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Kölner Holocaust-ÜberlebendeFaye Cukier wird heute 100 Jahre alt

Lesezeit 4 Minuten
Faye Cukier

Faye Cukier feiert am Mittwoch mit Angehörigen ihren 100. Geburtstag.

Köln – Wenn man sie nach ihren Kölner Kindheitserinnerungen fragt, fällt Faye Cukier als Erstes ihr „scheußlicher Lehrer Bodewich“ ein, der ihr so oft Ohrfeigen gegeben habe. Ihre Kindheit sei sonst glücklich gewesen. „Ja, sehr sogar!“ Aber dann kam Hitler. Sie erinnert sich, wie sie als 16-Jährige auf der Keupstraße von Jugendlichen mit Steinen beworfen und beschimpft wurde.

Die alte Dame, die noch bis weit über 90 ins Tanzcafé ging und als temperamentvolle Nachtschwärmerin bekannt war, sitzt im Rollstuhl. Sie trägt ein lila Hütchen, die Nägel sind rot lackiert. Gut auszusehen ist ihr heute so wichtig wie es ihr immer schon war.

Meistens antwortet Cukier inzwischen kurz, nicht jedes Detail ihres bewegten Lebens ist ihr präsent. An die antisemitischen Sprüche der Jugendlichen kann sie sich allerdings sehr genau erinnern: „Jüd, Jüd, Jüd, hepp, hepp, stecke mir de Nas in de Wasserschepp.“ Und: „Un wenn d’r Jüd gestorve is, stecke mir en in de Eierkess.“ Kurze Zeit nach dem Angriff samt antisemitischen Sprüchen auf der Keupstraße beschloss ihre Familie, Köln zu verlassen. Am 11. September 1938 floh Faye mit ihrer Mutter nach Belgien. Die Firma des Vaters wurde in dieser Zeit arisiert – er kam später nach. Am heutigen Mittwoch wird die Kölner Holocaust-Überlebende Faye Cukier 100 Jahre alt.

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Corona zwang die Kölnerin in die Isolation

Auf die Frage, ob sie es für möglich gehalten hätte, so alt zu werden, öffnet sie ihre Hand und zeigt auf ihre Lebenslinie: „Ja, klar, da sehen Sie es!“ Die vergangenen zwei Jahre müssen schwierig gewesen sein für Cukier, die bis vor einigen Jahren zwischen Köln und Pennsylvania gependelt ist. Sie war immer am liebsten unter Menschen – Corona zwang sie in die Isolation.

Das Elternheim der Synagogengemeinde in der Ottostraße, in dem sie lebt, traf die Pandemie mit trauriger Wucht – im Februar 2021, als viele Hochbetagte schon geimpft waren, gab es einen schweren Ausbruch mit vielen Toten.

Genauer als die Pandemie erinnert Cukier ihr Glück, dem Vernichtungslager entkommen zu sein. In Belgien – die Familie floh von Versteck zu Versteck – wurde sie eines Tages von einem Nazi-Polizisten verhaftet. Doch dann sei das Unwahrscheinliche geschehen: „Der hat angefangen, mit mir zu flirten.“ Und die junge Frau, in Köln als „Schönheit von Müllem“ bekannt, flirtete ein bisschen zurück. Der Mann habe sie laufen lassen. „Da hatte ich Glück.“

Kölnerin schreibt Buch über ihre Geschichte

Wie viele Überlebende hat Faye Cukier ihre Geschichte lange Zeit nicht erzählt. Weil sie sich – da sie dem Konzentrationslager entkommen war – sogar ein bisschen schämte, dieses Glück gehabt zu haben. In den 1990er Jahren begann sie, ihre Geschichte aufzuschreiben. Sie lebte inzwischen nur noch im Winter in Köln, die Sommer verbrachte sie in Pennsylvania. Ein Lektor in den USA ermutigte sie zu ihrer Biografie. Für ihr Buch „Fleeing the Swastika“ fand sie schnell einen amerikanischen Verlag. In Deutschland dauerte es bis 2012, als der Kölner Emons-Verlag das Buch unter dem Namen „Flucht vor dem Hakenkreuz“ herausgab.

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In ihrem Buch und in Gesprächen mit Jugendlichen an Schulen, die sie noch mit über 90 besuchte, betonte Cukier immer die guten Seiten ihres Lebens. Sie erzählte lieber von ihrer Arbeit als Model in den USA nach dem Krieg als von ihren antisemitischen Erfahrungen in Deutschland. Sie berichtete, wie sie im belgischen Exil mit Diamanten handelte. Sie lachte, wenn sie erzählte, dass sie noch als gestandene Frau Bauchtanzlehrerin wurde und als alte Dame die Kölner Tanzbars enterte. In den Erzählcafés des Bundesverbands für NS-Verfolgte forderte sie andere Überlebende schonmal zu einem Walzer auf.

„Immer versucht, dem Leben mit Humor zu begegnen“

Am liebsten wäre Faye Cukier Schauspielerin geworden. „Ja, das war immer mein Traum“, sagt sie. Immerhin wurde sie mit weit über 80 noch zum Werbegesicht der Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB). „Da hat man mich ein Jahr lang überall gesehen“, sagt sie.

Wenn man sie an wichtige Stationen ihres langen Lebens erinnert, lacht Faye Cukier wie ein Mädchen. „Ich habe immer versucht, dem Leben mit Humor zu begegnen, auch in den schlimmsten Tagen“, hat sie dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vor zehn Jahren gesagt. Und: „Ich habe lieber getanzt und gesungen, als Angst zu haben.“

Um ihren 100. Geburtstag zu feiern, reisen ihre Tochter und Enkel aus den USA an, auch alte Freundinnen und Freunde haben sich angemeldet. Gemeinsam werden sie sich Geschichten aus Faye Cukiers eindrucksvollem Leben erzählen. Geschichten, die nicht oft und lange genug erzählt werden können.

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