Adil Demirci auf Pressekonferenz in Köln„Ein Teil meines Lebens wurde mir genommen“

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Adil Demirci mit seinem Vater kurz nach seiner Ankunft in Köln.

Köln – Am Tag nach der Beerdigung seiner Mutter sind Adil Demirci die Strapazen der vergangenen Monate anzumerken: Manchmal geht sein Blick ins Leere, immer wieder hustet er. 14 Monate war der Kölner Sozialwissenschaftler in der Türkei festgehalten worden – zehn Monate verbrachte er im Hochsicherheitsgefängnis Silivri, seit Februar war er frei, durfte Istanbul aber nicht verlassen. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Demirci soll Mitglied der verbotenen Marxistisch-Leninistischen Partei (MLKP) sein (was er bestreitet) und an Beerdigungen von MLKP-Mitgliedern teilgenommen haben.

„An den Beerdigungen haben Tausende teilgenommen“, sagte Demirci auf einer Pressekonferenz am Freitag in den Räumen des Internationalen Friedenswerks. Er könne sich bis heute nicht erklären, warum man ausgerechnet ihm dafür den Prozess mache. Die Türkei verlassen durfte Demirci gegen die Zahlung einer Kaution, um an der Beerdigung seiner Mutter teilzunehmen.

„Die letzten Tage waren schwierig für mich“, sagte er. Mehrfach hatten seine Anwälte vergeblich eine Aufhebung der Ausreisesperre zu beantragt, da sie wussten, dass die Mutter nicht mehr lange zu leben hatte. „Ich konnte mich nicht mehr von ihr verabschieden. In den letzten Monaten nicht bei  ihr sein zu können, war das schlimmste.“

14 Monate seines Lebens habe man ihm genommen, „jetzt bin ich erschöpft, die Solidarität aus Deutschland hat mir allerdings viel Kraft gegeben“.

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Demirci plant nicht, zur Fortsetzung des Prozesses gegen ihn im Oktober nach Istanbul zurückzukehren. „Es gibt keine Anwesenheitspflicht, es reicht, wenn meine Anwälte da sind. Ich werde in der nächsten Zeit nicht in die Türkei zurückkehren“, sagte er, und dankte den Menschen und Institutionen, die ihn unterstützt hatten: dem Solidaritätskreis um seinen Bruder Tamer, der 62 Mal eine Mahnwache am Wallrafplatz abgehalten hatte, der Stadt Köln, den Politikern Jörg Detjen (Linke) und Rolf Mützenich (SPD), Schriftsteller Günter Wallraff und Anke Brunn vom Internationalen Bund (IB), die sich als Prozessbeobachter in Istanbul für ihn eingesetzt hatten, und Alt-Bundespräsident Christian Wulff, den er Ende April in Istanbul getroffen hatte.

Demirci überlegt, türkische Staatsbürgerschaft abzugeben

Sie hoffe, dass Demirci bald wieder für den IB arbeiten könne, sagte Brunn. Sein Arbeitsvertrag hatte der IB während der Haft verlängert. Brunn und Detjen erinnerten an die inhaftierte Kölner Sängerin Hozan Cane und deren Tochter Dilan Örs, die in Istanbul festgehalten wird. Die öffentliche Solidarität müsse weitergehen. Demirci überlegt derweil, seine türkische Staatsbürgerschaft abzugeben, um künftig von der türkischen Justiz verschont zu bleiben.

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