Kölner Wetter-Experte Karsten Schwanke„Trotz mehr Regen im Winter wird es Dürreprobleme im Sommer geben“

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21.08.2023, Köln: Porträt von Karsten Schwanke, der ein deutscher Meteorologe und Fernsehmoderator ist.

Foto: Michael Bause

Karsten Schwanke vor dem Neven DuMont Haus in Köln

Wetter-Experte Karsten Schwanke analysiert den Kölner Sommer 2023 und prognostiziert: „Wir werden deutlich stärker durchgeschüttelt werden.“

Herr Schwanke, seit dem 23. September ist offiziell Herbst. Wie bewerten Sie unseren Sommer in Köln und Region?

Karsten Schwanke: Er zählt zu den wärmsten Sommern der vergangenen Jahrzehnte, auch wenn er zwischenzeitlich nass und kalt war. Aber wir sind ja mittlerweile an durchgehend warme bis heiße Sommer gewöhnt. Laut Statistik haben wir in diesem Sommer in Köln 66 Sommertage gehabt, also Tage mit mehr als 25 Grad. Dazu noch 19 Hitzetage, also Tage ab 30 Grad. Das sind mehr Sommertage, als wir im Mittel in den 60er- oder 80er-Jahren hatten. Über 40 Grad in Köln hatten wir in diesem Sommer zum Glück nicht – im Gegensatz zu den letzten fünf Jahren.

So viel geregnet hat es gefühlt schon lange nicht mehr.

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Vom Regen her ist ein wirklich interessantes Jahr im Rheinland. Von Januar bis August gab es am Niederrhein im Norden Nordrhein-Westfalens noch nie so viel Regen, dort war 2023 also das nasseste Jahr bisher. Trotzdem ist das Regen-Defizit der letzten Jahre immer noch nicht ausgeglichen. Gerade in den tieferen Bodenschichten fehlt das Wasser. Und wir können froh sein, dass der Regen bei uns nie zu Überschwemmungen führte wie in vielen anderen Ländern, obwohl er immer wieder mal heftiger war. Wir werden in den nächsten Jahren und Jahrzehnten in Deutschland im Schnitt mehr Regen bekommen.

Woran liegt das?

An den weltweiten höheren Temperaturen. Wenn mehr Wasser aus den Ozeanen verdunstet, kann die Atmosphäre mehr Wasser speichern, es bilden sich Wolken und es fällt mehr Regen. Dieses Mehr an Wasser wird aber vor allem in den Wintermonaten fallen.  Dafür werden unsere Sommer im Schnitt trockener und heißer. Wenn im Sommer mal Regen fällt, fällt er in größerer Intensität, auch sturzflutartig, mit all den Problemen, die wir gesehen haben – bis hin zur Katastrophe im Ahrtal. Und das Wasser verdunstet wegen der höheren Temperaturen sehr schnell. Es wird also trotz mehr Regen im Winter Dürre- und Wasserverteilungsprobleme im Sommer geben.

Der Deutsche Wetterdienst bezeichnet die Flut an der Ahr als 400-jähriges Ereignis.

Eigentlich müsste man aber dazu sagen: ein 400-jähriges Ereignis in einer Welt ohne Klimawandel. Bei dem Anstieg, den wir gerade erleben, können wir so nicht mehr kommunizieren und argumentieren. Ich habe einen Matheprofessor gefragt, wann es – rein statistisch – den nächsten Rekord geben könnte, der das Ereignis aus dem Jahr 2021 übertrumpft. Seine Antwort: Bei dem aktuellen Temperatur-Trend in 40 Jahren, das darauffolgende Ereignis dann rein rechnerisch in 27 Jahren. Wir werden also deutlich stärker durchgeschüttelt werden. Darum mache ich mir große Sorgen, genau wie um die Land- und Forstwirtschaft. Die Wälder hatten am Ende der letzten Eiszeit 100.000 Jahre, um sich langsam umzustellen. Wir werden am Ende des Jahrhunderts mit großer Wahrscheinlichkeit keine Wälder mit großen, hochgewachsenen Bäumen sehen, weil die meisten bis dahin todkrank oder umgefallen sind.

Dabei sind Bäume wichtig für die Abkühlung.

Wir brauchen die Bäume, wir brauchen die Wälder, wir brauchen das Grün. Und deshalb müssen wir Lösungen suchen, Geld in die Hand nehmen und das Tempo lostreten, das notwendig ist. Wir müssen unsere Städte anpassen. Stadtgrün ist enorm wichtig. Jeder, der im Sommer durch den Park fährt, merkt es, wie kühl es dort ist. Wir müssen darauf achten, dass dieses Grün auch grün bleibt. Ausgetrocknete Bäume kühlen nicht. Wir müssen unsere Parkanlagen also bewässern können mit Speicherseen und -becken. Das alle müssen wir heute planen.

Der Buch-Autor Toralf Staud hat prognostiziert, dass Deutschland im Jahr 2050 ein Klima wie San Marino bekommen wird. Da könnte einige denken: Ist doch schön.

Wenn Menschen hören, dass sich die Erde in den nächsten 20 bis 30 Jahren weltweit um ein Grad erhöht, entsteht bei vielen folgendes Missverständnis: Wo ist das das Problem, wenn es in Köln ein Grad wärmer wäre? Wir reden aber von einem weltweiten Mittelwert. In den letzten 60 Jahren ist weltweit der Mittelwert um läppische 0,8 Grad angestiegen, in Köln sind die Hitzewellen in der gleichen Zeit um 5 Grad wärmer geworden. Wenn wir nochmal 0,8 Grad obendrauf packen, werden die Hitzewellen nochmal um fünf Grad wärmer - und dann kommen wir von 41 auf 46 Grad im Jahr 2050. Auf 46 Grad ist in Köln niemand eingestellt: nicht die Architekten, nicht die Stadtplaner, nicht die Art und Weise, wie wir unsere Häuser bauen und wie wir sie kühlen müssten. bekommen. All das müssen wir heute angehen, weil wir sehen, was auf uns zukommt.

Italien und Spanien haben in diesem Jahr schon früh unter Hitze gelitten, Wassermangel inklusive. Und auch in Frankreich streiten sich die Landwirte schon ums Wasser.

Genau das werden wir auch haben. Wir sind in einer Welt aufgewachsen, in der Wasserknappheit kein Thema war. Das wird sich definitiv ändern. Die Diskussion darüber, wer den ersten Zugriff auf Wasser hat, wird lauter werden.

Was hat Ihnen im Jahr 2023 am meisten Sorge bereitet?

Ganz klar die unglaublich hohen Wassertemperaturen im Ozean. So etwas haben wir noch nie gesehen. Das ist ein ganz großes Achtungszeichen.

Welche Erklärungen gibt es dafür?

Es gibt viele Vermutungen, aber die ganz klare Antwort fehlt noch. Was das für die nächsten Wochen und Monate bedeutet, ist allerdings klar. Im Herbst kommen die ersten Tiefdruckgebiete vom Nordatlantik ins Mittelmeer, die vermutlich deutlich heftiger ausfallen werden. Denn mit dem verdunstenden Wasserdampf pumpen wir mehr Energie in die Atmosphäre und messen deshalb weltweit eine Zunahme von Gewittern oder Hagelunwettern. Ob tropische Wirbelstürme – Hurricanes, Taifune – zunehmen, wissen wir hingegen nicht, aber die, die es heute gibt, sind deutlich kräftiger, energiereicher als noch vor 50 Jahren.

Das Klima-Thema hat sich zum Kulturkampf-Thema entwickelt. Welche Anfeindungen erleben Sie?

Im Netz wird immer lauter gepöbelt, immer häufiger auch unter die Gürtellinie. Wir erleben in den sozialen Netzwerken die Polarisierung der Gesellschaft. Seit Elon Musk Twitter (jetzt X, Anm. der Red.) übernommen hat, ist der Ton noch rauer geworden. Sobald ein Video-Schnipsel von mir zu sehen ist, wie ich etwas über den Klimawandel im Fernsehen sage, wird sofort verbal  geschossen und ich werde mit E-Mails beballert, ein Dauerfeuer. Das gab es vor fünf Jahren noch gar nicht. Auch der Vorwurf, dass ich eine politische Agenda verfolge, bereitet mir Sorge. Das ist kompletter Unsinn.

Zweifeln viele den Klimawandel richtiggehend an?

Ja. Dann heißt es, das ist doch die Natur, wir kommen doch aus einer Eiszeit, es muss jetzt doch wärmer werden. Oder: Die Sonne hat sich verstärkt in der letzten Zeit. Ich frage mich, mit welcher Chuzpe die Leute so etwas von sich geben, ohne jemals ein wissenschaftliches Papier dazu gelesen zu haben.

Welches Missverständnis hören Sie oft in Bezug auf das Klima?

Früher war es doch auch schon heiß oder warm. Darum war Grönland früher auch grün. Das zeigt mir, dass eine der wichtigsten Eigenschaften des menschengemachten Klimawandels nicht verstanden worden ist. Es ist zwar richtig, dass wir vor hunderttausend Jahren schonmal höhere Temperaturen hatten, aber damals liefen die Veränderungen im Zeitlupentempo ab, was der Vegetation die nötige Zeit gab, um sich anzupassen. Heute verändert sich das Klima rasend schnell.

Wir lassen uns nichts verbieten. Was antworten Sie darauf?

Alle, die heute ihre persönliche Freiheit hochhängen, könnten genauso gut ein Testament unterschreiben, in dem steht, dass ihre Kinder und Kindeskinder keine Entscheidungsfreiheiten mehr haben werden. Die Einschläge durch den Klimawandel werden so stark und die Folgen so teuer werden, dass die Gesellschaft kaum noch etwas anderes machen kann, als sich gegen die Auswirkungen des Klimawandels zu schützen. Ich will aber auch Ängste von Menschen ernst nehmen, die auf ihr Lebenswerk schauen und sich gegen die Einschnitte sträuben, die es leider geben wird. Diese Lücke müssen wir schließen, das ist die größte Herausforderung.

Wettermann, Wetterexperte, Wetter-Guru: Sind Sie mit allen Bezeichnungen, die man über Sie liest, einverstanden?

Wetter-Guru ist ein bisschen dick aufgetragen. Aber ich bin schon froh, wenn ich nicht Wetterfrosch genannt werde.

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