Köln hat NachholbedarfInformatikerin, Lehrerin und Spiele-Entwickler zu Mint-Report

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Sabine Kaldorf, IT Beraterin

  • „Köln ist definitiv kein klassischer industrieller Mint-Standort, anders als Wolfsburg oder Leverkusen“, sagt Axel Plünnecker, IT-Experte.
  • Viele Probleme ließen sich mit Naturwissenschaftlern und Informatikern lösen.
  • Die Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft durch die Digitalisierung, die Herausforderungen des Klimawandels, all das könne nur mit mehr Mint-Menschen gelingen. Wir haben drei von ihnen gefragt: Was muss sich verändern, damit wir das schaffen?

Köln – Die Mathematik ist eine optimistische Wissenschaft. Es gibt keine Probleme ohne Lösung, sondern nur Probleme, die noch nicht gelöst wurden. Davon allerdings beliebig viele. Theoretisch. Und doch ist das dringlichste keins, das man allein mit Logik enträtseln könnte. Es schwebt über dem Fach, genau wie über der Informatik, über der Naturwissenschaft, über technischen Berufen, über dem, was unter dem Akronym Mint zusammengefasst wird.

Es mangelt an Menschen, um die Probleme zu lösen. Auch in Köln. Das zeigen die Zahlen aus dem Mint-Report des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Aber: Die Stadt scheint auf einem guten Weg. IW-Experte Axel Plünnecke stellte die Befunde am Freitag auf einer Pressekonferenz zur Ankündigung des zweiten Mint-Festivals der Stadtbibliothek Köln vor.

MINT-Festival der Stadtbibiothek

Die Stadtbibliothek Köln startet am 10. Oktober zum zweiten Mal ihr zweiwöchiges MINT-Festival. In 111 Veranstaltungen, davon über 100 kostenlose Workshops, sollen vor allem junge Menschen in den Herbstferien durchs Selbermachen und Ausprobieren für die MINT-Bereiche begeistert werden. ZumJubiläum der Mondlandung bilden die Themen Astronomie und Weltraum einen Schwerpunkt. Anmeldungen sind bereits möglich. Mehr Informationen: www.mint-festival.de  

Nur Platz 313 von 401 untersuchten Kreisen in Deutschland belegt Köln, wenn es um den Anteil der Mint-Beschäftigten an der Gesamtheit der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten geht. „Köln ist definitiv kein klassischer industrieller Mint-Standort, das sind Städte wie Wolfsburg oder Leverkusen, wo große Konzerne eine Infrastruktur für allerlei technische Berufe bieten“, sagte Plünnecke im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

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Für Köln aber sei die Entwicklung erfreulich. Zwischen 2012 und 2018 hat sich in der Stadt laut IW die Zahl derer, die in Mint-Berufen arbeiten, um 16,4 Prozent auf gut 98 000 Menschen erhöht. Bundesweit wuchs die Branche im gleichen Zeitraum um 12,7 Prozent, in NRW um 12,2 Prozent. Hoffnung macht auch der Teilbereich IT. 4,1 Prozent aller Beschäftigten sind in Köln in diesen Berufen tätig. Damit liegt die Stadt in dieser Sparte auf Platz 21 der 401 Kreise – vor Berlin oder Hamburg.

„In Zeiten der Digitalisierung werden vermehrt ITler gesucht. Auch von Arbeitgebern in der Dienstleistungsbranche“, sagt Plünnecke, „Nehmen wir das Beispiel einer Bank: Hier geht es mittlerweile nicht mehr ohne IT-Spezialisten, die etwa für Datensicherheit sorgen.“ Auch beim Anteil von Frauen und Ausländern in Mint-Berufen stehe Köln vergleichsweise gut da.

Dennoch herrscht weiter ein Mangel an Fachkräften. Die Zahl der unbesetzten Stellen liegt bundesweit bei über 300.000. „In NRW haben wir Engpässe im IT-Bereich, in ganz Deutschland aber auch in nicht akademischen Berufen vom Facharbeiter bis zum Meister“, sagt Plünnecke. Die Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft durch die Digitalisierung, die Herausforderungen des Klimawandels, all das könne nur mit mehr Mint-Menschen gelingen. Wir haben drei von ihnen gefragt: Was muss sich verändern, damit wir das schaffen?

Die Lehrerin

Im vergangenen Jahr hat es Anna Bautzen mit einem anderen Ansatz versucht. Als sie das Thema Evolution behandeln wollte, ging es nicht nur um den Menschen. Sie versuchte mit den Schülern der achten Klasse auch herauszufinden, wie sich Pferde entwickelt haben. Oder eher: mit den Schülerinnen. „Es ist immer noch so, dass sich eher Jungs für Naturwissenschaften begeistern“, sagt die Lehrerin. Bautzen unterrichtet Englisch und Biologie, an ihrer Gesamtschule im Raum Köln heißt das Fach in der Mittelstufe „Naturwissenschaften“. Wo Bautzen arbeitet und wie sie wirklich heißt, soll nicht in der Zeitung stehen.

Besonders in der Mittelstufe falle die Arbeit schwer. Die Versuche mit Chemikalien begeisterten ein paar. Aber bei den physikalischen Einheiten schalten viele Kinder ab. „Der Umgang mit Fachwissen klappt selten gut. Viele löschen ihre Festplatte, wenn sie aus dem Unterricht gehen. Und wir fangen immer wieder bei Null an.“

Manchmal fühlt Bautzen sich vom Land alleingelassen. Problemorientiert soll sie die Kinder zum Lernen bringen. „Aber die Probleme muss ich mir selbst ausdenken. Ich bin froh, dass wir da so einen guten Austausch im Kollegium haben.“ Der klappt aber nur, wenn auch genug Mint-Lehrer da sind. Laut einer Studie des Essener Bildungsforschers Klaus Klemm im Auftrag der Telekom-Stiftung wird sich allein in NRW die Zahl der Mint-Lehrer bis 2025 auf 25 000 halbieren.

Der Spiele-Entwickler

Durch Internetforen und viel Eigeninteresse brachte sich Utz Stauder selbst das Programmieren bei, da war er „so 14 Jahre vielleicht“. Nach dem Abitur folgte ein Studium der Wirtschaftsinformatik, fast ohne Schwierigkeiten. Nur die Abschlussarbeit hat er nie geschrieben. Und damit ist er nicht allein. Nur die Hälfte der Informatikstudenten schließt bundesweit ihr Studium ab. In keinem anderen Studiengang ist die Abbrecherquote so hoch wie in den Mint-Fächern: 30 Prozent bleiben ohne Abschluss.

„Mir war Wirtschaftsinformatik einfach oft zu theoretisch“, sagt Stauder. Er fing ein neues Studium an: „Digital Games“ am Cologne Games Lab der TH Köln. Mittlerweile ist er Geschäftsführer von „Ludopium“, seiner eigenen Videospiel-Firma. Mit drei anderen Spieleentwicklern hat Stauder sie vor einem Jahr gegründet. „Videospiel-Entwickeln ist für mich der Spagat zwischen technischem Know-how und kreativem Ausleben“, sagt Stauder. Er glaubt, dass mehr Jugendliche einen ähnlichen Weg einschlagen werden. „Wir bewegen uns in eine Zeit, in der Programmieren zur Allgemeinbildung gehören muss“ – genau wie Physik und Biologie.

Die Informatikerin

Als Sabine Kaldorf 1989 ihr Mathematikstudium mit Informatik im Nebenfach beendet und einen Job in einer IT-Beratung beginnt, ist sie eine Exotin. „Wenn ich in ein Meeting gegangen bin, hat mir der Raum das Gefühl gegeben: Du bist hier falsch, es sind nur Männer da“, sagt sie. „Frauen müssen sehr selbstbewusst sein, um sich da durchzusetzen.

Auch heute noch.“ Kaldorf entscheidet sich nach dem Studium für die eher betriebswissenschaftlich orientierte IT-Beratung. Weniger Programmieren, mehr Interaktion. Mittlerweile ist sie selbstständig. Sie leitet IT-Projekte, führt Systemanalysen durch, um herauszufinden wie sich Arbeitsprozesse am Computer effizienter gestalten lassen, und baut Systeme für die Qualitätssicherung ihrer Kunden auf. Selbst programmiert sie nicht mehr.

„Ich habe aber den Anspruch immer zu verstehen, was passiert, um den Programmierern erklären zu können, was sie tun sollen.“ Das Berufsfeld Informatik sei attraktiv: Intellektuell herausfordernd, abwechslungsreich und gut bezahlt. Nur wüssten das die wenigsten Jugendlichen. „Es muss mehr erwähnt werden, dass auch Informatiker viel mit Menschen zu tun haben können“, sagt sie. „Mein Beruf erfordert viel Kreativität und gute Kommunikationsfähigkeiten.“

Außerdem fordert Sabine Kaldorf ein Ende des gemeinsamen Lernens im Informatikunterricht der Schulen. Mädchen, die sich für IT interessieren, gälten bei Jungs als uncool. Sind sie unter sich, könnte sich die Neigung deshalb besser entwickeln.

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