Kölner Strafverteidiger Mustafa Kaplan„Das waren Verbrechen, die wir begangen haben“

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Mustafa Kaplan

  • Mustafa Kaplan war als Jugendlicher Mitglied einer kriminellen Gang in Köln-Mülheim. Dann studierte er Jura mit dem Ziel, später als Menschenrechtsanwalt Unterdrückten zu helfen.
  • Heute vertritt der Kölner Straftverteidiger Islamisten, Mörder, Neonazis – und 2017 den türkischen Präsidenten Erdogan gegen Jan Böhmermann.
  • Wie ist es dazu gekommen?

Köln – Der Kölner Strafverteidiger Mustafa Kaplan ist bundesweit bekannt geworden als Rechtsanwalt in drei Gerichtsprozessen. 2017 hat er den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gegen Jan Böhmermann vertreten nach dessen Schmähgedicht in der Sendung „Neo Magazin Royale“. Derzeit verteidigt er den Neonazi Stephan Ernst, der im Jahr 2019 den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erschossen hat. Sein Motiv: Lübcke hatte sich für Geflüchtete eingesetzt. Im NSU-Prozess hat Kaplan ein Opfer des Nagelbombenattentats von der Keupstraße in Köln-Mülheim vertreten. In seinem autobiografischen Buch „Anwalt der Bösen“ erzählt Kaplan, warum er Menschen im Gerichtssaal verteidigt, die schwerste Verbrechen begangen haben – Mörder, Sexualstraftäter, Pädophile und Räuber. Ein Interview (das Sie hier auch als Podcast hören können). Ihr Buch heißt „Anwalt der Bösen“, weil viele Ihnen genau das vorwerfen: dass Sie böse Menschen verteidigen. Sie argumentieren, in einem Rechtsstaat habe jeder das Recht auf ein faires Strafverfahren, Sie als Rechtsanwalt hätten einen Eid geleistet, die verfassungsmäßige Ordnung zu schützen. Trotzdem hätten Sie Nein sagen können, als der türkische Präsident oder Stephan Ernst Sie angefragt haben. Mustafa Kaplan: Ich wollte aber nicht Nein sagen. Ich habe in beiden Fällen überlegt: Worum geht es? Wie kann ich helfen? Bei Stephan Ernst habe ich meine Entscheidung davon abhängig gemacht, wie das erste Gespräch mit ihm in der JVA in Kassel verlaufen würde. Ich hielt es für möglich, dass er mich nur deshalb beauftragt, um nach außen zu behaupten, dass er nicht fremdenfeindlich ist, weil er einen türkischstämmigen Anwalt hat. Am Ende war es ein normales Anwaltsgespräch, ich konnte mir die Verteidigung gut vorstellen. Auch bei Erdogan, mit dem ich nie direkt kommuniziert habe, war der Kontakt über sein Büro sehr professionell, die Zusammenarbeit hat fantastisch geklappt.

Gibt es Straftäter, die Sie nicht verteidigen würden?

Auf jeden Fall. Das hat aber nichts mit der Schwere der Straftat zu tun. Mir ist wichtig, dass ich freie Hand habe bei der Arbeit, dass mir der Mandant oder dessen Freunde und Familienangehörige nicht vorschreiben, wie ich zu verteidigen habe. Das funktioniert nicht. Stellen Sie sich vor, ich hätte von rechten Kameraden oder Ex-Kameraden von Stephan Ernst Argumentationshilfe für die Hauptverhandlung bekommen oder Anweisungen, wie ich die Familie Lübcke oder das Gericht anzugehen habe. Niemals würde ich mich so instrumentalisieren lassen.

Viele Straftäter dürften aufgrund psychischer Auffälligkeiten gar nicht in der Lage sein, kooperativ mit Strafverteidigern zusammenzuarbeiten. Verdienen die kein faires Verfahren?

Es gibt genügend Strafverteidiger, die bereit sind, anders als ich zu arbeiten. Ich kann das nicht. Ich ziehe eine klare Linie, gerade bei spektakulären oder Staatsschutz-Prozessen. Denn da sehe ich mich schon per se dem Vorwurf ausgesetzt, mich instrumentalisieren zu lasen – und das möchte ich nicht bestätigen. Deswegen bin ich da rabiat.

Wenn Sie wissen, dass Ihr Mandant beispielsweise eine schwere Vergewaltigung begangen hat: Würden Sie die Glaubwürdigkeit des Opfers im Gericht trotzdem anzweifeln, wenn die Beweislage nicht eindeutig ist?

Ganz schwierige Frage. Um nicht in die Situation zu kommen, will ich von den Mandanten meistens gar nicht erfahren, was passiert ist. Denn ich kann mich im Gerichtssaal nicht hinstellen und gegen mein Wissen einen Sachverhalt vortragen.

Sie dürfen nicht lügen?

Genau. Angeklagte dürfen lügen, Verteidiger nicht. Darum lasse ich mir von meinen Mandaten nur vom Vorwurf berichten, aber ausdrücklich nicht davon, was passiert ist. Dann lese ich mir die Akte durch und sehe: Welche Indizien gibt es? Das ist ein Spagat im Gehirn. Natürlich kann ich bei Zeugen in der Verhandlung dann auch Widersprüche herausarbeiten. Viele Mandanten reden wie ein Wasserfall, wenn ich sie das erste Mal treffe, und wollen mir erzählen, was passiert ist. Dann stoppe ich die. Bei Stephan Ernst war das anders: Es war klar, dass er geschossen hat. Das hatte er schon mehrfach ausgesagt, das stand in den Akten.

Viele Strafverteidiger werden aber doch wissen, was ihre Mandanten getan haben.

Das will ich nicht ausschließen. Ich kann nur sagen, wie ich arbeite.

Wenn ein Mandant sich bei Ihnen verplappert, wie gehen Sie vor?

Dann braucht man einen Plan B. Dann könnte ich gucken, ob man einen Täter-Opfer Ausgleich hinbekommt, ob ein Geständnis des Mandanten den Schaden minimieren würde. Das wäre die richtige Vorgehensweise.

Sie geben im Buch zu, dass Sie als Jugendlicher selbst kriminell waren. Was war das für eine Gang, der Sie sich angeschlossen haben?

Die Gang in Köln-Mülheim nannte sich Peppies. Ich bin da als 16-Jähriger reingerutscht über einen Freund. Wir haben angefangen mit kleineren Schlägereien, dann haben wir angefangen, Leute „abzuziehen“. Damals gab es ja noch keine Handys, aber teure Jacken. Dann sind wir in Autos eingebrochen, haben die Radios geklaut. Das war eine ganz schräge Phase von mir. Es war dumm, falsch und hätte komplett in die Hose gehen können.

Sie hätten im Gefängnis landen können.

Definitiv. Das waren echte Verbrechen, die wir begangen haben. Die Polizei hat mich aber nie erwischt. Ich bin froh, dass ich es geschafft habe, rechtzeitig auszusteigen.

Sie sind als Achtjähriger aus der Türkei nach Mülheim gezogen, ohne ein Wort Deutsch zu können, völlig entfremdet von ihren Eltern. Wie war das für Sie?

Nicht schön. Ich wollte nicht nach Deutschland. Ich hatte in der Türkei bei meinen Großeltern gelebt und meine Eltern nur alle zwei Jahre gesehen, wenn sie zu Besuch waren. Das war eher ein Aufeinandertreffen von Fremden. Ich war immer froh, wenn sie weg waren. In den ersten Jahren hatte ich in Köln keine Freunde, konnte kein Deutsch und hatte kein richtiges Verhältnis zu meinen Eltern. Erst nach und nach fand ich Freunde, spielte Fußball.

Sie schildern in Ihrem Buch Rassismus-Erfahrungen. Ein Junge in der Klasse hat Sie als stinkender Türke beschimpft. Haben Sie viele solcher Erfahrungen gemacht?

Ich lebe seit 1976 in Deutschland, seitdem habe ich mehr positive als negative Erfahrungen gemacht. Dieser konkrete Fall ist in der Gesamtschule passiert, achte Klasse. Ein neuer Junge saß in der Reihe hinter mir und flüsterte hinter meinem Rücken „Türken stinken“. Ich war irritiert. Als er weitermachte, bin ich aufgestanden und habe ihm eine geknallt. Das war falsch, aber ich war von der Situation überfordert. Meine Lehrerin wollte mir deutlich machen, dass Gewalt keine Lösung ist. Damals habe ich das nicht eingesehen.

Sie lebten im Spagat zwischen Ihrer traditionellen Familie und dem freieren Leben in Deutschland. Irgendwann ist das eskaliert.

Meine Eltern haben in der Türkei eine ganz geringe Bildung genossen. Meine Mutter war gar nicht auf der Schule, mein Vater hatte nur ein paar Jahre Grundschule. Er ist auch nicht als Akademiker gekommen, sondern als Gastarbeiter. Er hatte keine Ahnung, worauf man in Deutschland Wert legt, was sexuelle Aufklärung ist, wie man sich mit Politik auseinandersetzt. Die Familien meiner Freunde waren liberal eingestellt, da wurde über Politik diskutiert. Über bestimmte Themen habe ich mit meinen Eltern irgendwann nicht mehr gesprochen. Über Politik, über meine Freundinnen, auch nicht darüber, wie ich meine Zukunft plane, ob ich Abitur mache oder studiere. Mit 19 bin ich von zuhause ausgezogen, gegen den Willen meiner Eltern.

Sie waren der Erste in ihrer Familie, der Abi gemacht hat und studiert hat. Ein Freund überredete Sie zum Jura-Studium mit der Begründung, man könne anschließend als Menschenrechtsanwalt arbeiten, etwas für die Unterdrückten tun. Heute verteidigen Sie Rechtsextreme, Kinderschänder und Islamisten.

Das war eine sehr naive, unrealistische Vorstellung damals. Gleichwohl hat sie mir geholfen, mein Studium durchzuziehen. Und ich sorge heute bei den unterschiedlichen Mandanten, die ich vertrete, für ein rechtsstaatliches Verfahren. Das ist eine sehr große Verantwortung. Die Rolle des Strafverteidigers ist dabei genauso wichtig wie die des Richters und des Staatsanwalts. Insofern tue ich in abgewandelter Form schon auch das, was mich beim Studium angetrieben hat.

Bei Tätern kann man nicht von Unterdrückten sprechen.

Sie haben recht, wenn man vom Vorwurf ausgeht. Aber ein Angeklagter in einem Strafverfahren hat den Staat gegen sich. Und er hat nur eine einzige Person, die ihm hilft, ein sachgerechtes und rechtsstaatliches Ergebnis herbeizuführen - auch wenn jetzt viele Richter widersprechen werden. Das ist der Verteidiger. Wenn am Ende aufgrund von Fehlern des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft ein falsches Urteil gefällt wird, ist auch ein Angeklagter ein Opfer. Ich versuche das zu verhindern.

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Das Jurastudium bereitet nicht auf den Beruf als Strafverteidiger vor, schreiben Sie. Welche Fehler haben Sie anfangs gemacht?

Bei meinem ersten Fall vor dem Amtsgericht Leverkusen wollte ich 1000 D-Mark Schmerzensgeld für meinen Mandanten einklagen, der übelst zusammengeschlagen worden war. Das hat mir vom Richter einen Rüffel eingetragen. Ob ich die üblichen Sätze für Schmerzensgeld nicht kennen würde? Die Summe sei viel zu niedrig. Ich war froh, dass der Mandant nicht dabei war. Der war am Ende froh über 3000 D-Mark.

Sie hatten Ihre erste Anwaltskanzlei in Mülheim und haben auch Mitglieder Ihrer alten Gang vertreten. Kommt dann plötzlich ein Anruf aus dem Gefängnis?

Entweder so, oder es kommt Post. Manchmal kontaktieren mich auch Freunde oder die Familie des Inhaftierten. Bei meiner alten Gang war alles Mögliche dabei: Körperverletzung, Fahren ohne Fahrerlaubnis, Steuerhinterziehung, Messerstecherei. Die hatten mit mir als Anwalt weniger Berührungsängste. Aus dem gleichen Grund habe ich auch viele türkische Klienten. Ich habe erst zu dem Zeitpunkt gemerkt, dass mir die Strafverteidigung mir am besten liegt. Scheidungs-Anwalt wollte ich nicht werden. Einen Freispruch für jemanden zu erwirken, ist ein schönes Gefühl.

Wie ist Erdogan auf Sie als Anwalt gekommen?

Das weiß ich bis heute nicht. Ich hatte damals im Zusammenhang mit dem NSU-Prozess ein paar Interviews gegeben. Ich war auch nicht der einzige Anwalt, der gefragt worden ist. Beim ersten Telefonat mit seinem Büro habe ich gesagt, ich könnte mir das vorstellen. Vierzehn Tage später kam die Zusage. Bis dahin hatte ich niemandem von der Anfrage erzählt, auch meiner damaligen Frau und den Kindern nicht. Ich dachte mir: Das wird sowieso nichts, trotzdem cool, dass du gefragt worden bist.

Sie machen in dem Buchkapitel, in dem es um den Prozess gegen Jan Böhmermann geht, keinen Hehl aus Ihrer Verachtung gegen ihn, während Sie für die Straftäter oder „Bösen“ in Ihrem Buch – inklusive Erdogan – keine derartigen Emotionen aufbringen. Das wirkt befremdlich.

Ich verachte Jan Böhmermann nicht, ich kenne ihn ja gar nicht. Ich finde aber, dass er mit seinem sogenannten Schmähgedicht bewusst den Krawall gesucht hat. So habe ich das schon empfunden, bevor der Anruf aus Ankara kam. Mich hat das verärgert. Er hat den Skandal gesucht, er wusste, dass er Ankara provoziert, auch, indem er Sexualität in dieses Gedicht bringt. Ich habe mir die Frage gestellt: Worum geht es Herrn Böhmermann? Geht es ihm wirklich darum, die Kunst und Meinungsfreiheit hochleben zu lassen, einen Beitrag zur Stärkung der Opposition in der Türkei zu leisten? Nein, es ging ihm nur um sich selbst. Und über meine Mandanten spreche ich nicht negativ, auch wenn ich deren politische Einstellungen in den meisten Fällen nicht teile. Ich bin seit über 20 Jahren Mitglied bei den Grünen. Würde ich nur Klienten aus dem Milieu nehmen, könnte ich meine Miete wohl nicht bezahlen.

Das Schmähgedicht hatte eine Vorgeschichte: das Lied „Erdowie, Erdowo, Erdogan“ in der NDR-Satire Sendung „extra 3“. Erdogan ließ danach zweimal den deutschen Botschafter einbestellen. Diese höchst fragwürdige Reaktion war ja erst der Anlass für Böhmermann, zu fragen: Was darf Satire? Was ist von Kunstfreiheit gedeckt?

Richtig. Es war keine spontane Aktion von Herrn Böhmermann. Er wusste ganz genau, an welchen Hebeln er ziehen muss, damit Ankara wieder reagiert. Aus der schriftlichen Einlassung des Anwalts von Herrn Böhmermann geht hervor, dass das Gedicht ein Produkt mehrerer Teamsitzungen ist, wo Herr Böhmermann dafür gesorgt hat, dass das Gedicht immer noch ein bisschen mehr beleidigend wird. Die Vorgeschichte ist in meinen Augen eher belastend für Herrn Böhmermann, nicht entlastend.

Die Unterschiede zwischen einem autokratischen Staat und einem liberalen, pluralistischen Land darstellen zu wollen, ist nicht legitim?

Die Entscheidung, gegen dieses Schmähgedicht vorzugehen habe ich nicht getroffen. Sobald ich in den Fall involviert worden bin, ging es mir darum, ein gutes Ergebnis für den Mandanten rauszuholen. Gucken wir doch mal, was passiert ist: Das Oberlandesgericht hat entschieden, dass 18 von 24 Zeilen im Gedicht verboten bleiben. Das, was Jan Böhmermann gemacht hat, war falsch. Punkt.

Sie argumentieren, Jan Böhmermann hätte nicht nur Erdogan beleidigt, sondern auch das gesamte türkische Volk. Wie kommen Sie darauf?

Dafür muss man sich die Sendung vor Augen führen. Wenn ich mich richtig erinnere, war im Hintergrund der Sendung die türkische Fahne eingeblendet, es gab türkische Untertitel. Damit wollte er sicherstellen, dass auch Menschen in der Türkei den Fall mitbekommen. Dass Witz und Satire provozieren sollen, damit habe ich kein Problem. Mir ging es nicht darum, türkisches Recht in Deutschland zur Anwendung zu bringen. Aber in diesem Fall ist juristisch klar, entschieden worden, was Satire darf und nicht darf. Das gilt auch für Herrn Böhmermann.

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Mustafa Kaplan (l.) mit Stephan Ernst

Sie schreiben im Kapitel: „Als erste Drohungen von Erdogan Anhängern publik wurden, verkroch sich der ZDF-Dichter in seinem Haus in Köln und ließ sich rund um die Uhr von Polizeibeamten bewachen eben von jenen Ordnungshütern, die zuvor ebenfalls verhöhnt hatte.“ Sie implizieren damit Feigheit, obwohl es sehr ernstzunehmende Drohungen gab. Hätte Böhmermann etwa seinen Tod in Kauf nehmen sollen?

Überhaupt nicht. Nein. Ich bin ein großer Fan von Harald Schmidt und Dieter Nuhr. Das sind für mich Leute, die das Publikum qualitativ hochwertig zum Nachdenken bringen. Jan Böhmermann nehme ich so wahr, dass er immer nur Leute niedermacht. 2006 während der WM in Deutschland hat er sich ständig über Lukas Podolski lustig gemacht. Damit war ich als Kölner und FC-Fan nicht einverstanden. Podolski ist nicht erfolgreich in der Nationalmannschaft gewesen, weil er Akademiker ist, weil er aus einer gebildeten und klugen Familie stammt und kluge Sätze von sich gibt. Er hat einen guten Linksfuß und ist torgefährlich. Ich fand das gemein, wie er mit ihm umgegangen ist. Und darum räume ich ehrlich ein, dass ich das Mandat für Herrn Erdogan gerade deshalb, weil es gegen Jan Böhmermann ging, gerne ausgeübt habe. Ich bin echt happy darüber, dass das Bundesverfassungsgericht unserer Linie gefolgt ist.

Sie vermischen also persönliche Motive mit Ihrem Mandat?

In diesem speziellen Fall ja.

Sie werfen Jan Böhmermann vor, das nur für sein Ego getan zu haben, dass er ein Selbstdarsteller ist. In Ihrem Buch schreiben Sie aber auch, dass es Ihrem Ego schmeichelte, als Erdogan anfragte und dass Ihre heutige Ex-Frau Ihnen in dem Zusammenhang vorwarf, ein Selbstdarsteller zu sein. Sind Sie selbst das, was Sie Herrn Böhmermann vorwerfen?

Ich suche als Anwalt nicht gezielt nach Mandaten, wo der Publicity-Effekt mit eingeplant ist. Aber es ist für mich auch kein Ausschluss-Kriterium, wenn ich den Fall spannend finde und ich mit dem Mandanten zusammenarbeiten kann. Dann nehme ich das in Kauf.

Einige Freunde haben sich abgewandt, ehemalige Kommilitonen auch. Für Ihre Ex-Frau war das Erdogan-Mandat Anlass, sich zu trennen. Rückblickend betrachtet: War es das wert?

Wenn ich bei jeder Entscheidung für ein Mandat überlegen würde, was das in der Zukunft mit sich bringen könnte, würde ich mir ständig selbst im Weg stehen. Das Mandat war natürlich nicht der einzige Grund für die Scheidung. Freunde wenden sich ab, das kann man nicht verhindern. Und ich habe natürlich auch Freunde, die komplett hinter mir stehen, die verstehen, warum ich Menschen verteidige, die nur wenige verteidigen wollen.

Die Adresse Ihrer Kanzlei auf der Venloer Straße in Ehrenfeld geben Sie im Internet öffentlich an – obwohl Sie Hassmails und Drohungen erhalten haben. Warum?

Ich bin Strafverteidiger und muss für meine Mandanten auffindbar sein. Ich habe meine Internetseite vor zehn Jahren eingerichtet und seitdem nicht mehr verändert. Spinner, die mich bedrohen, wissen dann eben, wo meine Kanzlei ist.

Derzeit vertreten Sie den Neonazi Stephan Ernst, der den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke 2019 erschossen hat. Wie ist Ernst auf Sie gekommen?

Als der Anruf im Frühjahr 2020 kam, war ich überrascht und dachte, es liegt ein Missverständnis vor. Im Gespräch mit ihm habe ich dann erfahren, dass er wusste, dass ich Erdogan vertrete und da seiner Meinung nach gute Arbeit geleistet habe. Und kurz vor dem Anruf gab es noch einen Vorfall am Kölner Amtsgericht. Eine Richterin war mit meiner Art zu arbeiten, nicht einverstanden und ließ Wachtmeister rufen, um mich aus dem Saal entfernen zu lassen, falls ich sie weiter „stören“ sollte. In Absprache mit meinem Mandanten habe ich dann einen Befangenheits-Antrag gestellt. Mein Antrag hatte Erfolg, was für mich wichtig war und medial Aufsehen erregt hat. Richter können nicht einfach unliebsame Verteidiger einschüchtern. Das hatte Stephan Ernst ebenfalls imponiert.

Zur Person

Mustafa Kaplan ist 54 Jahre alt, er hat zwei Kinder. Seine Kanzlei hat ihren Sitz in Ehrenfeld auf der Venloer Straße. Sein Vater zog als sogenannter Gastarbeiter nach Köln, um bei Ford zu arbeiten. Sein Buch „Anwalt der Bösen“ ist im Piper-Verlag erschienen. Co-Autor ist Axel Spilcker, der als freier Journalist auch für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ schreibt.

Mit was für einem Gefühl fährt man als Anwalt zu einem Neonazi ins Gefängnis, der einen Menschen erschossen hat?

Er war nicht mein erster Mandant, der einen Menschen getötet hat. Aber ich wusste, was man ihm vorwirft und auch, was er in der Vergangenheit getan hat. Als Walter Lübcke starb, habe ich auf meiner Facebook-Seite gepostet: Das ist ein Angriff auf unseren Rechtsstaat, ein Angriff auf uns alle. Ohne zu ahnen, dass genau dieser Mann mich später beauftragen würde. Ich wusste, dass er in den Jahren zuvor einen Imam in Wiesbaden mit einem Messer attackiert hatte, dass er versucht hatte, ein Haus, in dem Ausländer leben, anzuzünden. Er hat sich in der Haft auch mit ausländischen Gefangenen geprügelt. Ich war darauf vorbereitet, das Gespräch nach wenigen Minuten wieder zu beenden. Und für mich war klar, dass ich mich nicht instrumentalisieren lasse.

Böhmermann dpa

Jan Böhmermann

Wie können Sie sicher sein, dass Ernst Sie nicht doch wegen Ihrer türkischen Vita ausgesucht hat?

Klar, Menschen können lügen. Wer weiß das besser als ich? Aber ich hatte den Eindruck, er meint das ernst und will mit mir zusammenarbeiten, weil er mit seinen bisherigen Anwälten nicht zufrieden ist.

Stephan Ernst ist am Oberlandesgericht Frankfurt für den Mord an Walter Lübcke verurteilt worden. Sie haben Revision vor dem Bundesgerichtshof eingelegt. Sie plädieren auf Totschlag. Warum?

Was ist der Unterschied zwischen Mord und Totschlag? Bei beidem ist das Opfer tot. Bei beidem ist auch Vorsatz im Spiel. Bei Mord müssen aber weitere Mordmerkmale hinzukommen, Heimtücke, Habgier oder niedere Beweggründe. Ich bin der Meinung, dass die angeklagte Heimtücke nicht vorliegt, weil es vor der Tötung zwischen Stephan Ernst, dem Mitangeklagten Markus H. und Doktor Lübcke zu einem verbalen Streit gekommen ist. Mein Mandant hatte da bereits die Waffe in der Hand. Walter Lübcke war also wehrlos, aber nicht arglos, als der Schuss fiel. Ich habe diese juristischen Kategorien nicht erfunden, ich wende sie nur an. Auch die „niederen Beweggründe“ habe ich abgelehnt – mit einer Begründung, die mir viel Kritik eingebracht hat. Aber auch die ist juristisch nicht auf meinem Mist gewachsen. Mein Mandat ist seit vielen Jahren fest verankert in der Neonazi-Szene und ist in seiner rechtsextremistischen Blase zu der festen Überzeugung gekommen, dass seine Tat im allgemeinen Interesse ist. Beim Prozess nach dem Attentat auf Henriette Reker hat das Oberlandesgericht Düsseldorf genauso entschieden. Das Oberlandesgericht Frankfurt hat es anders gesehen als ich. Das ist in rechtlicher Hinsicht absolut vertretbar, so wie auch meine Meinung vertretbar ist. Nun ist es die Aufgabe des Bundesgerichtshofs zu entscheiden, was richtig ist.

Bei Erdogan ist das Honorar mutmaßlich üppig ausgefallen, bei Stephan Ernst sind Sie Pflichtverteidiger. Rechnet sich die Arbeit für Sie finanziell? Oder rechnet es sich für Sie durch die Bekanntheit, die Sie in dem Prozess erlangen?

Bei Stephan Ernst reden wir von einem Staatsschutz-Prozess. In solchen Fällen mache ich ohnehin nur Pflichtverteidigung. Ich will kein Geld von Familie, Freunden oder Verwandten des Angeklagten nehmen müssen, um mich im Nachhinein darüber zu ärgern, wenn es Einfluss-Versuche gibt. Manchmal sind Mandate gut bezahlt, manchmal nicht. Im Fall Stephan Ernst würde ich sagen: Ich bin ganz zufrieden mit den Pflichtverteidiger-Gebühren des Oberlandesgerichts Frankfurt. Würde ich alle Stunden zusammenzählen, die ich investiert habe, wäre mein Stundenlohn vermutlich geringer als der eines gewöhnlichen Handwerkers. Aber das ist halt so.

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