Vor AbrissAltes Postamt in Köln-Weidenpesch sah einst wie ein Schloss aus

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Köln-Weidenpesch – Der Aufstieg in den Turm war mit Hindernissen verbunden. Weil die Treppe im Krieg abgebrannt war, mussten Georg Seiwert, ein Kollege und der Amtsvorsteher eine Leiter benutzen. Eigentlich lautete ihr Auftrag, am Turm des Weidenpescher Postamts die Bundespostflagge zu hissen. Doch im oberen Turmzimmer mit den großen unverglasten Fensteröffnungen gab es zunächst anderes zu tun. Der Zweite Weltkrieg war zwar schon fast zehn Jahre vorbei. Oben stießen die erstaunten Postmitarbeiter jedoch auf Kartons und Büchsen, die amerikanische Soldaten in den letzten Kriegstagen zurückgelassen hatten.

Als Georg Seiwert 1951 im Postamt Weidenpesch (damals noch „Merheim linksrheinisch“) als so genannter Jungbote anfing, war das schlossartige Gebäude an der Neusser Straße 625 noch immer beschädigt. Der Dachstuhl sei beim sogenannten 1000-Bomber-Angriff 1942 abgebrannt, sagt der heute 85-Jährige. Nur die Giebel des neugotischen Gebäudes, das vor dem Krieg auch als Jutefabrik genutzt wurde, waren stehen geblieben.

Räume waren nach dem Krieg zerstört

„Als ich angefangen habe, war die obere Etage von der Fotofirma Agfa belegt“, sagt Georg Seiwert. Denn unzerstörte Räumlichkeiten waren nach dem Krieg Mangelware. Trotz der provisorischen Verhältnisse fühlte sich der 14-jährige Junge aus Weidenpesch wohl an seiner neuen Arbeitsstelle. Zusammen mit seinen Kollegen unternahm er Dienstausflüge, der Umgang war freundschaftlich. „Wir waren eine Postfamilie“, sagt Georg Seiwert: „Und die Wirtschaft fing langsam an zu florieren.“

Postamt_Mitarbeiter

Georg Seiwert arbeitete einst im Weidenpescher Postamt.

Auch in Weidenpesch erlebten Handel und Industrie einen Aufschwung, die Bevölkerung wuchs. Das Postamt mit seinen quietschenden Türen und dem wackeligen Fußboden bekam immer mehr Zulauf. Eine große Zukunft war ihm trotzdem nicht beschieden.

Dass das Gebäude, das vor der Post von der Jutefirma Raetz genutzt worden war, Anfang der 1960er Jahre abgebrochen wurde, um stattdessen Wohnungen zu bauen, kann Georg Seiwert nicht verstehen. Das Verständnis für die Architektur aus der Kaiserzeit sei damals nicht vorhanden gewesen: „Heute würde man so etwas nicht mehr abreißen.“ Nur eine dicke Eingangstür aus Eichenholz sei vom alten Postamt übrig geblieben, sagt der Rentner, der im Laufe der Jahre zum Betriebsleiter des Postamts Heimersdorf aufstieg. Sie befinde sich heute in einem Bungalow in Fühlingen.

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Das Turmzimmer, das die amerikanischen Soldaten in den letzten Kriegstagen offenbar als Beobachtungsposten genutzt hatten, reinigten Georg Seiwert und seine Kollegen. Neben den Kartons und Konserven fanden sie auch einen Privatbrief, den ein Soldat hatte liegen lassen – „mit Adresse und allem Drum und Dran“, erinnert sich Georg Seiwert.

Brief in die USA geschickt

Wie es sich für korrekte Postbeamten gehört, schickten er und seine Kollegen ihn – neun Jahre nach dem Krieg – an die angegebene Adresse in den USA. „Die werden gestaunt haben, als der Brief angekommen ist“, sagt Georg Seiwert und lacht.

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