Schulplatzvergabe in KölnAn sechs Schulen abgelehnt – „Er denkt, er sei der Loser“

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tim oliver

Mutter Katrin Thomas und Sohn Tim Oliver Thomas an den Grundschul-Containern in Köln-Rath.

Köln – Stress, viele Tränen, mehrere Nervenzusammenbrüche – Familie Thomas aus Rath hat in den vergangenen Wochen Erfahrungen gemacht, die man keiner Familie wünscht. Sechs Ablehnungen von weiterführenden Schulen hat sie zur Kenntnis nehmen müssen. Was das nicht nur für Eltern sondern auch für einen Neunjährigen bedeutet, kann man sich leicht vorstellen: „Er denkt, er sei der Loser“, sagt Mutter Katrin Thomas. Das Kind suche die Ursachen für die Ablehnungen nicht bei den Aufnahmeverfahren der Schulen, nicht bei der, so die Mutter, „unzureichenden Politik und Förderung der Stadt Köln“, sondern bei sich selbst.

Folgen jahrelanger Versäumnisse

Der Fall der Rather Familie ist sicher ein Extrem, aber er verdeutlicht doch nachdrücklich die Folgen jahrelanger Versäumnisse. Die Wunschschulform der Familie war eine Gesamtschule, auf die Sohn Tim Oliver nach dem Ende der Grundschule (die zurzeit in Container ausgelagert ist) gehen sollte.

Nach zwei Absagen wurde er auf einer Realschule in Bergisch Gladbach-Bensberg angemeldet. Familie Thomas hatte da wohl etwas leichtfertig den Beteuerungen der Verantwortlichen getraut, die eine bessere Kooperation zwischen Köln und die Nachbarkommunen zur Bewältigung des Notstands versprechen. Der Junge wurde in Bensberg nicht nur wegen „Wohnortferne“ abgelehnt. Weil die Familie einmal die Stadtgrenze überschritten hatte, war in Köln danach niemand  mehr zuständig, um bei der Suche nach Ersatz zu helfen.

Run auf Realschulen im Rechtsrheinischen

So ging die Familie selbst auf die Suche in der Nachbarschaft, musste jedoch feststellen, dass alle Realschulen in der näheren Umgebung bereits voll waren. So gab es weitere Absagen aus Brück, Porz-Wahn und Eil. In Ostheim wäre es wohl genauso gelaufen, denn auch diese Schule ist voll.

Der Run auf die Realschulen im rechtsrheinischen Köln ist keineswegs eine Überraschung, sondern die Folge von fast 1000 Ablehnungen, die die Stadt zuvor an Gesamtschulinteressenten verschickt hatte.

„Sie füllen Realschulen auf“ – Verzerrter Bedarf

Die Kölner Bildungsexpertin Anne Ratzki, die sich in der Initiative „Mehr Gesamtschulen für Köln“ engagiert, schätzt, dass rund 400 der an Gesamtschulen abgelehnten Kinder anschließend auf einer Realschule angemeldet wurden. Das entspricht 13 zusätzlichen Klassen. „Sie füllen Realschulen auf, die sonst weniger oder kleinere Klassen hätten.“ So entstehe ein verzerrtes Bild: Das Kölner Anmeldeverfahren für die weiterführenden Schulen, das an den Gesamtschulen ein paar Wochen vor den anderen Schulen abläuft, suggeriere einen „Bedarf, den es nicht wirklich gibt“. Ratzki glaubt, dass dies auch für Gymnasien und Hauptschulen gelte.

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Zahlreiche Schülerdemos zeigen: Die Bedingungen an Kölner Schulen sind nicht optimal.

Der Schulausschuss des Stadtrates beauftragte die Verwaltung am Montag, dieser Frage nachzugehen. Keiner weiß genau, was aus den abgelehnten Gesamtschulinteressenten wird,  für welche Schulform sie sich schließlich entscheiden und mit welcher Schulformempfehlung ihrer Grundschule sie dies tun. Die Stadtverwaltung kennt diese Zahlen nicht und verweist auf die Bezirksregierung.

Ein Sprecher der Landesbehörde dämpfte am Dienstag die Erwartungen. Auch die Bezirksregierung verfüge nicht über solche Zahlen.  Ratzkis These vom verzerrten Bedarf scheint sich auch mit der aktuellen Entwicklung in Sülz belegen zu lassen. So soll 25 Kindern aus Mülheim die weit entfernte Theodor-Heuss-Realschule an der Euskirchener Straße in Sülz empfohlen worden sein. In Sülz gibt es zwei Realschulen, an denen die Schülerzahlen in den letzten Jahren immer weiter zurückgegangen sind.

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Die Elsa-Brandström-Schule am Militärring wird zum kommenden Schuljahr keinen einzigen regulären Realschüler mehr aufnehmen. Weil sie als Mitstreiter des Verbunds  NRW-Sportschule aber zwei Sportklassen gründen konnte, ist auch ihre wackelige Existenz erst einmal ein weiteres Jahr gesichert. In der Stadt wird seit längerem diskutiert, die beiden Sülzer Schulstandorte miteinander zu verbinden, um hier dann die erste Gesamtschule im Stadtbezirk Lindenthal zu gründen. Bislang unterstützt das nur die Elsa-Brändström-Schule. Die Theodor-Heuss-Schule hat sich dagegen ausgesprochen.

Hoffen auf Schulministerium

Lindenthals Bezirksbürgermeisterin Helga Blömer-Freker (CDU) kündigte am Dienstag an, sich noch einmal „an einen Tisch setzen zu müssen“. Sie hofft jedoch genau wie Schulverwaltung und Schulausschuss auch weiter darauf, dass NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer mit einer Ausnahmegenehmigung hilft, damit die Elsa-Brändström-Schule auch alleine den Weg zur Gesamtschule gehen kann, obwohl sie dafür eigentlich zu klein ist.

Gebauer

NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer

Katrin Thomas aus Rath hat nach ihren Erfahrungen der vergangenen Wochen ihre eigenen Schlüsse gezogen: Sie und ihr Mann werden nach den Sommerferien ihren Sohn jeden Morgen in die Innenstadt fahren, damit er in die Hauptschule am Großen Griechenmarkt gehen kann. Sie glaubt, nun doch eine sehr gute Schule für Tim Oliver gefunden zu haben. Der Weg sei für einen Neunjährigen zwar sehr weit, aber irgendwann dann mit der Linie 9 auch ganz gut alleine zu bewältigen.

Initiative für Gesamtschule in Rath und Brück gestartet

 Auch eine politische Konsequenz hat Katrin Thomas gezogen: Sie hat eine Initiative für eine neue Gesamtschule in Rath oder Brück gestartet. Sie sucht Unterstützer und Mitstreiter, für die die Qual der Schulwahl in den nächsten Jahren ansteht. Es fehlt noch ein zündender Name für die Bürgerinitiative. Trotzdem läuft bereits eine Online-Petition, die man auf dem entsprechenden Portal mit den Suchworten „Gesamtschule in Rath“ findet.

www.onlinepetition.de

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