt von Köln.
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Zerbombte Wohnungen, Einkaufsstraßen in Trümmern. Viele Kölnerinnen und Kölner hatten ihr gesamtes Hab und Gut verloren. An Weihnachten im Jahr 1945 war es wohl noch viel zu für die Menschen, inne zu halten und zurückzublicken. Damals ging es erstmal um das Nötigste, um einen kleinen Trost. 1965, also 20 Jahre nach Kriegsende, blickte der „Kölner Stadt-Anzeiger“ zurück und druckte Fotos und Beiträge aus dem Jahr 1945 nach. Wir greifen dies nun noch einmal auf – und spiegeln damit die Stimmungen beider Jahre wider.
„Elend und Hoffnung, Trotz und Verzweiflung“
1965 schrieb ein Kollege als Einleitung für den Blick zurück: „Weihnachten heute vor zwanzig Jahren – wie das wirklich war, das weiß keiner mehr. Ja, man kann sich an diese oder jene Einzelheit erinnern: an den Ofen mit der geklauten Kohle, an die Festtagssuppe, die aus einem Stück Fleisch vom schwarzen Markt gekocht war, an die mit Holz und Pappe vernagelten Fenster – aber das Bewußtsein jener Tage, diese Mischung von Elend und Hoffnung, Trotz und Verzweiflung, Resignation und Willen zum überleben, das ist von keiner Erinnerung zurückzurufen. Wir sind nicht mehr die Menschen von damals; mit den Umständen hat sich auch unsere Identität geändert, und für den Familienvater, der heute abend zur Bescherung ruft, ist der junge Mann, der damals seinen Wintermantel gegen einen alten Kinderwagen tauschte, eine fremde, unbekannte Gestalt. Dennoch: Blicken wir einmal zurück. Die Bilder und Texte auf diesen Seiten können nur ein wenig von der Oberfläche der ersten Nachkriegsweihnacht zeigen: von der Not, von den Bemühungen, einen ganz neuen Anfang zu setzen, von den unbeholfenen Versuchen, mit irgendwelchen gutgemeinten Worten in der schrecklichen Leere Orientierung oder Trost zu geben. Für die Jungen unter uns, die damals noch kleine Kinder oder noch gar nicht geboren waren, reden diese Seiten von Unwirklichem. Aber ihre Eltern, das Volk, in dem sie aufwachsen — sie haben diese unvorstellbaren Jahre durchgestanden, und sie haben es verdient, daß die Jüngeren gelegentlich einmal daran denken.“
Schon 1965 war der Krieg also offensichtlich für viele bereits vergessen – oder auch verdrängt. Dabei zeigen die kurzen Ausschnitte von Artikeln, die an Weihnachten 1945 erschienen, wie hart die Umstände damals waren und wie verzweifelt man versuchte, ein Stück Normalität herzustellen.
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Weihnachtszuteilung
„Am Heiligen Abend und am ersten Weihnachtsfeiertag erhalten die Obdachlosen in den Bunkern je eine besondere gehaltvolle Mahlzeit, die Kinder noch dazu einen Printenmann. An die Kinder der politisch Verfolgten wird u. a. Kondensmilch verteilt.“
Abtransport von Trümmerschutt
„In der Luxemburger Straße wird in der kommenden Woche mit dem Abtransport des Schuttes mit Straßenbahnloren begonnen. Die Schutträumung ist nun so weit gediehen, daß die Neußer Straße, Venloer Straße, Aachener Straße, Bonner Straße, Ringstraße und Militärringstraße vollständig schuttfrei sind.“
Kölner Kriegsgefangenenlager
„Tausend deutsche Kriegsgefangene feiern heute in einem Kölner Kriegsgefangenenlager das Weihnachtsfest. Auf dem Kasernenvorplatz ist ein riesiger, von den Männern selbst in der Umgebung geschlagener Tannenbaum aufgestellt. Wenn die Kriegsgefangenen heute von der Arbeit zurückkehren, beginnt sogleich die Weihnachtsfeier.“
Ausgangssperre
„Zu Weihnachten und Neujahr gibt es in der ganzen Britischen Zone keine Ausgangssperre. Damit können alle Vorbereitungen für Weihnachtsgottesdienste getroffen werden.“
Weihnachtsbotschaft
„Oberst R. W. Jelf, der Kommandeur der Militärregierung Regierungsbezirk Köln, hofft, daß jedermann im Regierungsbezirk ein so fröhliches Weihnachtsfest feiert, wie es eben möglich ist. Er ist sich darüber klar, daß viele Orte überfüllt und die Nahrungsmittel nicht so reichlich sind, wie es wünschenswert wäre. Er hofft jedoch, daß zum nächsten Weihnachtsfest, nach harter Arbeit und Mithilfe aller, die Lebensbedingungen fast wieder normal sind, und der festlichen Zeit besser entsprechen.“
Partei-Notizen
„Der Bezirk Köln-Brück der Sozialdemokratischen Partei nahm nach zwölfjähriger Unterbrechung die alte Tradition wieder auf und lud am letzten Mittwoch 50 Kinder ohne Rücksicht darauf, welchen Glaubens oder politischen Bekenntnisses die Eltern waren, zu einer Weihnachtsfeier unter strahlendem Lichterbaum ein.“
Leserbriefe
„Es gibt 400 Gramm Süßigkeiten, aber nur für Kinder bis zu sechs Jahren. Aber auch die über sechs Jahre alten Kinder, die so viel unter dem Krieg gelitten haben, glauben noch fest an das Christkind; müssen sie auch diesmal wieder leer ausgehen? Warum bekommt z. B. ein Säugling 400 Gramm Süßigkeiten zugeteilt? Bei einer Zuteilung von 125 Gramm wäre auch den größeren Kindern, an die hoffentlich in der Zukunft auch einmal gedacht wird, eine Freude bereitet worden.“ (Frau Bleckmann, Bonn) „Im Interesse der wohnungslosen Kölner, die irgendwo in der näheren oder weiteren Umgebung eine Notwohnung bezogen haben und die dort warten, wieder in ihre Heimatstadt Köln zurückkehren zu können, möchte ich vorschlagen, daß die berufenen Stellen sich einmal über die Wohnungsbeschaffung ausführlich äußern. Das Wohnungsamt verweist jeden auf die Selbsthilfe, obwohl doch eigentlich genügend bekannt ist, daß in Köln kein bewohnbares Fleckchen mehr vorhanden ist. Es wäre ja immerhin möglich, daß man die baldige Errichtung von Barracken- oder Betonschnellbauten geplant hat.“ (W. Schmitt, Nemmenich) Erzbischof Josef Frings schrieb damals in seiner Weihnachsbotschaft: „Friede! Der Krieg ist zwar beendet, aber der Friede ist noch nicht angebrochen, und der Zwischenzustand, in dem wir uns befinden, ist überaus leidvoll. Schriftlich und mündlich, in Eingaben und in persönlicher Vorsprache habe ich mich an die Vertreter der Siegermächte gewendet, um Milderungen für unser notleidendes Volk zu erlangen. Ich habe immer wieder geltend gemacht, daß nicht das ganze Volk schuldig ist, sondern daß viele Tausende von Kindern, Alten, Müttern völlig unschuldig sind und nun gerade am meisten leiden müssen unter der allgemeinen Not.“
Zu spüren ist, dass die Menschen damals vor allem einen Wunsch hatten: Man wollte so schnell wie möglich zurück zu einem Alltag und den Schrecken vergessen. Und das ist offensichtlich passiert – wie der Rückblick von 1965 zeigt. Der Krieg war in nur zwei Jahrzehnten in weite Ferne gerückt. Und war es auch lange. Erst angesichts der politischen Weltlage ist die Kriegsangst in Deutschland wieder gewachsen. Vielleicht bekommen die 80 Jahre alten Bilder von der Stadt in Trümmern dadurch eine neue Eindringlichkeit.
Zusammengestellt von Christiane Vielhaber

