PunktlandungWinfriedias verlassene Pokale

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Ein Güterzug fährt vor den Gaskesseln an der Piccoloministraße entlang.

Ein Güterzug fährt vor den Gaskesseln an der Piccoloministraße entlang.

Mülheim – Der letzte Bingo-Abend hat nicht mehr stattgefunden, das ist schade. Denn es wären „tolle Preise“ zu gewinnen gewesen, heißt es auf dem Zettel an der Tür zum Vereinsheim der DJK Winfriedia Mülheim. Das Heim gibt es noch, den Verein dagegen nicht mehr. Vor drei Jahren ging die DJK in die Insolvenz.

Der Verein verschwand, doch Josef Funk blieb. Als Ehrenamtler war er der gute Geist der Klubanlage im Schatten der Gaskessel, war Platzwart und Hausmeister. Noch heute lebt er in der 40 Quadratmeter großen Platzwartwohnung auf dem Gelände.

Der Trakt mit den Kabinen und den Büros ist gesperrt. Das Dach ist undicht, Rohre sind gebrochen. Der Geruch von Schimmel liegt in der Luft. In den Ecken raschelt es verdächtig. An den Wänden hängen verblichene Mannschaftsfotos, manche davon hat Josef Funk selbst gemacht. Pokale stehen herum, und die Plaketten, die der Fußball-Verband Mittelrhein einst feierlich überreichte: Meister der Bezirksliga der Saison 1984/1985. „Hier war richtig Betrieb früher“, sagt Funk.

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Die Stadt kümmere sich nicht mehr um das Gelände, „manchmal habe ich das Gefühl, dass man abwartet, dass die Gebäude zusammenbrechen. Eigentlich ist es eine Schande“, sagt Funk und schüttelt den Kopf. Die einstöckigen Gebäude stehen unter hohen Bäumen, der Aschenplatz ist gesäumt von dichtem Grün. Eine verwunschene Welt. Josef Funk sorgt dafür, dass nicht alles zuwuchert. Ansonsten hat er nicht mehr viel zu tun. „Ich bin zufrieden, ich habe hier meine Ruhe“, sagt er.

Alle Schlüssel zum Gelände

20 Jahre lang hat er als Tankwart in Bad Honnef gearbeitet. Dann wurde er krank. Heute lebt er von Hartz IV, für einen wie ihn gibt es keine Arbeit mehr. „Eigentlich eine Schande“, sagt er. Josef Funk hat alle Schlüssel zum Gelände, das übrigens gar nicht in Mülheim, sondern in Buchheim liegt. Er könnte sogar das Flutlicht anwerfen, dann wäre der Sportplatz aus dem All zu sehen. Ein lustiger Gedanke, findet Funk.

Früher hatte die Winfriedia auch eine riesige Jugendabteilung, doch heute spielt hier niemand mehr. Dabei begann hier eine große Karriere: Hans Sarpei, in Chorweiler aufgewachsen, war Ende der 90er Jahre Abwehrchef des damaligen Fünftligisten. Im Jahr 2010 stand er mit der Nationalelf Ghanas vor 84 000 Zuschauern in Johannesburg im Viertelfinale der Weltmeisterschaft. Von Funks Aschenplatz ging Sarpei über Fortuna Köln und Bayer 04 Leverkusen bis zu Schalke 04. Sarpei spielte mehr als 180-mal in der Bundesliga. Heute ist er ein gemachter Mann.

Auf der anderen Straßenseite zeigt Frank Pohlscheid seinen neuen Dienstwagen. 460 PS, 340 000 Euro hat er gekostet. Pohlscheid ist Busfahrer bei der Firma H. J. Placke Reisen. Der VDL Futura II ist das neueste Gefährt des Unternehmens. Holländisches Fabrikat, fantastisch ausgestattet mit Fernsehern und neuester Motorentechnik. So ein Großdiesel verbraucht nur noch 25 bis 33 Liter Sprit, das ist nicht besonders viel für ein 14 Meter langes Auto mit mehr als 50 Plätzen. 500 Liter fasst der Tank, da sind die Spritpreise eine wichtige Größe. Als neulich der Liter Diesel von einer Woche auf die andere um zehn Cent sank, schickte der Chef alle Wagen an die Tankstelle. Bloß hatte die schon nach ein paar Bussen kein Diesel mehr.

Manchmal wird es eng

Das Cockpit des Futura sieht recht konventionell aus. Sechs Gänge Schaltgetriebe, das müsste doch leicht zu fahren sein. Aber Frank Pohlscheid lässt keine Reporter mal eben eine Runde drehen. „Kein Busfahrer, der was auf sich hält, würde das zulassen“, sagt er und lacht. Fünfzig Prozent beim Busfahren seien Übung, der Rest Talent. „Man muss sein Auto kennen“, sagt er. Manchmal wird es natürlich schon eng, zumindest glauben das die Fahrgäste. Die ziehen dann Luft durch die Zähne, „dann kommt von hinten das Vakuum“, sagt Pohlscheid. Er nimmt die Leute im Bus durchaus wahr, „das ist schon was anderes als mit einem Lkw. Man hat ja eine Verantwortung für die Leute.“

Im Schatten der Gaskessel sorgt sich Renate Ubber in ihrem Kleingarten um das Gemüse. „Wir haben schon viel wegwerfen müssen wegen des vielen Regens“, seufzt sie. „Und die Sonne fehlt. Besonders den Tomaten.“ Frau Ubber und ihr Mann Ralf sind schon zusammen zur Schule gegangen, gefunkt hat es bei den Original Dünnwalder Musikanten. Sie trommelte, er spielte Trompete. Für die Roten Funken gingen sie sogar im Rosenmontagszug mit. Doch dann kamen die Kinder, da blieb keine Zeit mehr für die Musik. Vier Jungs haben die Ubbers, „alles FC-Fans“, sagt deren Mutter.

Derzeit weht die deutsche Flagge über dem Garten, wenn der FC spielt, hissen sie aber auch regelmäßig die FC-Fahne. Renate Ubbers Eltern bewirtschaften den Garten gegenüber, ihr ältester Sohn mit den vier Enkeln hat kürzlich eine Parzelle nebenan übernommen. Frau Ubber fährt immer mit dem Rad aus Neubrück her, anderthalb Stunden pro Strecke. Sie habe zwar auch ein Mofa, aber am liebsten fahre sie doch mit dem Rad. Ganz langsam, damit es ihrem Hund Leo im Körbchen auf dem Gepäckträger nicht komisch wird. So ein Garten mache viel Arbeit, aber sie haben schon viel geschafft. „Als wir vor vier Jahren herkamen“, sagt Frau Ubber, „sah es hier aus wie im Dschungel.“

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