Köln – Die Zahl ist hoch, und über die Gründe, wie sie zustande kommt, lässt sich nur spekulieren: Neun Radfahrer sind nach Auskunft des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) dieses Jahr schon in NRW bei Unfällen mit rechtsabbiegenden Lastwagen ums Leben gekommen – im gesamten Vorjahr waren es acht.
Drei Fälle listet der ADFC auch aus Köln auf, darunter den des siebenjährigen Jungen, der Ende Mai in Widdersdorf von einem Müllwagen überrollt wurde und eine 56-jährige Frau, die Ende April auf der Boltensternstraße starb. Am dritten tödlichen Unfall im Juni, den der ADFC anführt, war nach Recherchen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ allerdings kein Lkw beteiligt, sondern ein Renault Kangoo – ein Irrtum, wie der ADFC-Landesverband auf Anfrage einräumt.
Womöglich hängt die negative Entwicklung mit dem stetig steigenden Radverkehr in den Städten zusammen. Vielleicht ist es auch nur ein statistischer Ausreißer. Interessenverbände wie der ADFC fordern jedenfalls schon lange, Lastwagen flächendeckend mit so genannten Abbiegeassistenzsystemen auszurüsten.
Wie groß der Tote Winkel bei einem abbiegenden Lkw ist, hat die Polizei am Dienstag bei einer Verkehrspräventionsaktion auf dem Rudolfplatz demonstriert: Neben einem Lastwagen lag eine gelbe Plane, auf der eine ganze Schulklasse stehen könnte, ohne dass der Fahrer sie beim Blick in seine sechs verschiedenen, vorschriftsmäßig eingestellten Spiegel sehen würde.
ADFC-Chef kritisiert Aktion
Der ADFC Köln, der die Veranstaltung der Polizei eigentlich mit einer eigenen Rad-Codierungsaktion unterstützen wollte, hatte seine Teilnahme kurzfristig abgesagt. Der Grund: Die „Tote-Winkel“-Demonstration sei ohne Wissen des ADFC geplant worden.
Die Verantwortung für Unfälle würde „mit Aktionen wie dieser“ allein auf die Radfahrer abgegeben werden, kritisiert der Kölner ADFC-Chef Christoph Schmidt. „Zugelassene Lkw haben sechs Spiegel, die das Umfeld ausleuchten, um den Toten Winkel zu eliminieren.“ Besonders bei Präventionsaktionen der Polizei an Schulen würde jedoch das Gegenteil suggeriert, indem die so genannten Rampenspiegel und Weitwinkel an den Lkw mit Tüten abgeklebt würden.
„Fotos von Aktionen wie mit der gelben Plane dienen Lkw-Fahrern nach Unfällen dazu, sich von ihrer Verantwortung freizusprechen“, kritisiert Schmidt. Ein Vorwurf, den der Leiter der Verkehrsinspektion 1, Ernst Klein, zurückweist: „Wir wollen mit diesen Aktionen niemanden freisprechen“, betonte er. Sie dienten allein der Sensibilisierung von Radfahrern. Sie seien nun mal die schwächeren Verkehrsteilnehmer: „Was nützt es denn, wenn auf dem Grabstein steht: Aber er hatte Recht.“
Dass Spiegel bei Aktionen an Schulen abgeklebt würden, sei richtig, ergänzte ein Polizeisprecher. „Solche Aktionen sind als ein erstes Heranführen der Schüler an die Problematik zu verstehen. Sie sollen die Gefahren verstehen. Und es ist auch leider immer noch so, dass nicht alle Lkw mit den vorgeschriebenen Spiegeln ausgestattet sind. Oder dass Fahrer sie nicht nutzen, weil sie abgelenkt sind.“
Mehr Präventionsarbeit bei Lastwagenfahrern
Einig waren sich Schmidt und Klein schließlich darin, dass auch die Speditionen und andere Halter und Fahrer von Lastwagen noch stärker in die Präventionsarbeit mit einbezogen werden müssen. Klein kann sich zum Beispiel vorstellen, dass die Fahrer künftig bei polizeilichen Lkw-Kontrollen auch auf die korrekte Einstellung der Spiegel hingewiesen werden.
Dazu passt, dass immer mehr Großfirmen und Kommunalbetriebe ihre Lkw-Flotten freiwillig mit technischen Abbiegeassistenten ausstatten wollen – so zum Beispiel die Rewe Group oder die Kölner Abfallwirtschaftsbetriebe (AWB) und die Stadtentwässerungsbetriebe (Steb). Eine gesetzliche Vorschrift dazu könnte die Bundesregierung nicht im Alleingang beschließen. Abbiegeassistenten müsste die EU europaweit verpflichtend machen – das will sie auch, aber bis es so weit ist, können noch Jahre vergehen.