35 Jahre in der AltstadtWie man von Haiti ins Kölner „Haxenhaus“ kommt

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Wilhelm H. Wichert mit Ehefrau Chantal und Sohn Frederic

Wilhelm H. Wichert (rechts) mit Ehefrau Chantal und Sohn Frederic

Wilhelm H. Wichert führt seit 35 Jahren das „Haxenhaus“. Was Haiti damit zu tun hat und warum er das Bayern-Schmankerl nach Köln brachte.

Von Haiti ins „Haxenhaus“. Diesen Weg ist Wilhelm H. Wichert gegangen. Vom Erftstädter Jung zum Chef des feinsten Hotels auf der Karibikinsel bis zum Wirt des „Haxenhaus“ in der Altstadt, das er in diesem Dezember seit 35 Jahren führt.Viel Aufsehen macht er nicht um sein Jubiläum, vielleicht liegt das aber auch daran, dass er ohnehin immer im Gespräch ist. Wenn es um die Altstadt geht, dann ist er immer einer der Ersten, der gefragt wird.

Dabei stammt Wichert aus Elsdorf und kam erst über einen großen Umweg nach Köln. „Und das war so“, beginnt er seine Geschichte. 1973 betrieb seine Familie ein Steakhouse in Bedburg. „Gibt es heute noch: das ‚Ici‘.“ Über einen Freund lernte er den Schwiegersohn des haitianischen Botschafters kennen. Und der lud die jungen Männer auf seine Heimatinsel ein. „Ich wusste gar nicht, wo das war, dachte an Hanoi oder Hawaii. Ich kannte bis dahin nur Torremolinos.“

Erftstädter Jung fand auf Haiti seine große Liebe

Nach zwei Wochen Französisch-Crashkurs fuhren die beiden. „Als blonde, blauäugige Deutsche waren wir da natürlich eine Attraktion.“ Und für Wilhelm (damals 25) war die schöne junge Haitianerin, die beim Empfang zwischen ihm und seinem Freund saß, ebenfalls Attraktion. Chantal (damals 21) hatte in den USA studiert und half den Rheinländern, die die Französisch-Brocken bereits wieder vergessen hatten. „Ich war sofort Feuer und Flamme“, erinnert sich Wichert (74). Und seine Frau (69) lacht: „Mir ging das alles zu schnell.“

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Chantal und Wilhelm H. Wichert auf Haiti

Chantal und Wilhelm H. Wichert auf Haiti

Jedenfalls war Wilhelm H. Wichert nach drei Monaten mit einem Verlobungsring wieder auf der Insel, wurde erhört und blieb. Chantals Schwager gehörte das größte und feinste Hotel von Haiti, das „El Rancho“ (gibt es auch noch), Wichert wurde der Chef. Seine Frau spezialisierte sich im Tourismus,  machte das Marketing für die nationale Fluggesellschaft, hatte das größte Reisebüro der Insel. „Wir haben gelebt wie Gott in Frankreich.“ Doch dann wurde die politische Situation immer schwieriger. 1986 wurde „Baby Doc“ Jean-Claude Duvalier, der die Insel diktatorisch regiert hatte, abgesetzt. Danach folgte Chaos.

1988 zog das Ehepaar mit drei kleinen Söhnen nach Köln. Wichert hatte in der „Allgemeinen Hotel- und Gastronomiezeitung“ ein Inserat für das „Bier- und Schnitzelhaus“ in der Altstadt entdeckt. Abgesehen davon, dass vor der Tür auch Wasser war, hatte das mit dem exotischen alten Arbeitsplatz nichts gemein. Fachfrau Chantal Wichert aber wusste schnell: „Aus dieser Lage muss sich was machen lassen: Rheinblick, Dom in der Nähe, alles andere auch zu Fuß erreichbar.“ Die wunderschöne Kölner Decke, die klassizistische Holztreppe, der riesige Schrank von 1850, das war doch was.

Die Haxen-Idee für die Kölner Altstadt kam über Nacht

„Am Anfang haben wir erstmal die Nachbarschaft beobachtet.“ „Fitting in, standing out“ – reinpassen, aber etwas Besonderes bieten, sei sein Credo gewesen, sagt Wichert. „Die Idee kam über Nacht. Ich bin nach München gefahren, habe mir die Sache mit den Haxen angeguckt, habe auf der Rückfahrt die Speisekarte geschrieben.“ 1991 wurde aus dem „Schnitzelhaus“ das „Haxenhaus“.

Das Konzept stieß zunächst auf Skepsis. „Der Koch zog die Schürze aus und kündigte. Und die Nachbarn sagten: Du bist bekloppt, Haxen haben doch nichts mit Köln zu tun.“ Doch Wichert sah es global: „Seien wir mal ehrlich: Für die meisten Touristen von weit her ist Deutschland eh synonym mit Bayern. Die erwarten Haxen.“ Im Gegensatz zum kölschen Hämmchen mit der dicken Schwarte, das etwa ein Kilogramm schwer ist, darf eine „Haxenhaus“-Haxe höchstens 850 Gramm wiegen. Haxen werden nicht gekocht wie Hämmchen, sondern über Stunden gesimmert. Vor dem Servieren werden sie dann im Ofen gegrillt. Das Fleisch ist sehr mager.

Hochwasser an Weihnachten 1993: Wilhelm H. Wichert paddelt durch sein Lokal.

Hochwasser an Weihnachten 1993: Wilhelm H. Wichert paddelt durch sein Lokal.

Auf der Speisekarte stehen 14 Varianten wie die „Schweinshaxe Herzog“ mit Calvados-Sauce, die „Haxe Kölner Art“ mit Flönz und die aufrecht stehende „Haxe Beijing“ mit Ingwer-Krautsalat und süß-saurem Dip. Außerdem gibt es hausgemachte Bratwurst, im halben oder ganzen Meter.

Der „Haxenhaus“-Wirt wurde schnell eine feste Größe in der Altstadt. Legendär sind seine Schlauchbootfahrten in seinem überschwemmten Lokal bei den großen Hochwassern 1993 und 1995. 1999 war er maßgeblich am Gastro-Konzept für die Gäste des G8-Gipfels in den Altstadt-Lokalen zuständig. Und immer wieder warb er auch bei den Kölnern für die oft geschmähte Altstadt.

Chinesische Touristen gehören zur Haupteinnahmequelle

Natürlich sind Touristen seine Haupteinnahmequelle, allen voran die Chinesen. Wichert war selbst fünfmal in China auf Promotiontour. Chinesische Gäste seien eher pflegeleicht: Sie haben es immer eilig, aber die Reiseleiter haben die Zeitpläne sehr gut im Griff. „Letzte Woche hatten wir 180 Chinesen auf einmal. Das ging ratzfatz.“ Die chinesischen Reiseleiter sprechen in der Regel Deutsch. Wenn es mit anderen Fremdsprachen Schwierigkeiten gibt, kann jemand vom Personal helfen. Im „Haxenhaus“ arbeiten Menschen aus 16 Nationen. Sohn Frederic (43), der lange in London gelebt hat und das Restaurant einmal übernehmen wird, spricht allein fünf.

Das „Haxenhaus“ am Buttermarkt von außen

Das „Haxenhaus“ am Buttermarkt

„Wichtig ist einfach eine gute Mischung der Gäste.“ Es kämen seit einiger Zeit immer mehr Kölner und Menschen aus dem Umland. „Die machen etwa ein Drittel aller Reservierungen aus“, sagt Frederic Wichert. Die Leute hätten in der Pandemie, als Fernreisen nicht möglich waren, die Altstadt neu entdeckt. „Die sind dann ganz begeistert: Also, hier ist es ja wirklich schön!“

Die Wicherts erkennen meistens schon beim Reinkommen die Psyche des Gastes. Insbesondere bei Schotten und Skandinaviern, die im Sommer besonders durstig sind, werden kurzerhand die „gepimpten“ Ein-Meter-Kölsch-Bretter eingesetzt. Da passen 0,4-Liter-Gläser drauf. Spannend ist auch immer, wie Vegetarier auf die Haxen-Wucht reagieren. Kürzlich sei ein Paar in T-Shirts mit der Aufschrift „We Are Vegan“ hereingekommen, berichtet Wichert. „Es herrschte Stille. Alle Gäste haben geguckt, wie sie die Speisekarte lesen, schließlich aufstehen und wieder gehen.“ Dabei gibt es durchaus auch Salate und Ratatouille. Was sich bis heute nicht geändert habe: „Frauen bestellen eher keine Haxe, sondern den Salat. Hängen dann aber sofort mit ihrer Gabel auf dem Teller des Mannes.“

„Die Zügel in der Hand behalten“, wenn etwa Junggesellenabende zu laut werden etwa, sei das Wichtigste im Gastraum. Und wenn der Saal mal eine Ansage braucht, dann sorgt Wichert für Ruhe, indem er mit einem Löffel an ein Glas schlägt und dann erzählt (in der Regel auf Englisch), dass das denkmalgeschützte „Haxenhaus“ eines der ältesten Gebäude in der Altstadt ist. Sohn Frederic macht diese Gastgeberkunst ebenfalls sehr viel Spaß: „Das ist hier wie eine Theateraufführung. Jeden Tag mit anderen Mitwirkenden.“

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