Nächtliche Exzesse, geprägt von Gewalt, Alkohol- und Drogenkonsum. Die Initiative Kwartier Latäng will weg von diesem Image. Das Uni-Viertel soll wieder als lebenswert wahrgenommen werden.
Kwartier Latäng in KölnDas Zülpicher Viertel will weg vom Ballermann-Image

Die Zülpicher Straße ist eine Feiermeile, die in den letzten Jahren immer mehr in Verruf geraten ist. Dieses Image wollen ansässige Gastronomen und Einzelhändler zusammen mit Anwohnenden loswerden oder dem zumindest etwas Positiveres entgegensetzen.
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Weg vom Ballermann-Image, vom Begriff „Saufmeile“, vom vorherrschenden Bild nächtlicher Exzesse, die von Gewalt, Alkohol- und Drogenkonsum geprägt sind: Stattdessen sollen die Menschen das Kwartier Latäng, das Uni-Viertel, wieder als lebenswertes Wohn- und Arbeitsumfeld wahrnehmen. Dieses Ziel verfolgen mehr als 20 Betriebe, darunter Gastronomien und Einzelhandel, die sich zur neuen Initiative „Kwartier Latäng“ zusammengeschlossen haben.
Die Organisatoren sind im Viertel verankert: Claudia Wecker vom Studentenclub „Das Ding“, Maureen Wolf vom Lokal „Oma Kleinmann“ und Sascha Bayer vom Café „Jim & June“. Die Initiative geht zwar von den Wirten aus, doch es sollen explizit auch die Interessen von Einzelhändlern und Anwohnern sichtbar werden. Das habe so bisher noch keine Initiative versucht, heißt es. Den Wirtinnen ist bewusst, dass es kein einfaches Unterfangen ist, denn Reizthemen gibt es auch untereinander zuhauf: mangelnde Parkplätze, Lärm, der Müll auf den Straßen. „Wir wollen keine Konflikte aufflammen lassen, sondern ein Angebot machen“, sagt Wecker.
Hotspot Zülpicher Platz
Der Versuch eines Neuanfangs sozusagen. Denn in den vergangenen Jahren hat sich die Lage vor Ort zusehends verschlimmert. Befeuert wurde die Entwicklung auch durch die Corona-Pandemie. Die Clubs waren zu, die jungen Leute feierten vornehmlich draußen. Seit Jahren bestreifen Polizisten und Ordnungsbeamte auf sogenannten Opari-Rundgängen zusätzlich zu den Ringen auch die Zülpicher Straße. Opari steht für Ordnungspartnerschaft Ringe, Polizei und Stadt arbeiten dafür zusammen.
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Claudia Wecker vom Studentenclub „Das Ding“ engagiert sich für das Kwartier Latäng. (Archivbild)
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Ein Kölner Polizist, der während der Pandemie im Sommer 2021 eine Opari-Wochenendschicht leitete, beschrieb den Wandel so: „Ich kenne die Zülpicher Straße so vor Corona nicht. Es wird hier immer schlimmer, immer hemmungsloser und aggressiver. Die Zülpicher Straße ist der neue Ring.“ Trauriger Höhepunkt war Wochen zuvor der Fall des erstochenen Joel G. gewesen. In der Nacht zum 31. Juli 2021 wurde der 18-Jährige von einem Jugendlichen erstochen.
Der Fall löste große Bestürzung aus und brachte die Diskussion um das Waffenverbot im Bereich Kölner Ringe und Zülpicher Viertel in Gang. Dieses gilt seit Ende 2021 nach wie vor an Wochenenden und vor Wochenfeiertagen abends und nachts. Die Polizei kann dann anlasslos Personen auf Waffenbesitz hin kontrollieren. Eine Bilanz aus dem Dezember 2024 zeigte: In beiden Zonen wurden laut Polizei 41.473 Menschen kontrolliert. Die meisten davon – 33.250 Personen – an den Ringen, 8223 Menschen an der Zülpicher Straße. Waffen und gefährliche Gegenstände wurden 303 Mal an den Ringen festgestellt, 91 Mal an der Zülpicher Straße.

Opari-Rundgang an der Zülpicher Straße während einer Nacht-Reportage. (Archivfoto)
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An Karneval spitzt sich die Situation dann nochmal zu. Anwohner berichten regelmäßig von Urin und Erbrochenem in den Hauseingängen, Vandalismus an den Schaufenstern, kollektivem Besäufnis von zum Teil noch minderjährigen Feiernden.
Karneval, Mäuerchen: Die Probleme im Kwartier Latäng
Gerade die Zustände an den tollen Tagen seien für ihn „ein Problem“, sagt Matthias Drobeck vom Fitnessstudio „Trainingslager Köln“ an der Zülpicher Straße. Neben der Feierwut mache ihm die Umzäunung zu schaffen. Um den Massenandrang zu steuern, lässt die Stadt seit Jahren am 11.11. und mindestens an Weiberfastnacht das Viertel absperren.
„Wir werden zwangsgeschlossen, die Kunden kommen nicht rein. Vor 10 Jahren konnten wir den Laden ganz normal aufmachen. Durch die Schließungen verlieren wir Umsatz“, sagt Drobeck, der seit 2004 sein Studio hier betreibt. Der 44-Jährige hat selbst jahrelang im Viertel gelebt. „Die Stimmung ist hier mittlerweile gekippt. Ich erinnere mich noch an die gute Stimmung bei der WM 2006. Es gab mehr studentische Läden, der Altersdurchschnitt war höher, man ging mehr in die Kneipen.“

Matthias Drobecks ist der Inhaber und Betreiber des Fitnessstudio Trainingslager Köln an der Zülpicher Straße. Er ist Teil der neuen Initiative Kwartier Latäng.
Copyright: Foto: Michael Bause
Ein durchgehendes Ärgernis sei für ihn auch die Situation direkt vor seinem Fitnessstudio. Gegenüber am Institut für Biochemie der Uni Köln befindet sich das berühmte Mäuerchen – ein Ort, an dem sich seit vielen Jahren junge Leute auf ein Feierabendbier treffen. Es sei dort nicht mehr so voll wie früher, aber es habe sich mittlerweile zum Drogenhotspot entwickelt, so Drobeck. „Die Dealer stehen bei uns im Hauseingang und rauchen Joints. Der Geruch zieht dann rein, was die Kunden abschrecken kann.“ Der 44-Jährige geht mehrmals die Woche vor die Tür und bittet die Dealer, weiterzuziehen.
Für die Initiative sieht er also großen Bedarf. Als Teil davon möchte er sich mit dafür einsetzen, „den Zusammenhalt im Veedel zu stärken und dafür zu sorgen, dass Anwohner ihr Viertel schön finden. Es gibt kleine Läden, Bars und Restaurants, Infrastruktur für den täglichen Bedarf. Wir wollen die Fröhlichkeit zurückbringen“, sagt Drobeck.
Aber wie? „Gerade sind wir sehr auf Social-Media aktiv, machen historische Postings zum Veedel, die super ankommen, stellen einzelne Betriebe vor. Aber wir planen auch groß“, sagt Claudia Wecker. „Mit der Kirche Herz Jesu planen wir einen Weihnachtsmarkt.“ Auch ein Straßenfest oder ein Flohmarkt seien denkbar. „Aber das sollen keine weiteren Ballermann-Veranstaltungen sein. Alles soll familien- und anwohnerfreundlich bleiben.“ Einen Katalog mit Forderungen an die Stadt gibt es noch nicht.
„Natürlich haben wir die Hoffnung, auch zu schwierigen Themen wie Parkplätze oder Müll von der Stadt wahrgenommen zu werden. Aber es geht uns jetzt erstmal darum, sichtbar zu werden und zu wachsen. Nicht ums Fordern. Das ist viel zu früh“, sagt Wecker. Von Ratspolitikern hätten sie aber bereits viel Zuspruch bekommen. Ohnehin stehen Wecker und Wolf seit Jahren im Austausch mit der Stadt zum Thema Karneval. Das aktuelle Absperrkonzept lehnen sie ab.
„Im Runden Tisch Karneval dreht man sich nur im Kreis mit den Argumenten, wir bräuchten ein richtiges Planungskomitee mit Stadt, Veranstaltern und Polizei sowie Feuerwehr.“ Ein Streitpunkt ist die Uniwiese, die seit 2021 als Entlastungsfläche dient. Nach eigenen Angaben sucht die Stadt nach einer Alternativfläche. Bisher aber noch ohne Erfolg.
Kwartier Latäng: Zusammenhalt im Veedel soll wachsen
Seit Maureen Wolf die Ladenbetreiber aus dem Veedel näher kennenlernt, geht sie mit einem besseren Gefühl zur Arbeit. „Nicht nur ich versuche gegen den Stempel Zülpicher Straße anzukommen“, so Wolf. „Wir wollen zeigen, dass hier ganz viel Positives passiert. Es gibt eine Schule, Kitas, die Synagoge. Zuletzt standen immer die Probleme im Fokus“, so Wolf.
Versuche, die Dinge zu verbessern, habe es mehrere gegeben. Der Verein Gastro Kwartier Latäng bot in den Augen von Wecker und Wolf zuletzt aber nicht mehr den geeigneten Rahmen. Bei der neuen Initiative können die Betriebe einfach gegen ein monatliches Entgelt dabei sein. „Alle Kosten für Aktivitäten werden transparent gemacht, unsere Arbeit ist ehrenamtlich“, sagt Wecker.

Maureen Wolf ist Wirtin des Lokals Oma Kleinmann
Copyright: Foto: Alexander Schwaiger
Denn beide wissen: Engagement kostet viel Zeit neben dem eigenen Betrieb. Deswegen haben sie sich für ihre Social-Media-Kampagne kreative Köpfe gesucht. Eventmanagerin Marie Jacobs und Content Creator Fran Koetter produzieren zusammen mit den Gewerbetreibenden die kleinen, sympathischen Videoclips zu den Läden.