Der frühere rheinische Präses Manfred Kock, der seit 1970 in Köln lebte und wirkte, ist kurz vor seinem 89. Geburtstag gestorben. Die Befähigung zum Brückenbauen zeichnete ihn aus.
Nachruf auf Manfred KockEin großer Versöhner

Der am 11. September gestorbene frühere EKD-Ratsvorsitzende Manfred Kock (r.) beim Schlussgottesdienst des ersten Ökumenischen Kirchentags 2003 in Berlin mit dem damaligen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann.
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Manchmal, wenn man ihn im schwarzen Talar des evangelischen Pfarrers sah, mit seinen markanten Gesichtszügen, dem zugleich strengen wie gütigen Blick – dann mochte man an Martin Luther persönlich denken. Manfred Kock, früherer Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Präses der Evangelischen im Rheinland, verkörperte viele reformatorische Tugenden: Das klare Eintreten für die eigenen Grundüberzeugungen. Die Liebe zum Wort Gottes in der Bibel und das Bemühen um eine zeitgemäße, verständliche Interpretation. Das Bekenntnis zur gesellschaftspolitischen Relevanz der christlichen Botschaft. „Die Kirche kann sich weder das Recht noch die Pflicht absprechen lassen, Stellung zu nehmen“ – das war für ihn ausgemachte Sache.
In einem aber unterschied sich der Protestant Manfred Kock deutlich vom Reformator Luther: Er war keiner, der sich mit Lust in Konflikte gestürzt und sie mit spitzer Zunge noch verschärft hätte. Kock war eher der Mann der leisen Töne, bedachtsam, um das Verstehen und den Ausgleich bemüht.
Freundschaften über Konfessionsgrenzen hinweg
Das galt insbesondere für die Beziehungen zur römisch-katholischen „Schwesterkirche“. Dabei gehörte die ökumenische Gesinnung nicht zu seiner religiösen Sozialisation. Kock wurde 1936 im westfälischen Burgsteinfurt geboren, einer streng reformierten Enklave im tief katholischen Münsterland. Die Selbstbehauptung gegen die anderen war dort für beide Seiten bis weit ins 20. Jahrhundert Habitus. Kock hingegen pflegte schon als Jugendlicher Freundschaften über die Konfessionsgrenzen hinweg.
Nach dem Abitur studierte Kock evangelische Theologie in Bielefeld-Bethel, Münster und Tübingen. In einer Bergarbeitergemeinde in Recklinghausen trat er 1962 seine erste Pfarrstelle an. 1970 wechselte er zunächst als Jugendpfarrer nach Köln. Er wurde dann Gemeindepfarrer in Bickendorf, später Superintendent des Kirchenkreises Köln-Nord. 1988 wurde er zum Stadtsuperintendent gewählt. Er war damit höchster Vertreter der evangelischen Kirche in Köln. Kock wusste um deren Position als relative Minderheit. Er kultivierte aber keine Form von Minderwertigkeitskomplex. Kock mochte Köln und die Kölner mit ihrer Mentalität, den Bräuchen, Traditionen und dem gelassenen, weitherzigen „rheinischen Katholizismus“, für den der Herrgott „nit esu is“.
Überraschung bei der Wahl des EKD-Ratsvorsitzenden
In Kocks Zeit als Stadtsuperintendent fällt die Kampagne „Misch dich ein!“ (1993/94), die als eine damals noch unübliche Form kirchlicher Öffentlichkeitsarbeit weit über Kölns Grenzen hinaus Aufsehen erregte. Als 1996 der legendäre rheinische Präses Peter Beier, ein enger Freund Kocks, überraschend starb, richteten sich die Blicke der Synode für die Wahl des Nachfolgers Anfang 1997 unumwunden und unwiderstehlich auf Kock.
Schon wenige Monate nach seinem Amtsantritt wurde er mit breiter Mehrheit auch zum EKD-Ratsvorsitzenden gewählt. Gerechnet hatten damals viele mit dem Berliner Bischof Wolfgang Huber. Doch die EKD-Synode zog dem brillierenden Intellektuellen und ambitionierten Kirchenpolitiker den bodenständiger, verbindlicher wirkenden Kock vor, der damit für sechs Jahre der erste Rheinländer im Spitzenamt des deutschen Protestantismus wurde.
Aus den damit verbundenen Begegnungen mit dem damaligen Vorsitzenden der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Karl Lehmann, entstand ein vertrauensvolles, ja freundschaftliches Verhältnis. Als Lehmann 2001 von Papst Johannes Paul II. zum Kardinal erhoben wurde, lud er Kock in seine persönliche Delegation zur Mitreise ein. Zeitlebens wusste Kock vom Zeremoniell auf dem Petersplatz mit seinem Gepränge und von den Finessen des römischen Protokolls zu berichten – mit Sympathie, ohne den Anflug eines Fremdelns, aber auch mit der freundlichen Distanz dessen, der sich in aller Gelassenheit sagt: Muss ich so nicht haben...
Auslegung des Begriffs „Freiheit“
In Köln organisierte Kock mit dem Jesuitenpater Friedhelm Mennekes von der „Kunststation Sankt Peter“ gemeinsame Ausstellungen und Gottesdienste. Umso mehr schmerzte es Kock, wenn Rom den Geist der Einheit unter Katholiken und Protestanten auf die Probe stellte und – wie 2000 in einem Schreiben zum angeblich nachrangigen Status der evangelischen Kirchen – das ökumenische Klima auf „Eiszeit“ stellte. Dagegen wandte sich Kock 2006 in einem gleichnamigen Buch. Im selben Jahr veröffentlichte er unter dem Titel „Freiheit“ eine Auslegung des lutherischen Basisbegriffs.
Der amtierende Stadtsuperintendent Bernhard Seiger erinnerte daran, wie Kock zum Reformationsjubiläum 2017 die Kölner Kirche dazu ermutigt habe, ihre „reformatorischen Schätze ins Schaufenster zu stellen“. Der rheinische Präses Thorsten Latzel würdigte Kock als „leidenschaftlichen Prediger, der mit wachem Gewissen immer wieder daran erinnert hat, dass der Glaube an Jesus Christus zum mutigen Handeln für ein Zusammenleben in Frieden und Gerechtigkeit auffordert.“ Kocks Nachfolger in den beiden kirchlichen Spitzenämtern, Nikolaus Schneider, hob den Einsatz im christlich-jüdischen Dialog hervor. Auch hier habe sich Kocks Befähigung zum Brückenbauer bewährt, sagte Schneider dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Nach Angaben der Landeskirche wird Schneider den Trauergottesdienst für seinen verstorbenen Freund leiten.
Am Nahost-Konflikt gelitten
Im Verein Köln-Bethlehem sorgte Kock sich zudem um die Beziehungen zu den Palästinensern. Der Vorsitzende Albrecht Schröter sagte, Kock habe den Verein auch als Ehrenvorsitzender „in unserem Auftrag ermutigt, unterstützt und geprägt, Menschen aus Bethlehem und Köln zusammenzubringen“. Besonders wichtig sei Kock „die Verwirklichung des völkerrechtlichen Anspruchs der Palästinenser auf einen eigenen Staat gewesen“. An Hass und Gewalt zwischen den Konfliktparteien im Nahen Osten hat Kock, der große Versöhner, gerade in den letzten Jahren besonders gelitten.
Bis vor wenigen Monaten lebte Kock mit seiner Frau Gisela in Köln-Niehl. Nach einer schweren Verletzung infolge eines Sturzes im Juni zog das Paar noch einmal um. Von den Folgen des Sturzes hatte der 88-Jährige sich recht gut erholt. So kam sein Tod in der Nacht vom 11. auf den 12. September für seine Familie mit den drei Kindern und sechs Enkeln sowie für seinen Freundeskreis trotz aller altersbedingten Malaisen überraschend. Am 14. September wäre Manfred Kock 89 Jahre alt geworden.