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Bars gehen, Imbisse kommenSo hat sich das Kwartier Latäng nach 45 Jahren verändert – Wirte erzählen

Lesezeit 5 Minuten
Filippa Padiglia und Ehemann Carlo Padiglia führen das Restraunt Etrusca an der Zülpicher Straße. Das Restaurant gibt es seit 1979. Die Straße hat mehrere Wandel durchlebt, erinnert sich die 63-Jährige Gastgeberin.

Filippa Padiglia und Ehemann Carlo Padiglia führen das Restaurant Etrusca an der Zülpicher Straße, das es seit 1979 gibt. Die Straße hat mehrere Wandel durchlebt, erinnert sich die 63-Jährige Gastgeberin. (Archivbild)

Etrusca, Piranha-Bar, Stiefel, Oma Kleinmann: Im Kwartier Latäng gibt es viele jahrzehntealte Lokale. Drumherum hat sich aber viel verändert. Wir haben mit Akteuren über früher gesprochen.

Den Studententeller mit Schnitzel vom Kalb, Salat und Nudeln haben sie nur ein halbes Jahr lang auf der Karte. Es ist das Jahr 1979. Filippa Luca Padiglia erinnert sich an die Anfänge des Restaurants „Etrusca“, mitten auf der Zülpicher Straße, als man versucht, die Studenten mit erschwinglichen Angeboten zu locken. Mit 16 Jahren fängt Padiglia im Familienrestaurant als Kellnerin an. Das Schnitzel verbannen sie bald, das ist ja „gar nicht italienisch“, sagt Padiglia. Stattdessen soll gehobene Küche aus der Heimat angeboten werden: Gerichte mit frischem Fisch, Fleisch, Pasta, Trüffel und Parmesan. Am Anfang fragen die Gäste noch nach Cappuccino mit Sahne. Familien kommen, Studierende mit ihren Eltern oder in Gruppen zu ganz besonderen Anlässen, auch Prominente wie Bono von U2 suchen im Laufe der Jahrzehnte immer wieder das Lokal auf, das zu seiner studentischen Umgebung nicht so recht zu passen scheint.

„Seitdem hat sich das Etrusca nie mehr verändert“, sagt Padiglia. Die Zülpicher Straße in den vergangenen 45 Jahren hingegen deutlich. Es gibt eine Zeit der florierenden Studentenkneipen, der Kulturstätten, des inhabergeführten Einzelhandels. Später kommen mit den Cocktailbars die Happy-Hours, mit dem Kioskbier die Scherben auf der Straße, mit der Pandemie die zunehmende Gewalt, unter der das Image des Viertel stark leidet. Das Bild aufbessern möchte nun die neu gegründete Initiative „Kwartier Latäng“, ein Zusammenschluss aus Wirten, Einzelhändlern und Anwohnern (wir berichteten).

Kwartier Latäng: Als man noch ausgelassen in den Lokalen Karneval feiern konnte

Filippa Luca Padiglia vermisst das quirlige, „ganz normale“ Veedelstreiben am Tag. „Es gab Mode-Boutiquen, Bäckereien, Bücherläden, ein Schuhgeschäft, einen Metzger, einen Gemüseladen. Wir finden es wirklich schlecht, dass es diese Geschäfte kaum noch gibt“, sagt die 63-Jährige. Doch einige, wenige Konstanten halten sich. „Der Stiefel war immer da, das Oma Kleinmann, man kannte sich untereinander immer.“

November 1990, Köln: Historische Bilder der Zülpicher Straße. Foto: F.W. Holubovsky

November 1990, Köln: Historische Bilder der Zülpicher Straße.

Auch Karneval herrscht anfangs eine völlig andere Atmosphäre. „Früher haben wir richtig gute Geschäfte gemacht, an Rosenmontag haben wir den Laden um 15 Uhr geöffnet und bis Mitternacht war er mit verkleideten Familien sehr gut gefüllt.“ Das geht schon lange nicht mehr: Seit Jahren schließt das Etrusca von Weiberfastnacht bis einschließlich Rosenmontag, für die Gäste hat es irgendwann aufgrund der Massen kein Durchkommen mehr gegeben. Zu den Menschenmassen ist noch das städtische Absperrkonzept hinzugekommen, die Gäste bleiben bewusst weg. Seit den „untragbaren Zuständen“ vor der Tür verbarrikadiert das Ehepaar Padiglia ihr Lokal mit Holzplatten. Mehr als einmal wurden die Schaufenster zerbrochen.

Vor acht Jahren ist das Ehepaar sogar weggezogen, denn „es wurde einfach richtig laut“. Einen vorläufigen Höhepunkt der Ballermann-Atmosphäre erreicht die Straße während und nach der Pandemie. Doch seit anderthalb Jahren etwa stellt die Wirtin eine Entspannung fest. „Die Stadt ist nachts präsent, die Musik wird schnell abgedreht.“ Auch die Cocktailbars weichen immer öfter neuen Imbissläden. Kürzlich habe die benachbarte langjährige „Soul Bar“ geschlossen, nun soll ein Burgerladen eröffnen, sagt Padiglia. „Es wird immer mehr zur Imbissmeile hier.“ Die Qualität und Vielfalt der Läden leide zwar, aber noch ruhiger werde es dadurch vielleicht. So zumindest die Hoffnung des Ehepaars. „Die Kyffhäuser war früher auch ganz schlimm und ist viel besser geworden“, ist Padiglia zuversichtlich.

Als die Kyffhäuser Straße ein Drogenproblem hatte

Seit 1978 in der Kyffhäuser Straße tätig ist Wirt Lutz Nagrotzki, Inhaber der Piranha-Bar, die dieses Jahr 50-jähriges Bestehen feiert. Auch hier habe es früher neben Kneipen oder Imbiss-Läden mehr Einzelhandel gegeben. Nagrotzki erinnert sich an das Kwartier Latäng als eins der wenigen Ausgehviertel. „In Ehrenfeld gab es damals noch nichts, und die klassischen Veedelskneipen waren eher was für ältere Leute. Für die wirklich vielen Studenten und jungen Leute gab es dieses Viertel und die Südstadt.“

Heute habe sich das Ausgehverhalten der Studenten verändert. „Früher war das Treiben unter der Woche deutlich größer als am Wochenende, da fuhren die Studis eher nach Hause. Heute ist unter der Woche kaum was los.“ Das Piranha war anfangs ab zehn bereits zum Frühstück geöffnet, heute wäre das undenkbar. Für Gastronomen war es früher lukrativer, sagt Nagrotzki.

Doch auch die Probleme von früher sind ihm noch gut präsent. „Ende der 90er hatte die Kyffhäuser Straße ein Drogenproblem, die Polizisten saßen in den Kneipen und beobachteten die Dealer. Die Anwohner schütteten Wasser auf ihre Köpfe. Es gab sogar eine Demo gegen die Drogenszene.“ Eine ehemalige Wirtin der Kyffhäuser Straße erzählt, dass Anfang der Nullerjahre drei Läden wegen Drogen geschlossen wurden. Das ist heute anders.

Historische Aufnahme der Kyffhäuser Straße

Historische Aufnahme der Kyffhäuser Straße

Historischer Flyer der Piranha bar: Frühshoppen sonntags von 11 bis 15 Uhr für Studierende. Heute eher eine ungewöhnliche Zeit zum Ausgehen.

Historischer Flyer der Piranha bar: Frühshoppen sonntags von 11 bis 15 Uhr für Studierende und andere. Heute eher eine ungewöhnliche Zeit zum Ausgehen.

Es gab schon immer viel Live-Musik in der Bar Piranha. Hier spielten Mitglieder der Wilhelm Brause Dixieband. Ende der 70er- und Anfang der 80er-jahren waren auch die Bläck Fööss öfters zu Gast, erzählt Nagrotzki.

Es gab schon immer viel Live-Musik in der Bar Piranha. Hier spielten Mitglieder der Wilhelm Brause Dixieband. Ende der 70er- und Anfang der 80er-jahren waren auch die Bläck Fööss öfters zu Gast, erzählt Nagrotzki.

Hupke: Kwartier Latäng war in den 80ern Schutzraum für Studenten

Auch in den 70er- und 80er-Jahren konsumierten Studenten Drogen im Uni-Viertel. Doch von Problem war da laut Innenstadt-Bürgermeister Andreas Hupke noch keine Rede. Als „Schutzraum für Studierende“ bezeichnet er das Kwartier Latäng von früher. Hupke lebt seit 51 Jahren im Rathenauviertel. Und war damals selbst Student und Aktivist. „The Dubliners haben hier gespielt, es herrschte das Motto, make love and peace, da war auch noch keine Polizei da, keiner hat sich beschwert.“ In Bars wie dem „Podium“ neben dem Kino – früher „Lupe“, seit 1991 „Off Broadway“ – sei viel gekifft worden, der Rauch quoll hinaus zur Straße.

Hupke erinnert an zentrale Gründerfiguren des Kwartier Latängs wie den legendären Walter „Wally“ Bockmayer von der Filmdose, in dessen Fußstapfen Alexander Moll getreten ist, Hubert Heller (Rottweiler/Hellers Brauhaus), Paula Kleinmann (Oma Kleinmann) und Manfred Lennartz (Mannis Rästorang). „Man konnte besser essen als in der Mensa, aber es war dennoch billiger als woanders für Studenten.“ Ganz so wie im Quartier Latin, dem Uni-Viertel in Paris, wo Hupke seinen Bruder zu Studienzeiten besuchte. Seit den 70er-Jahren ist das Pariser Viertel Namenspate des Kölner Uni-Viertels.

Bezirksbürgermeister Andreas Hupke.

Bezirksbürgermeister Andreas Hupke.

Die Probleme haben laut Hupke mit den Hauseigentümern angefangen. „Man hat an die vermietet, die am meisten gezahlt haben.“ Er wünscht sich die Leichtigkeit des Seins vom unbeschwerten Studentenviertel zurück. „Diese wiederherzustellen ist die Kunst“, sagt Hupke. „Es muss auch wieder qualitätsvolle Kultur dahin. Ohne Kultur brauchen wir nicht anzufangen.“