Messergewalt in Köln23-Jähriger soll Freund mit einem Stich getötet haben – Vorher waren sie feiern

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Kerzen vor einem Hauseingang in der Römerstraße, die an den gewaltsamen Tod eines 19-Jährigen erinnern.

Am Tatort vor einem Hauseingang in der Römerstraße haben Menschen Blumen und Kerzen abgestellt.

Eine Mordkommission ermittelt die Hintergründe – ebenso wie nach einem Messerangriff auf dem Ebertplatz am Sonntagvormittag.

Zwei Tage nach dem gewaltsamen Tod des 19 Jahre alten Lars F. (Name geändert) stehen am Montagnachmittag Freunde, Freundinnen und Nachbarn vor roten Grablichtern am Tatort in der Römerstraße in Rodenkirchen. Ein ruhiges Wohnviertel. Die Menschen erzählen aus dem kurzen Leben von Lars F., Dachdeckerlehrling sei er gewesen. Auch den mutmaßlichen Täter Thomas T. (Name geändert) aus Rondorf kennen manche. Man sei schon mal zusammen ausgegangen. Psychisch labil habe Thomas T. gewirkt, berichtet eine junge Frau, einen „gefährlichen Eindruck“ habe er auf sie gemacht.

Irgendwann zwischen 2.30 und 4 Uhr am Samstagmorgen soll Thomas T. seinen Bekannten Lars F.  auf der Römerstraße niedergestochen haben. In der Nähe wohnen Angehörige des Opfers. Zeugen der Tat gibt es keine. Thomas T. flüchtete, ein Jogger fand das stark blutende Opfer erst um 6.40 Uhr vor einem Hauseingang. Ein Notarzt konnte nur noch seinen Tod feststellen. Rechtsmediziner fanden bei der Obduktion einen Einstich im Oberkörper.

Köln: Tatverdächtiger schweigt zum Messerstich in Rodenkirchen

Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun wegen Totschlags. Thomas T. wurde am Samstagabend von einem Spezialeinsatzkommando in seiner Wohnung in Rondorf festgenommen. Er sitzt nun wegen dringenden Tatverdachts in Untersuchungshaft. T. schweigt zu den Vorwürfen und lässt sich von einem Anwalt vertreten.

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Nach Angaben von Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer hätten insbesondere Zeugenaussagen die Polizei auf die Spur des mutmaßlichen Täters gebracht. Wie zu erfahren war, sollen Thomas T. und Lars F. den Freitagabend zunächst in einer größeren Gruppe zusammen verbracht haben, bevor sie später alleine in der Römerstraße waren. Man sei feiern gewesen, heißt es. Thomas T. soll möglicherweise betrunken gewesen sein, als er zugestochen haben soll. Auch das überprüft die Polizei noch. Über das Motiv kursieren in Rodenkirchen verschiedene Spekulationen, sicher sei noch nichts, betonte Bremer. „Die Ermittlungen zu den Hintergründen der Tat und zur Motivation des Beschuldigten dauern an.“

Köln: Blutiger Streit auf dem Ebertplatz von Kameras aufgezeichnet

Auch eine zweite gewalttätige Auseinandersetzung vom Wochenende beschäftigt derzeit die Kölner Mordkommission, und auch bei dieser Tat wurde ein Messer eingesetzt. Am Sonntag gegen 11.30 Uhr hatte ein Passant einen 16-Jährigen stark blutend auf dem Ebertplatz gefunden. Er sei durch mindestens einen Messerstich in den Oberkörper verletzt worden, sagte Oberstaatsanwalt Bremer.

Die Tat wurde von den Videokameras der Polizei aufgenommen, über die Bilder gelang den Ermittlern auch ein schneller Fahndungserfolg: In der Nähe des Tatorts nahmen sie einen 24-jährigen Mann fest. „Der Auslöser für die Auseinandersetzung kann noch nicht klar benannt werden“, sagte Bremer. Es werde noch geprüft, ob die Voraussetzungen für einen Haftbefehl gegen den 24-Jährigen vorlägen. Ermittelt wird wegen gefährlicher Körperverletzung. Das Opfer wurde schwer, aber nicht lebensbedrohlich verletzt.

Köln: Messergewalt beschäftigt zuletzt wieder zunehmend die Polizei 

Das Thema Messergewalt beschäftigt die Polizei zunehmend, und das nicht nur in Köln. Im August wurde in Buchheim ein 16-Jähriger bei einer Auseinandersetzung unter Jugendlichen an einem Sportplatz lebensgefährlich verletzt. Im Mai erlitt am Kölner Kaiser-Wilhelm-Ring ein 17-Jähriger durch mehrere Stiche lebensgefährliche Verletzungen, und im März war in Stammheim ein 23-Jähriger mit einem Messer tödlich verletzt worden.

Bei landesweiten Schwerpunktkontrollen im Juni kontrollierten in Köln damals 300 Polizeikräfte im Beisein von Innenminister Herbert Reul rund 650 Besucher in den Kölner Ausgehvierteln und stellten acht Messer in den Waffenverbotszonen auf den Ringen und der Zülpicher Straße sicher. Außer Schuss- und Schreckschusswaffen dürfen dort auch Messer mit feststehender oder feststellbarer Klinge über vier Zentimeter nicht mitgeführt werden.

Dass dies nicht nur durch Polizeikontrollen erreicht werden kann, haben zuletzt erneut Streetworker und Sozialarbeiter betont. Wie etwa Franco Clemens. „Inzwischen hat das Einhand-Messer primär aus Angst und zur Selbstverteidigung leider Einzug in viele Jacken,- und Hosentaschen gehalten, auch bei Menschen in der ganz normalen Bürgerschaft, wo man es kaum vermuten würde“, sagt der Kölner, der als Streetworker schon in zahlreichen sozialen Brennpunkten in Köln und anderen Städten gearbeitet hat.

Das Einhand-Messer hat primär aus Angst und zur Selbstverteidigung leider Einzug in viele Jacken,- und Hosentaschen gehalten
Franco Clemens, Sozialarbeiter

Die allerwenigsten Messerträger wollten damit gezielt kriminelle Handlungen begehen oder Konflikte lösen. Clemens: „Da sie aber in den Taschen sind, kommen sie entsprechend häufiger zum Einsatz, ohne dann unter Stressgefühl die Konsequenzen zu bedenken, die es haben kann, bis hin zum Tod eines Menschen, ob nun als Aggressor oder in Notwehr.“

Seit 2020 erfasst die Polizeiliche Kriminalstatistik, wie oft bei einer Straftat ein Messer eingesetzt wird. In den ersten drei Monaten dieses Jahres war das in Köln 77 Mal der Fall – im selben Zeitraum voriges Jahr gab es 104 Fälle, und 2021 waren es 99. Im gesamten Vorjahr setzten Straftäter in Köln 470 Mal ein Messer ein, 2021 geschah dies 360 Mal, 2020 insgesamt 462 Mal. Fünf Menschen starben voriges Jahr durch Messerangriffe, drei 2021 und fünf im Jahr 2020.

Doch was genau sich hinter jedem einzelnen Fall verbirgt, sagt diese Statistik nicht – es kann auch ein Diebstahl sein, bei dem der Täter die Plane eines geparkten Lkw mit einem Messer aufgeschlitzt hat. Oder auch allein die Drohung mit einem Messer. Es sind also bei weitem nicht alles überfallartige Messerangriffe auf offener Straße, schon gar nicht auf unbeteiligte Passanten. Letzteres ist die absolute Ausnahme.

Etwas aussagekräftiger ist womöglich die Zahl der Körperverletzungen, bei denen ein Messer eingesetzt wurde. 34 Körperverletzungen durch Messer gab es demnach bis Ende März dieses Jahr, 172 im gesamten Vorjahr, 108 im Jahr 2021, und 185 waren es noch 2020.

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