„Immer mehr Menschen ziehen deshalb weg“SPD-Politiker kritisiert Kölner Schul-Chaos scharf

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Interview mit dem schulpolitischen Sprecher der SPD, Oliver Seeck, 22.03.2023, Bild: Herbert Bucco

Oliver Seeck ist schulpolitischer Sprecher der SPD.

Oliver Seeck erklärt im Interview, warum er den Mangel an Kita- und Schulplätzen für demokratiegefährdend und schädlich für das Image der Stadt hält.

Herr Seeck, Sie sind in dieser Ratsperiode für die SPD mit viel Engagement als Neuling in die Kommunalpolitik gestartet. Ist es so, wie Sie sich das vorgestellt haben?

Oliver Seeck: Ich hätte mir das nicht so schwierig und zäh vorgestellt, die wirklich wichtigen Dinge umzusetzen. Was ich schwer erträglich finde, ist die Diskrepanz zwischen Sonntagsreden und praktischer Umsetzung. Jeder sagt, es darf nicht sein, dass Grundschulkinder durch die halbe Stadt gefahren werden. Alle finden wichtig, dass alle Kinder schwimmen lernen. Aber wenn es an die Umsetzung geht, erlebe ich das Gegenteil. Da kommen konkrete Vorschläge, und es wird doch nichts beschlossen.

Woran liegt das denn Ihrer Meinung nach?

Für mich ist das eine Frage der Priorisierung. Wenn man sich darauf geeinigt hat, dass Kinder und Jugendliche ganz oben stehen, dann müssen diese Prioritäten auch spürbar sein. Mit der Planung eines Brunnens auf dem Neumarkt geht es auf einmal ganz schnell. So eine pragmatische Schnelligkeit hätte ich auch gerne mal für ein Schwimmbad, eine Turnhalle oder eine Schule.


  • Oliver Seeck (SPD), Jahrgang 1974, ist Vorsitzender des Sportausschusses und schulpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Stadtrat.
  • Seeck ist selbst Sportlehrer an einem Kölner Gymnasium und bildet Referendare aus. 
  • Er ist seit 2020 Mitglied des Stadtrats und einer der stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Ratsfraktion.

„Ich muss für den Schulbau in der Verwaltung die besten Leute zusammenziehen“

Wie sieht aus Ihrer Sicht die Halbzeitbilanz des Ratsbündnisses aus?

Desaströs. Die Situation für Kinder und Jugendliche ist dramatisch schlecht. Köln ist im Bereich Schulplätze das traurige Schlusslicht im ganzen Land. Jetzt erreicht das Desaster die Grundschulen. Als die Kinder, die jetzt in die Grundschule kommen, geboren wurden, waren CDU und Grüne schon zwei Jahre in der Verantwortung.

Aber in der Verwaltung sitzt ein Schuldezernent, der Ihr Parteibuch hat. Was läuft da schief?

Es gibt eine riesige Liste mit vielen Schulbauten und Maßnahmen, die geplant sind. Auch der Bedarf, wie viele Plätze man in welchen Veedeln braucht, ist genau lokalisiert. Es hapert bei der Umsetzung. Und da sind wir wieder bei dem Thema Priorisierung: Wenn das mit der Bestellliste und Lieferung nicht funktioniert, muss ich überlegen, wie ich da innerhalb der Verwaltung Personal hin umlenken kann. Dann muss ich die besten Leute für dieses Thema zusammenziehen.

Interview mit dem schulpolitischen Sprecher der SPD, Oliver Seeck, 22.03.2023, Bild: Herbert Bucco

Oliver Seeck beim Gespräch im Neven DuMont Haus.

Die geplanten neuen Schulen helfen aber den Familien nicht, die dieses oder nächstes Jahr ihre Kinder einschulen müssen. Was braucht es jetzt am dringendsten, um die akute Platznot zu lindern?

Um aus dieser Akutsituation rauszukommen, bräuchte es den Mut und die Bereitschaft, auch mal pragmatisch unkonventionelle Wege zu gehen. Da haben wir in Anträgen viele Vorschläge gemacht: Von dem Konzept eines Schulbaus auf Stelzen auf der Vogelsanger Straße, über den Umbau des RWE-Gebäudes auf der Dürener Straße bis zu einer weiterführenden Schule oder dem Bau einer Gesamtschule auf der Freifläche Salzburger Weg. Aber da werden selbst die Prüfanträge durch die Ratsmehrheit abgelehnt.

„Der Mangel ist demokratiegefährdend“

Das heißt, Sie erleben die Fronten zwischen dem Ratsbündnis und Ihnen als so verhärtet, dass kategorisch alles abgelehnt wird, nur weil es von Ihnen kommt?

Ja, ich verstehe nicht, warum es nicht möglich ist, gemeinsam Anträge zu verabschieden. Warum wird pauschal alles abgelehnt, wo doch alle im Kern das Gleiche wollen? Im letzten Schulausschuss wurde nach zweieinhalb Jahren das erste Mal einem Antrag von uns zugestimmt. Es ging darum, für ein Förderprogramm des Bundes für Problemschulen früh genug vor Ort die Unterstützungsstrukturen zu schaffen. Da gab es sogar eine Sitzungsunterbrechung, weil so rum gefeilscht wurde. Schließlich wurde so einem selbstverständlichen Antrag mit der Faust in der Tasche zugestimmt.

Wie nehmen Sie die Wut der Familien wahr?

Mir erzählen Eltern, dass sie sich immer in denselben Runden treffen, je nachdem, welche Lebensphase bei ihrem Kind gerade ansteht und wo es wieder hakt. Immer mehr Menschen ziehen deshalb aus Köln weg. Und um neu hierhin zu kommen, ist es auch nicht sonderlich attraktiv für Familien. Mir berichten Unternehmer, dass sie keinem Bewerber mehr empfehlen können, ins Kölner Stadtgebiet zu ziehen. Denn ob Kitaplatz, Schwimmplatz, Grundschulplatz, weiterführende Schule - überall gibt es Mangel. Das ist im Übrigen demokratiegefährdend.

Inwiefern?

Viele Leute geben auf. Einige engagieren sich, aber viele resignieren. In einigen Stadtteilen gibt es keine Lobby, die Eltern fühlen sich nicht gehört. Da können Sie oft genug sagen, die Schulen haben die oberste Priorität. Wenn nichts passiert, können es die Menschen nicht mehr nachvollziehen.

„Die Lehrschwimmbecken sind marode. Und nichts passiert“

Neben den Schulen ist es auch um die Turnhallen in Köln schlecht bestellt. Der Rat hat nun immerhin die Verwaltung beauftragt, ein Maßnahmenpaket zur Sanierung zu erstellen. Wie bewerten Sie das?

Im Sportstättenmanagement hat die Verwaltung bereits alle ihre Anlagen gescannt, in Kategorien eingeteilt und ein Kataster erstellt: Wo ist was an der Elektrik kaputt, wo das Dach. Es gibt also eine Dringlichkeitsübersicht, die Handwerkerfirmen könnten gebündelt beauftragt werden. In Chorweiler haben drei Hallen ein Dachproblem, für die ein Dachdecker engagiert werden könnte. Der Punkt ist: Wir wissen das alles schon. Es geht nicht darum, die Sau nochmal zu wiegen. Es geht darum, etwas zu machen. Es ist seit eineinhalb Jahren bekannt, wie viele Lehrschwimmbecken marode sind. Und nichts passiert.

Wie wirkt sich das auf den Sportunterricht der Kinder aus?

Die meisten Schulen haben kein eigenes Lehrschwimmbecken, das heißt, es ist immer mit Fahrtzeiten verbunden. Allein durch die Anfahrt fällt die Nettoschwimmzeit also schon sehr gering aus. Wenn das nächste Lehrschwimmbecken aber geschlossen ist, muss ich in eines der Kölnbäder fahren, was im Zweifel noch weiter weg ist. Und wenn das entsprechende Kölnbad gerade auch noch saniert wird, gibt es vielleicht sogar gar keinen Schwimmunterricht.

Was hat das für Folgen?

Wenn Kinder in der Grundschule nicht schwimmen lernen, wird es im Laufe der Zeit immer schwieriger. Wenn die Eltern nicht hinterher sind, lernen die Kinder es nicht mehr. Die Jugendlichen kommen irgendwann in ein Alter, in dem man sich am Wasser trifft. Da gibt es Mutproben, man traut sich nicht mehr zuzugeben, dass man nicht schwimmen kann. Solche Situationen gibt es jedes Jahr, ob am Rhein oder am Fühlinger See. Die Kinder sind potenziell ihr Leben lang gefährdet.

Oliver Seeck zu den Umbrüchen in der Kölner SPD

Nicht nur an den Schulen, sondern auch in Ihrer Partei gibt es aktuell  einige Unruhen. Zuletzt wurde der Fraktionsgeschäftsführer entlassen. Erschwert das nicht Ihre inhaltliche Arbeit?

Es gibt eine Veränderung, ja. Aber es gibt dazu erstmal nichts weiter zu sagen. Unsere Arbeit überlagert das nicht. Wir sind in keiner Personaldebatte verfangen.

Es hilft aber auch nicht, wenn Kölner Landtagsabgeordnete in der Zeitung eine Diskussion um die SPD-Position zur Klinikfusion starten, oder?

Wir sind als Kölner SPD da in einer komplizierten Situation: Wir stellen den Bundesgesundheitsminister, der gerade eine Krankenhausreform plant. Von den drei Landtagsabgeordneten liegen bei zweien die betroffenen Krankenhäuser in ihren Wahlkreisen, für die sie sich natürlich einsetzen. Ich finde es besser, wenn wir als Partei über solche Dingen diskutieren, und auch hinterfragen, ob es bei der Gesundheitsversorgung nur um ökonomische Aspekte gehen kann. Das empfinde ich nicht als Streit. Wir werden eine gemeinsame Position entwickeln. Aber auf dem Weg dahin darf man diskutieren.


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