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Kölner Opfer-Beauftragte„Verhalten von Kardinal Woelki macht mich fassungslos“

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Der Kölner Erzbischof Rainer Woelki 

  • Die frühere Opferbeauftragte des Erzbistums, Christa Pesch, hat unzählige Anrufe von Missbrauchsopfern erhalten: „Schlimmste Verbrechen“.
  • In diesem Interview erklärt sie, wie das Erzbistum mit den gemeldeten Fällen umging.
  • Und sie weist die Darstellung des Erzbischofs im Missbrauchsfall Johannes O. entschieden zurück und attestiert dem Kardinal einen „verzweifelten Versuch, sich selbst zu retten“.

Frau Pesch, Kardinal Woelki und das Erzbistum Köln behaupten im Fall Johannes O., der Kardinal habe 2015 den Missbrauchsvorwurf gegen den mit ihm befreundeten Düsseldorfer Pfarrer nicht weiterverfolgen können, weil das Opfer nicht zur weiteren Aufklärung bereit war. Sie waren als „Ansprechperson“ für Missbrauchsopfer mit dem Fall befasst. Was sagen Sie dazu? Christa Pesch: Es ist für mich schwer erträglich, wie der Kardinal und die Bistumsleitung jetzt die Verantwortung von sich wegschieben und an andere weitergeben Es kommt mir vor wie ein verzweifelter Rettungsversuch auf dem Rücken des Betroffenen und zu Lasten Dritter. Was den Betroffenen angeht, ist es sein gutes Recht, in Ruhe gelassen zu werden und sich zu schützen. Es ist für viele Betroffene unendlich schwer, ein so schreckliches, auch schambesetztes Verbrechen wie sexuellen Missbrauch in Worte fassen zu müssen. Und wenn sie es immer wieder aufs Neue erzählen sollen, besteht – wie alle wissen, denen es um die Betroffenen geht – jedes Mal die Gefahr einer Retraumatisierung. Im Übrigen hatte das Bistum durch die finanzielle Leistung 2011 anerkannt, dass der Betroffene Opfer sexuellen Missbrauchs war. Was musste von Seiten des Betroffenen noch geklärt werden?

Aber wie waren die Abläufe im Fall denn nun wirklich?

Hätte der Betroffene sich nicht selbst zu Wort gemeldet, hätte ich unter der Beachtung meiner Verschwiegenheitspflicht ihm gegenüber gar nichts dazu gesagt. Da er nun selbst der Darstellung des Erzbistums widersprochen hat, kann ich bestätigen, dass es genau so war, wie er es laut dem Bericht im „Kölner Stadt-Anzeiger“ geschildert hat: Ich habe 2010 seinen Missbrauchsvorwurf an den zuständigen Personalchef, Prälat Stefan Heße, weitergeleitet. Danach hörte ich von Seiten des Bistums nichts mehr, aber auch nicht vom Betroffenen auf meine Antwort an ihn, weil er zu dieser Zeit anonym bleiben wollte.

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Das war alles?

Nein. 2011, als der Betroffene erneut Kontakt mit mir aufnahm und ich ihm aufgrund seiner Schilderungen mitteilte, dass er einen Antrag auf finanzielle Leistungen in Anerkennung des Leids stellen könne, bat ich das Erzbistum um Angaben zu dem Beschuldigten, um die Plausibilität der Beschuldigung überprüfen zu können. Es wurde mir mitgeteilt, dass der Beschuldigte früher Pfarrer in Düsseldorf war und nun im Altenheim lebe. Ich habe dann in meinem Vermerk an das Bistum habe ich eigens darauf hingewiesen, dass dem Fall weiter nachgegangen werden muss.

Also eine kanonische Voruntersuchung?

Die Begriffe wurden damals noch nicht so präzise verwendet. Aber der Sache nach war es das: Das Bistum wäre am Zug gewesen, den Fall weiter aufzuklären.

Was geschah dann?

Ich habe keine Antwort oder gar einen Ergebnisbescheid hinsichtlich eines Vorgehens gegen den Beschuldigten erhalten. Und wie jetzt in der Zeitung zu lesen war, hatte das offenbar einen ganz einfachen Grund: Das Bistum hat nichts unternommen. Damit erübrigt sich dann auch die Behauptung des Kardinals, ich hätte den Wunsch des Betroffenen nach Informationsaustausch „nicht umgesetzt“. Es gab einfach nichts, worüber ich den Betroffenen hätte informieren können: Ob das Bistum Pfarrer O. mit den Vorwürfen konfrontiert hat; was weiter unternommen worden ist – darüber bekam ich keine Mitteilung. Auch 2015, als Kardinal Woelki als neuer Erzbischof den Fall wieder aufgriff, ist zu keinem Zeitpunkt jemand mit der Bitte um weitere Informationen oder gar dem Wunsch nach einer Kontaktaufnahme mit dem Betroffenen an mich herangetreten. Umso mehr hat es mich irritiert, als ich dann die Erklärung des Kardinals las, der Betroffene habe nicht an einer weiteren Aufklärung mitwirken wollen. Ich habe Kardinal Woelki deshalb in einem Brief um Klärung gebeten.

Zur Person

Christa Pesch, geb. 1946, war von 2010 bis 2017 unabhängige Ansprechperson für Opfer sexuellen Missbrauchs im Erzbistum Köln. Die Diplom-Sozialpädagogin und Gemeindereferentin war hauptberuflich im kirchlichen Dienst tätig, unter anderem 21 Jahre als Referentin im Diözesan-Caritasverband für die Schwangerschaftskonfliktberatung. Sie engagierte sich vergeblich für den Verbleib der katholischen Kirche in der Pflichtberatung und war danach Mitinitiatorin für das neue Profil der katholischen Beratungsstellen unter dem Namen esperanza. Christa Pesch ist heute ehrenamtlich in der geistlichen Begleitung, Exerzitienarbeit, als Supervisorin und Bibliodramaleiterin tätig.

Kardinal Rainer Woelki ehrte sie 2017 für ihre Tätigkeit als Ansprechperson für Betroffene von sexuellem Missbrauch mit dem päpstlichen Silvesterorden, der fünfthöchsten Auszeich-nung für das Engagement von Laien in der katholischen Kirche. (jf)

Was hat er Ihnen geantwortet?

Er hat mir nicht geantwortet, sondern die Interventionsstelle beauftragt, mich zu den Vor-gängen in 2010/2011 zu befragen. Ich habe der Mitarbeiterin dann genau das gesagt, was ich Ihnen jetzt sage, und ich habe eigens noch einmal auf meinen Vermerk von 2011 hingewiesen, dass das Bistum tätig werden solle. Außerdem habe ich über die Mitarbeiterin dem Kardinal angeboten, alle Abläufe auch mit ihm persönlich noch einmal zu rekapitulieren. Im Ergebnis musste ich am Wochenende jedoch lesen, dass das Erzbistum seine öffentlichen Erklärungen nicht korrigiert hat, sondern stattdessen nun verbreitet, es habe an mir gelegen, dass Kardinal Woelki nichts hätte unternehmen können. Ich muss ehrlich sagen: Das bestürzt mich und macht mich fassungslos. Ich sehe mich selbst missachtet in meinem ständigen Bemühen, loyal gegenüber dem Bistum und der Bistumsleitung zu handeln. Dazu gehört dann eben auch Widerspruch. Aber das geht ja nicht nur mir so. Die Düsseldorfer Gemeinde, in der Pfarrer O. tätig war, hat von ihrer Betroffenheit geschrieben, dass der heutige Pfarrer – immerhin Kardinal Meisners früherer Privatsekretär – vom Bistum keinerlei Auskunft oder Hilfe erhalten habe, wie mit den bedrückenden Nachrichten umzugehen sei.

Erkennen Sie im Vorgehen des Erzbistums ein System?

Ich sage mit aller Vorsicht: 2010/2011 wurden alle Zuständigen im Erzbistum von einer Flut angezeigter Missbrauchsfälle gleichsam überrollt. Damit adäquat umzugehen, war eine große Herausforderung. Nach meinem Empfinden musste das Erzbistum erst einmal selbst mit der Frage klar kommen, wie ordnungsgemäße Verfahrenswege zu entwickeln und einzuhalten sind. Als ich im Mai 2010 zur Ansprechperson ernannt wurde und eine entsprechende Rufnummer bekam, war ich in ständiger Bereitschaft, selbst nachts riefen Betroffene an. Was ich von ihnen – Männern und Frauen – zu hören bekam, waren schlimmste Verbrechen, furchtbare Schicksale und unsagbares Leid. Anfangs habe ich die Ereignisse, die Betroffene mir schilderten, als Fälle erst einmal nur dokumentiert. Das Bistum hat meine Protokolle dann entgegen genommen, ohne dass ich danach je wieder etwas davon gehört hätte. Ich habe deshalb schon Anfang 2011 dem Erzbistum meine Sorge mitgeteilt, dass alle meine Informationen wie in einem „Schwarzen Loch“ verschwänden.

Hat das etwas verändert?

Ja, zum einen wurde ich mehr informiert und gelegentlich einbezogen. Zum anderen gab es eine Änderung im Verfahren, als sich die Bischofskonferenz 2011 entschloss, Betroffenen eine finanzielle Leistung in Anerkennung des Leids zu zahlen: Von da an musste ich die Schilderungen der mutmaßlichen Opfer auch auf ihre Plausibilität hin prüfen. Aufgabe des Bistums war die Prüfung auf der Täterseite – etwa durch eine Konfrontation des Beschuldigten. Wenn die Betroffenen es wünschten, gab es Gespräche mit dem Personalchef und der Bistumsjustiziarin, die darüber dann noch mal ein eigenes Protokoll schrieb. In diesen Begegnungen ging es vorrangig darum, dass die Bistumsleitung Empathie mit den Betroffenen bekundete. Ich habe daran nur auf Wunsch der Betroffenen teilgenommen. Im Fall O. fand kein solches Gespräch statt.

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Wie haben Sie Kardinal Meisner erlebt, der noch 2015 im Deutschlandfunk erklärte, er habe von den Dimensionen des Missbrauchsskandals „nichts geahnt“.

Dem Kardinal war das Thema so – ich sage mal – unangenehm, dass er nach meinem Eindruck das Bemühen um Transparenz gebremst oder gar verhindert hat. Jedes weitere Zugehen auf die Betroffenen stand seinem Bedürfnis entgegen, die Kirche zu schützen. Und alle, die unter Meisners Führung im Erzbistum Verantwortung trugen, standen vermutlich unter diesem Eindruck und waren somit wohl Teil des Systems. Das legt jetzt auch der Fall O. nahe. Anfang 2012 habe ich vorgeschlagen, dass wir in Köln einen kirchlichen Ort bräuchten, der die Betroffenen „aufatmen“ lässt. Im Gespräch mit Kollegen entstand die Idee, dass sich die Kapelle Sankt Maria in den Trümmern am Museum Kolumba als solcher Ort empfehlen würde. Prälat Heße brachte das Anliegen vor den Kardinal. Dieser lehnte kategorisch ab. Kurz vor dem Ende meiner Tätigkeit 2017 habe ich auch einen Vorschlag zur „Seelsorglichen Begleitung für Betroffene“ entwickelt. Das Konzept wurde zwar verabschiedet, aber nicht umgesetzt.

Aber hatte sich unter Kardinal Woelki seit 2014 nicht der Wind gedreht?

Kardinal Woelki wirkte anfangs sehr entschlossen, mehr Transparenz zu schaffen und die Verfahrenswege zu verbessern. Auch mich hat er eingehend nach meinen Erfahrungen und nach Verbesserungsideen gefragt. Die Gründung der Interventionsstelle 2015 war ein sehr wichtiger Schritt auf diesem Weg.

Wie geht das mit dem Fall O. zusammen?

Der Fall passt jedenfalls überhaupt nicht zu Kardinal Woelkis Anliegen, Klarheit zu schaffen, das mir – auch aufgrund seines Handelns in den ersten Jahren – glaubhaft erschien. Ich er-kläre mir sein Agieren im Fall O. mit einem Nachsehen für einen hochbetagten Pfarrer, der ihm nahe stand, und mit dem Wunsch, dessen persönliches Ansehen nicht zu beschädigen. Aus meiner Sicht rechtfertigt das sein Verhalten nicht, zeigt aber den Loyalitätskonflikt, in den der Kardinal in seinem Bemühen um Aufklärung geraten ist.

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