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Stichwahl in der TürkeiAutokorso und Jubel vor der Moschee – Erdogan-Anhänger feiern in Köln und NRW

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Türkeistämmige haben am Sonntag in Köln den Wahlsieg von Erdogan gefeiert

Türkeistämmige haben am Sonntag in Köln den Wahlsieg von Erdogan gefeiert.

Erdogan hat die Stichwahl für sich entscheiden können. In Deutschland erhält der Staatspräsident der Türkei viel mehr Stimmanteile als in der Heimat. In Köln und NRW sind die Ergebnisse zum Teil noch besser.

Autokorsos fahren hupend über die Kölner Ringe und jubelnde Menschen versammeln sich euphorisch türkische Flaggen schwingend vor der großen Ditib-Zentralmoschee in Ehrenfeld. Szenen, die sich am späten Sonntagabend (28. Mai) zugetragen haben. Anhänger des türkischen Präsidenten haben spontan gefeiert.

Denn Recep Tayyip Erdoğan hat die Stichwahl in der Türkei für sich entscheiden können. Mit 52,2 Prozent der Stimmen holte er mehr Stimmen als sein sozialdemokratischer Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu, der nur 47,8 Prozent der Wählerinnen und Wähler überzeugen konnte.

Seit 20 Jahren steht der 69-jährige Erdoğan bereits an der Spitze der Türkei, 2003 zunächst als Ministerpräsident, seit 2014 und seit Sonntag für weitere fünf Jahre als Staatspräsident.

Vereinzelt Auseinandersetzungen in Dortmund und Mannheim

Die Anhängerinnen und Anhänger in Köln feierten friedlich. Es habe zwar durchaus Einsätze wegen „zwei bis drei Autokorsos im Stadtgebiet“ und „vereinzelten Zusammenschlüssen von Menschen“ gegeben, wie die Leitstelle der Polizei Köln dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ mitteilte, aber sie seien allesamt störungsfrei abgelaufen.

In anderen deutschen Städten gab es ebenfalls ähnliche Feierlichkeiten von Erdogan-Anhängern, teilweise auch deutlich größer: In Duisburg-Marxloh sollen bis zu 5000 Menschen unterwegs gewesen sein. Und ein größerer Autokorso legte am Sonntagabend den Dortmunder Wall lahm. Hier kam es wie auch in Mannheim zu vereinzelten Auseinandersetzungen. Abgesehen davon: Alles überwiegend friedlich.

Wahlergebnis in Köln: 68,5 Prozent für Erdoğan

Der friedliche Jubel steht im Kontrast zu dem, was sie eigentlich feiern. Denn der Wahlsieg Erdoğans dürfte bedeuten, dass die Türkei noch weniger demokratisch werden dürfte, ist sich der Kölner Politik- und Sozialwissenschaftler Kemal Bozay sicher. Er ist Professor für Sozialwissenschaften an der Internationalen Hochschule in Köln. 

Erdoğan stehe nämlich, genauso wie seine Partei AKP, für eine ultranationalistische und islamistisch-fundamentalische geprägte Politik, so Bozay. Sie verbreite viele konservative Positionen, unter anderem sei sie gegen die Gleichberechtigung von Frauen und queerer Menschen. 

Mit 67,4 Prozent stimmte ein Großteil der deutschen Wählerinnen und Wähler für Erdoğan, für seinen Kontrahenten Kemal Kılıçdaroğlu nur 32,6 Prozent. Damit war das Ergebnis in Deutschland viel deutlicher als in der Türkei. Ähnlich war es schon bei der Wahl am 14. Mai.

In NRW, dem Bundesland mit allein rund 500.000 Wahlberechtigten, sah es teilweise noch besser für Erdoğan aus. In Aachen holte er zwar nur 61,4 Prozent, in Köln aber 68,5 Prozent, in Düsseldorf 72,8 Prozent, in Münster 74,3 Prozent und in Essen sogar 78,7 Prozent.

In Deutschland leben etwa 3 Millionen Türkeistämmige, von denen rund 1,44 Millionen Menschen wahlberechtigt waren. Die Wahlbeteiligung in Deutschland lag bei etwa 50 Prozent. Aus den Ergebnissen lässt sich also nicht die politische Einstellung aller türkeistämmigen Menschen in Deutschland lesen.

Nicht alle sind von den feiernden Erdogan-Anhängern und seiner Wiederwahl angetan. Die Kölner Bundestagsabgeordnete Serap Güler (CDU), schrieb in der Nacht auf Montag auf Twitter: „Wir sprechen zu wenig über die Türkeistämmigen, die darüber frustriert und verärgert sind, sich etwas anderes gewünscht hätten.“

Auch Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) äußerte Kritik auf Twitter. Die Wählerinnen und Wähler von Erdoğan in Deutschland könnten feiern, „ohne für die Folgen ihre Wahl einstehen zu müssen“. Die Menschen in der Türkei durch „Armut und Unfreiheit“ schon. 

Feiernde Menschen auch an der Ditib-Moschee in Köln

Den Erfolg konnte sich Erdoğan laut Bozay aus mehreren Gründen sichern. Zunächst das vielleicht offensichtlichste: „Natürlich können wir auch nicht von einer fairen und demokratischen Wahl sprechen.“ Erdoğan habe seine Macht als amtierender Staatspräsident in jeder Form dazu genutzt, Wahlkampf zu betreiben. Auch finanziell. Dazu kontrolliere die türkische Regierung unter Erdoğan auch den Großteil der Medien. Die Opposition hatte nicht dieselben Möglichkeiten.

Zudem habe es ein „zentrales Problem“ laut Bozay im Wahlkampf gegeben: Probleme wie die Erdbebenkatastrophe Anfang des Jahres wurden nicht thematisiert, stattdessen sei es mehr um Identitätspolitik gegangen. Auch bei der Opposition um Kılıçdaroğlu. Der setzte auf eine stärkere nationalistische Rhetorik, unter anderem gegen Geflüchtete und Kurden. Dadurch dürfte er sich viele Sympathien verspielt haben. 

Gleichzeitig hat die türkische Regierung in Deutschland mit Organisationen wie den Ditib-Moscheen ein System aufgebaut, mit dem Einfluss auf die hier lebenden Türkeistämmigen genommen werden kann. Dort werden ethnisch-nationalistische und auch rechtsextreme Inhalte verbreitet, so Bozay. Teil der alten und neuen türkischen Regierung ist auch die rechte MHP, der politische Arm der Grauen Wölfe. Ihr Handzeichen war bei den feiernden Menschen in Köln und den anderen Städten ebenfalls zu sehen.

Wie es jetzt in der Türkei weitergehen wird

Wissenschaftler Bozay geht davon aus, „dass sich nach dem Erdoğans Sieg die wirtschaftlichen Probleme des Landes weiter vertiefen werden“. Die Armut und hohe Arbeitslosigkeit, gerade unter jungen Menschen, werde steigen, während die Lira weiter an Wert verlieren wird. Außerdem würden Oppositionelle weiter von Repressionen unterdrückt. Kurdische Politiker sind inhaftiert und dürften wohl auch nicht wieder frei kommen.

Der Politikwissenschaftler prophezeit zudem einen sogenannten „Brain-Drain“ –  Wissenschaftler und andere gut ausgebildete Fachkräfte wie Ärzte und Ingenieure werden das Land verlassen. Bozay glaubt auch, dass Erdoğan weiter auf Distanz zu EU und NATO gehen und in Zukunft mehr auf Russlands Präsidenten Putin setzen wird.

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