Krisenintervention und HilfsangeboteSozialraumkoordinatoren schlagen Alarm – Mülheims Beratungsstellen sind überlastet

Lesezeit 3 Minuten
Mülheims Sozialraumkoordinatoren Simon Lenz, Marius Henne, Nadja Oertel, Julia Wellmann und Gerrit Mays (v.l.) klagen über  überlastete Beratungsstellen in ihrem Stadtbezirk.

Mülheims Sozialraumkoordinatoren Simon Lenz, Marius Henne, Nadja Oertel, Julia Wellmann und Gerrit Mays (v.l.) klagen über überlastete Beratungsstellen in ihrem Stadtbezirk.

Eine Studie der Mülheimer Sozialraumkoordinatoren belegt die Überlastung von sozialen Beratungsangeboten im Stadtbezirk.

Die sozialen Beratungsangebote im Stadtbezirk Mülheim kommen an ihre Belastungsgrenze. In den vergangenen Jahren stieg die Zahl der Hilfesuchenden enorm. Die Einrichtungen werden buchstäblich überrannt. Zu diesem Schluss kommen die Sozialraumkoordinatoren aus dem Stadtbezirk und schlagen Alarm.

Zu den Angeboten zählen unter anderem Erstberatung, Sozialberatung, Jugendspezifische Angebote, Migrationsberatung, Gesundheits- und Familienberatung. „Wir haben 2020 eine Befragung der Beratungsstellen gestartet, deren Ergebnisse nun vorliegen“, berichtet Marius Henne, Sozialraumkoordinator in Buchforst und Mülheim Süd.

71 Einrichtungen in Mülheim machten bei der Studie mit

Von insgesamt etwa 150 Einrichtungen hatten 71 an der Aktion teilgenommen. Um aktuelle Entwicklungen wie den Ukraine-Krieg und die Inflation berücksichtigen zu können, kamen die Teilnehmenden im Januar 2023 nochmals zu einem Workshop zusammen. Nun veröffentlichten sie eine 33 Seiten umfassende Broschüre mit den Ergebnissen und ihren Forderungen. Es ist die erste derartige Erhebung, die die Situation in einem Kölner Stadtbezirk untersucht.

Die Untersuchung hat ergeben, dass die beteiligten Beratungsstellen 2022 insgesamt etwa 20.000 Einzelberatungen durchgeführt haben. Häufigste Themen seien zum Beispiel Antragstellungen mit 57 Prozent, Jobcenterleistungen mit 44 Prozent, Ausländerrecht mit 36 Prozent oder Grundsicherung und Wohnen mit je 34 Prozent. „Die Teilnehmenden des Workshops gaben an, dass sich die Beratungsformen verschoben haben. In allen anwesenden Beratungsstellen standen die Krisenintervention und Unterstützung bei existenzbedrohenden Themen an erster Stelle“, beschreibt Nadja Oertel, die den Mülheimer Norden und die Keupstraße betreut, die Situation. Bei diesen Fällen gehe es um existenzielle Fragen wie Miete, Heizung oder Lebensmittelversorgung. Dadurch seien immer weniger präventive Beratungen möglich.

Wenig freie Kapazitäten bei Beratungsangeboten in Mülheim

Etwa die Hälfte der Beratungsstellen im Stadtbezirk ist voll ausgelastet. Oertel: „Die Nachfrage ist größer als das Angebot, 37 Prozent der Befragten gaben an, dass ihre Kapazitäten sogar deutlich überschritten wurden.“ Nur 14 Prozent gaben an, noch freie Kapazitäten zu haben.

Die Autoren sehen aber noch mehr Probleme. „Viele Angebote bekommen keine Regelfinanzierung, sondern lediglich Projektmittel, die nach wenigen Jahren auslaufen“, berichtet Simon Lenz, der in Mülheim Nord und in Stammheim tätig ist. Immer weniger Personal müsse immer mehr Arbeit leisten. Auch mehrsprachige Beratungen wiesen immer noch Defizite auf. Lenz: „Wir brauchen eine bessere Vernetzung der Einrichtungen und einen Dolmetscherpool, der allen zur Verfügung steht.“ Auch an fachlicher Fortbildung der Mitarbeitenden mangele es.

Julia Wellmann, die ebenfalls für Mülheim Nord und Stammheim zuständig ist, beklagt die fehlende Vernetzung mit Ämtern, Behörden und öffentlichen Einrichtungen: „Die Beratenden fordern einen stärkeren fachlichen Austausch, um Härtefälle zu vermeiden.“ Zu oft seien Ämter für die Hilfesuchenden nicht erreichbar und die kämen dadurch in Existenznöte. Dieser Einschätzung schließt sich auch Gerrit Mays, Sozialraumkoordinator in Dünnwald und Höhenhaus, an: „Eine stärkere Orientierung der Behörden an den Bedarfen wie Mehrsprachigkeit, Ansprechpartnern oder offenen Sprechstunden würde viele Beratungsangebote deutlich entlasten.“

KStA abonnieren