Sabine Wötzel ist eine von rund 1000 Gasthörern an der Uni Köln. Was sie antreibt und warum lebenslanges Lernen für sie wichtig ist, erzählt sie im Gespräch.
Uni Köln„Männliche Seniorstudenten treten mit stärkerem Selbstbewusstsein auf“

Sabine Wötzel ist seit 2019 engagierte Seniorstudentin an der Uni Köln.
Copyright: Alexander Schwaiger
In Sabine Wötzels Wochenplan gibt es keinen Platz für Langeweile. Tennisclub, Kegeln, Chor, Ehrenamt in der Geflüchtetenhilfe, Trauerbegleitung für Kinder: ihre Tage sind durchgetaktet. Die Rentnerin gehört zu jenen Menschen, deren Geist fortlaufend Futter braucht, nicht aber in der passiven Haltung einer reinen Wissenskonsumentin. Vielmehr will die 67-Jährige mitmachen, etwas bewirken. Für das Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat sie genau 45 Minuten eingeplant, dann geht es am Albertus-Magnus-Platz, wo wir die Seniorstudentin zum Semesterstart treffen, direkt weiter. Nur einmal habe sich Wötzel eine längere Pause gegönnt, in der sie „nichts gemacht habe“, wie sie sagt: Als sie vor acht Jahren in den Frühruhestand gegangen ist.
Wötzel arbeitete viele Jahre bei Bayer an der Schnittstelle von Personal und IT. Anderthalb Jahre nach der Pensionierung wollte sie wieder intellektuelle Auseinandersetzung, also schrieb sie sich zum Sommersemester 2019 an der Universität zu Köln als Gasthörerin ein. Über 40 Jahre nach ihrem Studienabschluss, Mathematik im Hauptfach, Physik im Nebenfach, ebenfalls an der Uni Köln. So recht wusste Wötzel in ihrem ersten Gasthörer-Semester nicht, was sie machen möchte. Sie überlegte sogar, erneut ein reguläres Studium zu absolvieren. „Da hatte ich noch keine Vorstellung. Schnell habe ich dann festgestellt, dass so ein kompletter Studiengang gar nicht mehr so reizvoll ist“, so Wötzel.
Uni Köln: Philosophie und (Kunst-)Geschichte sehr beliebt bei Seniorstudenten
Als eine von aktuell rund 1000 Gasthörern hat Wötzel kein Curriculum, das sie absolvieren muss. Keinen starren Stundenplan, keine Prüfungen, am Ende aber auch keinen Abschluss. Auf den kommt es Wötzel aber auch nicht an. Stattdessen kann sie jede Vorlesung besuchen, die sie will und so oft sie möchte. Hat man Interesse an einem Seminar, wo auch Leistungen wie Präsentationen zu erbringen sind, muss man das mit dem jeweiligen Dozenten absprechen, da die Uni-Kapazitäten begrenzt sind. „Man will den jungen Leuten auch keinen Platz wegnehmen. Das ist ja auch richtig so“, sagt Wötzel. Wie viele Senior-Kommilitonen hat sie zunächst in die Philosophie hineingeschnuppert.
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Rentnerin Sabine Wötzel studiert an der Universität Köln im Rahmen des Gasthörerstudiums. Warum es im Alter bereichernd ist, nochmal zu studieren.
Copyright: Alexander Schwaiger
Anne Löhr von der zuständigen Koordinierungsstelle Wissenschaft und Öffentlichkeit der Uni Köln teilt mit, Kunstgeschichte, Geschichte und Philosophie seien „hoch im Kurs“. Im speziell für Senioren konzipierten Seminarangebot „bemerken wir auch eine hohe Nachfrage an den aktuellen sozial-politischen Themenstellungen“, so Löhr. In den vergangenen zehn Jahren sei die Zahl der Gasthörer konstant bei rund 1000 gewesen, nur während der Pandemie hätten sie einen Einbruch verzeichnet.
Philosophie sagte Sabine Wötzel doch nicht zu, stattdessen ist Lernen ihr Thema. Als ehemalige Personalerin sei das naheliegend. Lebenslanges Lernen, intergenerationales Lernen: „Es ist wichtig, dass man sich in der älteren Lebensphase weiterentwickelt und weiterbildet. Gerade jetzt, da wir eine viel längere Zeit vor uns haben, in der wir nicht mehr in den Beruf eingebunden sind.“ Mittlerweile forscht Wötzel auch mit einer Gruppe von Senioren zum Thema „Lernen im Alter(n): Motivation, Wirkung, Widerstände.“ Für diese Forschungsarbeit haben sie vergangenes Semester 30 Seniorstudierende und 30 Senioren befragt, die nicht studieren.
Studium im Alter: Sabine Wötzel arbeitet mit anderen Senioren an Forschungsfrage
Was sind die Hürden? Was motiviert Rentnerinnen und Rentner, an die Uni zu gehen? „Manche wollen das positive Gefühl, das sie mit dem ersten Studium verbinden, wieder aufleben lassen. Manche wollen soziale Kontakte knüpfen, sowohl mit Jüngeren, als auch mit den Älteren. Manche hatten nie die Chance zu studieren, und wollen es zum ersten Mal ausprobieren.“ Was sie jedoch alle eine, trotz unterschiedlicher Hintergründe und Vorwissen: „Die Neugier.“ Auch Ängste spielen eine Rolle. „Versagensängste zum Beispiel. Dass man mit den Jungen nicht mithalten kann. Denn als Ältere merken wir, dass das Lernen nicht mehr einfach so en passant passiert, sondern dass wir aktiv dran arbeiten müssen, um die Inhalte zu behalten.“
Das werde einem auch bei Gesprächen mit der Koordinierungsstelle geraten: in den Vorlesungen mitschreiben, später nacharbeiten. Denn einen gewissen Anspruch verfolgt Wötzel beim Studieren, es sei nicht einfach „just for fun“. Ihre Gruppe setzt sich pro Semester daher Fristen. Ein Ende des Gasthörerstudiums ist für Wötzel nicht in Sicht. Das Schöne: Das Wissen ist unendlich, die Forschungsfrage lässt sich immer ein bisschen erweitern. Auch die Dozentin, die die Arbeitsgruppe begleitet, habe ein Interesse, dass die Ergebnisse bestenfalls dem Wissenstransfer in die Gesellschaft dienen.
Ganz ohne Druck geht es eben doch nicht. „Wir haben uns für dieses Semester einen neuen Aspekt vorgenommen: das Gender-Thema. Die Ü60-Generation ist mit anderen Erwartungen an Frauen aufgewachsen. Das macht sich bemerkbar: Männliche Seniorstudierende treten mit stärkerem Selbstbewusstsein auf. Ich wiederum gehöre auch zur Generation, die sich viel erkämpft hat. Wir waren immer berufstätig“, so Wötzel.
Offenheit und Distanz bei jüngeren Studierenden
Auch bei den jungen männlichen Studenten beobachtet sie ein gesteigertes Selbstbewusstsein. „So viel hat sich vielleicht gar nicht geändert“, sagt sie. Doch an Selbstbewusstsein mangelt es der agilen Frau mit Rucksack auch nicht. Hier im lauten Getümmel des Uni-Cafés am Albertus-Magnus-Platz fühlt sie sich wohl. Berührungsängste habe sie mit den Jüngeren keine. Diese zeigten sich grundsätzlich offen, in den Naturwissenschaften sei ihr mitunter eine gewisse Distanz begegnet. Lebenserfahrung im Tausch gegen digitale Kompetenzen, voneinander lernen sei eine Chance.
Die 30 Minuten für das Gespräch sind um, Sabine Wötzel lässt sich noch fotografieren, der nächste Termin wartet. Die Leverkusenerin kommt nur noch einmal die Woche an die Uni. „Ich habe auch noch ein anderes Leben“, so Wötzel. „Manchmal ist es auch ein bisschen viel“, gibt sie zu. „Ich bin auch Oma, das steht über allem. Der Enkeltag ist heilig.“
Die Zulassung zum Gasthörer- beziehungsweise Seniorenstudium an der Uni Köln ist im Wintersemester ab dem 1. August, zum Sommersemester ab dem 1. Februar möglich. Der Semesterbeitrag beträgt 100 Euro, ein Semesterticket ist darin nicht enthalten. Man kann reguläre Vorlesungen besuchen sowie Arbeitskreise und Veranstaltungen, die speziell für Gasthörer sind. Gasthörer müssen kein Abitur vorweisen. Das Seniorenstudium unterliegt nicht den Bestimmungen der Prüfungs- und Studienordnung.
Bei der Platzvergabe haben regulär eingeschriebene Studierende Vorrang, auch Seminare, in denen Laborplätze benötigt werden, sind ausgeschlossen. Bibliotheken können jedoch mitgenutzt werden. Wer doch ein reguläres Studium absolvieren möchte, muss die formalen Zulassungsvoraussetzungen erfüllen. Auch jüngere Gasthörer sind willkommen. Infos gibt es unter gasthoerersenioren.uni-koeln.de.

