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„Vergleicht Euer Kind nicht“Kölner Kita-Leiterin zieht Bilanz aus 42 Jahren Kindergarten-Alltag

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Mallat an einem mit Sonnenblumen verzierten Fenster. Sie schaut raus und in die Kamera

Dagmar Mallat, die langjährige Leiterin der Kita Butterblume, geht in den Ruhestand.

Kitaleiterin Dagmar Mallat spricht im Interview auch über Eltern, die sich oft zu viel Druck machen würden.

Die Kita Butterblume in Müngersdorf besteht seit dem Jahr 1972. Die Elterninitiative war eine der ersten Einrichtungen ihrer Art. Dagmar Mallat leitete die Initiative mehrere Jahrzehnte. Im September geht die 65-Jährige nach 42 Jahren Butterblumenzeit in den Ruhestand. Zeit für ein Abschiedsgespräch.

Sie haben noch die Anfangszeit der Butterblume erlebt. Was war das damals für eine Zeit?

Dagmar Mallat: Die erste Elterngeneration war noch sehr politisch, sehr linkspolitisch. Man spürte noch die Ausläufer der antiautoritären Erziehung. Die Kinder durften zwar nicht machen, was sie wollten, gingen aber schon noch ziemlich über Tische und Bänke. Über alles wurde diskutiert. Am Karneval stritten alle miteinander darüber, ob die Kinder Pistolen mitbringen dürfen oder nicht. Und dann waren Elternabende auch manchmal sehr intensiv und wurden sehr persönlich.

Die antiautoritäre Erziehung ist ja aus der Mode gekommen. Was halten Sie davon?

Ich glaube, dass Kinder klare Regeln brauchen, im Rahmen. Dass Kinder mitbestimmen, ist wieder aktuell. Es gibt Kinderrechte. Die Frage ist: Wie weit können Kinder mitentscheiden, inwieweit brauchen sie aber auch Regeln und Grenzen? Sie brauchen beides. Ein Umgang auf Augenhöhe mit einem gesunden Menschenverstand.

Was fanden Sie gut an der Anfangszeit?

Ich kam gerade von der Erzieherschule und viele Dinge waren für mich ganz neu, beispielsweise, dass ein Kindergarten von halb acht Uhr morgens bis 17 Uhr geöffnet war. Wir haben auch bereits Kinder ab dem Alter von zwei Jahren betreut. Damals gab es schon Frauen, die sagten, dass sie auch arbeiten möchten und das für ihre Kinder gut finden. Das Grundvertrauen, dass Arbeit und Kinder sich nicht widersprechen, habe ich damals gelernt.

Aber das sehen auch heute noch einige Eltern anders?

Ich erlebe immer wieder dieses schlechte Gewissen bei den Müttern – nicht den Vätern –, wenn sie arbeiten, und das Kind ist den ganzen Tag im Kindergarten. Dabei fühlt es sich hier wohl. Wir haben täglich bis 17 Uhr auf, aber die Kinder einiger Eltern dürfen nur bleiben, wenn wir etwas Besonderes anbieten, beispielsweise eine Turn- oder eine Musik-AG. Ich finde es schade, dass sie nicht einfach zum Spielen hier sein dürfen. Es herrscht immer der Druck, dass die Kinder noch etwas lernen müssen. Beim Spielen tun sie das aber auch.

Woher kommt der Druck?

Viele Eltern machen sich viel zu viele Gedanken: Ist mein Kind richtig? Kann es früh genug laufen, singen? Hält es den Stift richtig? Ist mein Kind fit für die Welt? Die Eltern leben oft in den Defiziten. Sie sind da ganz empfindsam. Wenn sie mitbekommen, dass alle anderen Kinder schon Fahrrad fahren können, ihres aber noch nicht, dann bekommen sie Angst, dass es die Schule nicht schafft. Sie lassen dem Kind keine Zeit und nicht sein Tempo. Jedes Kind ist aber anders. Ich versuche, den Eltern immer zu sagen: Guckt doch auf Euer Kind und vergleicht es nicht.

War das früher anders?

Alle Eltern sind immer wieder neu unsicher, weil jeder den Anspruch hat: Ich will es besser machen oder supergut. Nur was das ist, ist in unterschiedlichen Generationen unterschiedlich. Ich finde es heute gut, dass wir bei den Elternabenden nicht mehr mit 40 Eltern über alles diskutieren. Sie arbeiten aber immer noch mit, machen gemeinsam Putzdienste. Wir unternehmen Eltern-Kind-Fahrten, feiern zusammen, gehen mit den Kindern Schwimmen und Radfahren. Ich habe viele besondere Momente erlebt. Es ist über die Zeit eine feste Gemeinschaft entstanden. Deswegen ist die Butterblume eigentlich auch so geblieben, wie sie immer war.

Die schwierige Betreuungssituation in Kindertagesstätten ist ja Dauerthema. Betrifft Sie das auch?

Ja, die Personalsituation ist sehr, sehr schwierig. Wir haben glücklicherweise immer wieder Personal gefunden und mittlerweile auch einige Erzieher. Dass auch immer mehr Männer diesen Beruf ausüben, ist eine tolle Entwicklung.

Was wünschen Sie der Butterblume für die Zukunft?

Dass sie irgendwann ein bisschen größeres Haus findet und dass die Eltern den Kräften ihrer Kinder vertrauen.


Butterblume

Die Elterninitiative Butterblume ist an der Aachener Straße 681 in Müngersdorf zu Hause. Dort werden zwei Gruppen mit jeweils 20 Kindern im Alter von zwei bis sechs Jahren betreut. Die Gruppen sind „offen“, das heißt, die Kinder dürfen im ganzen Haus unterwegs sein und sich beteiligen. Derzeit arbeiten in der Butterblume sieben festangestellte Erzieher, eine Vorpraktikantin, ein Student und eine Bürohilfe. (se) www.butterblume-koeln.de

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