Serie „Schule in Not“Zulauf bei Privatschulen – Eltern reagieren auf Schulnotstand

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An Privatschulen sind die Klassen oft deutlich kleiner.

An Privatschulen sind die Klassen oft deutlich kleiner.

  • Eltern melden zunehmend ihre Kinder an Privatschulen an
  • Kritiker befürchten weitere Spaltung der Gesellschaft
  • Befürworter sehen logische Konsequenz auf Fehler des staatlichen Bildungssystems

Köln – Morgens um neun herrscht in dem großen Gebäude fast meditative Stille. Konzentration ist spürbar. Hinter einer Glastür spielt eine Gruppe Kinder Violine. Die Töne verschwinden in der Weite des Raumes. Der Bau der Internationalen Friedensschule Köln (IFK/CIS) in Widdersdorf bietet viel Platz. Es herrschen beste Lernbedingungen. Im bilingualen Gymnasium der IFK lernen 15 Schüler in einer Klasse mit einem Lehrer. 

Drei Unterrichtsfächer sind auf englisch. Fünf freie Lernzeiten stehen auf dem Stundenplan. Wenn Schüler dann noch Lücken haben oder gezielt für eine Arbeit lernen möchten, können sie jeden Tag weitere Lernzeiten freiwillig belegen.

Bis zu 15.000 Euro pro Schuljahr

Die perfekte Betreuung hat ihren Preis. Eltern zahlen einkommensabhängig pro Kind bis zu 15.000 Euro im Jahr an den Förderverein. Der Besuch der IFK ist eine teure Alternative zum staatlichen Schulsystem, wie der anderer Privatschulen auch. Die Preise divergieren zwar. Mehrere hundert Euro im Monat müssen Eltern allerdings pro Kind mindestens zahlen – immer mehr tun es.

Das staatliche System mit seinem mehrgliedrigen Regelschulangebot ist in Not. Marode Gebäude, übervolle Klassen, fehlende Lehrer – die Situation bewegt offenbar viele Eltern dazu, das hohe Schulgeld für Angebote in privater Trägerschaft in Kauf zu nehmen. Die Zahl der Kinder, die eine Ersatz- oder Ergänzungsschule besuchen, steigt laut statistischem Bundesamt. Derzeit lernt jeder zwölfte NRW-Schüler an einer nichtstaatlichen Schule, bei Gymnasiasten sind es gar 16 Prozent.

Schule wird zum Wettbewerb

Thomas Höhne, Professor für Erziehungswissenschaften in Hamburg, sieht die Entwicklung kritisch und neben den mangelhaften Lernbedingungen noch einen anderen Grund: „Der steigende Wettbewerb, der in der Gesellschaft zu beobachten ist, hat sich in der Bildungspolitik niedergeschlagen, die nun auch auf Konkurrenz und Wettbewerb setzt“, sagt Höhne. „Seit 15 Jahren beobachten wir eine sehr starke Ökonomisierung im Bildungsbereich.“ Gleichheit spiele eine immer geringerer Rolle und würde als Gleichmacherei denunziert.

Eltern nähmen mittlerweile viel auf sich, um ihren Kindern einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. „Das Auseinanderdriften der verschiedenen sozialen Milieus wird so verstärkt, und nicht ausgeglichen“, sagt Höhne. Das sei nicht nur bildungspolitisch problematisch, sondern verstoße sogar gegen die Verfassung. 

Privatschulkinder werden selektiert

Zwei Kollegen, Bildungswissenschaftler Marcel Helbig (Universität Hildesheim) und Rechtswissenschaftler Michael Wrase (Universität Erfurt), haben das in einer aktuellen wissenschaftlichen Studie kritisiert. Zwar würde den Privatschulen im Grundgesetz ausdrücklich eine Daseinsberechtigung einräumt, heißt es da, gleichzeitig würde vom Gesetzgeber aber auch gefordert, dass Privatschulen nur dann genehmigt werden dürfen, wenn eine Separierung der Schüler nach Besitzverhältnissen der Eltern dadurch nicht gefördert wird. „In der behördlichen Genehmigungs- und Aufsichtspraxis wird dieser Forderung aber weitgehend nicht entsprochen“, stellen die Autoren fest. Schüler an Privatschulen würden selektiert, das Verbot würde ausgehöhlt.

Die Internationale Friedensschule in Widdersdorf 

Die Internationale Friedensschule in Widdersdorf 

Ulrich Charpa, Leiter des bilingualen Gymnasiums der Internationalen Friedensschule, hält seine Einrichtung allerdings weniger für eine elitäre Bildungsstätte einer privilegierten Gruppe, als für einen Ausgleich für die Defizite des staatlichen Bildungssystems: „Es wäre schön, wenn die steigende Zahl der Privatschüler nur daran läge, dass die Eltern sich bewusst für andere pädagogische Konzepte entscheiden. Zum Teil sind die Gründe aber viel trivialer. Die Eltern reagieren auf die Unterfinanzierung des staatlichen Systems und sorgen sich um die Bildungschancen ihrer Kinder.“

Betreuung und Engagement

Kleine Klassen und die hohe Anzahl an Lehrern seien ein wichtiger Grund, dass sie die Privatschule bevorzugen. Auch wünschten sich die Eltern eine verlässliche Betreuung bis in den Nachmittag. „Bei uns fällt im Grunde keine Stunde aus“, betont Charpa. „Das würde man sich aber angesichts der Bedeutung von Bildung für alle Schulen wünschen.“ 

Dort würde es auch Lehrern schwergemacht, sich so um die Schüler zu kümmern, wie sie es wünschen. „Ich habe es selbst erlebt“, sagt Charpa, „dieses Erschöpftsein vom Unterricht, schnell ins Lehrerzimmer zu gehen, sich nicht mehr aufhalten zu können bei den Kindern, wenn jemand noch eine Frage stellen möchte.“ Gerade bei engagierten Lehrern sei der Frust oft enorm.

Bildung findet zu wenig Beachtung in Köln

Klaus Zimmermann, Leiter der Braunsfelder Privatschule Claudia Agrippina, versteht diese auch als unterstützende Anlaufstelle für Kinder, die sich in übervollen Klassen schwer tun oder keinen Platz an einer staatlichen Schule bekommen. „Wir haben Klassen mit bis zu 16 Schülern und neun Jahre bis zum Abitur“, sagt Zimmermann. Die Situation an den öffentlichen Schulen sei ein Beleg dafür, dass Bildung in Köln wenig Beachtung findet. Die Aussage ist bemerkenswert, denn Zimmermann war nicht nur Direktor des städtischen Apostelgymnasiums. Er sitzt auf Vorschlag der CDU auch als beratendes Mitglied im Schulausschuss des Stadtrats.

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Die Stadt habe die Probleme erkannt, so Zimmermann, doch offenbar fehle es an Bereitschaft und Möglichkeiten, sie zu lösen. Solange der Schulnotstand in Köln bestünde, sei die Behörde froh, dass es Privatschulen gibt, die eine große Zahl von Kindern versorgen. „Das entlastet schließlich die staatlichen Schulen.“

Das trifft wohl zu, wenn sich Privatschulen um Schüler kümmern, die im Regelschulsystem auf der Strecke bleiben. Doch manche privaten Schulen haben mit besonderen Angeboten auch andere Zielgruppe im Sinn, der es eher um die klassische „Eliteförderung“ geht. So geht die Mischung verloren, nicht nur an den staatlichen Schulen. Die Kinder und Jugendlichen, die von privaten Trägern beschult werden, lernen in einer eher homogenen Lerngruppe. Die soziale Wirklichkeit der Großstadt bleibt vor der Tür. Da hilft es auch nicht, wenn eine Schule ein paar Stipendien an talentierte Kinder mittelloser Eltern vergibt.

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