Ukrainer und Russen in Köln„Keiner will diesen Krieg. Es muss einfach aufhören“

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Regale in einem russischen Supermarkt in Köln

Köln – Die massive militärische Intervention Russlands gegen die Ukraine ist auch ein Konflikt zwischen zwei Bruderstaaten. Die Nationen sind auf vielen Ebenen eng miteinander verbunden, historisch, kulturell, in den sprachlichen Wurzeln. In Köln leben rund 6117 Menschen mit ukrainischem Hintergrund und etwa 15.000 mit russischem. Viele von ihnen sind schon lange Jahre hier, sie haben tiefe Freundschaften entwickelt, ganze Familien sind miteinander verschmolzen. Nun führt der große Bruder einen brutalen Angriffskrieg gegen den kleinen. Was macht das mit ukrainisch- und russischstämmigen Menschen in Köln? Beobachtungen an einem russischen Supermarkt im Linksrheinischen.

Zoe (84) hat zwei Bänder in den Farben der ukrainischen Flagge an ihre Handtasche gehängt. Sie kommt aus der ukrainischen Stadt Dnepropetrowsk. In ihrer Erinnerung seien Ukrainer und Russen immer brüderliche Völker gewesen. Sie sagt aber auch: „Wer eine Waffe genommen hat und meine Familie jetzt in Gefahr setzt, kann nicht länger mein Bruder sein“.

„Die Ukraine ist nur eine kleine Figur in einem großen Schachspiel“

„Wir sprechen eigentlich nicht über den Krieg. Das ist große Politik“, sagt Vadim Kuhn, der aus der Nähe von Omsk in Sibirien stammt und seit 22 Jahren in Deutschland lebt. „Die Ukraine ist nur eine kleine Figur in einem großen Schachspiel“, findet er und glaubt, dass das Land sich sehr von „den Amerikanern“ beeinflussen lässt. Der stämmige Mann sagt aber auch: „Die Ukraine hat uns provoziert.“ Ein 85-jähriger Russe, der seinen Namen nicht nennen möchte, sieht das völlig anders. „Putin ist paranoid“, urteilt er.

Der Senior will nicht, dass der Konflikt Russen und Ukrainer in Köln entzweit. „Ich gehe regelmäßig mit Ukrainern im Fühlinger See schwimmen. Ich sage ihnen ganz klar: Ich stehe an eurer Seite. Dieser Krieg ist falsch.“

Die Mitarbeiter des russischen Supermarkts selbst möchten nicht mit Journalisten sprechen, wie einer von ihnen nach einem Telefonat mit seinem Chef mitteilt. Auch die Beschäftigten der anderen knapp einem Dutzend russischer Lebensmittelgeschäfte in der Stadt wollen sich nicht offiziell äußern, offenbar aus Sorge. „Wir möchten neutral bleiben. Wir haben Kunden aus vielen Ländern und möchten nicht verurteilt werden, nur weil wir Russisch sind“, winkt zum Beispiel eine Händlerin aus dem Rechtsrheinischen ab.

Der Mitarbeiter des Supermarkts, der vorhin mit seinem Vorgesetzen sprach, versichert, dass die Menschen wie eh und je bei ihnen einkauften. Der Krieg sei kein Thema. Auch der Nachschub an russischen Waren sei nicht eingeschränkt. Kaviar, Süßwaren des Moskauer Herstellers „Roter Oktober“ oder Saucen und Konserven der ukrainischen Firma Chumak, alles da.

Tränen in den Augen

Buchweizen allerdings ist aus. Elena Dyadina wollte welchen kaufen und in die Ukraine schicken, doch das Regal ist leer. Wahrscheinlich sei sie heute nicht die Einzige, die Lebensmittel für Verwandte in das Krisengebiet senden wolle, vermutet sie. Mit Tränen in den Augen erzählt sie über ihre Familie aus Charkiw, die seit drei Tagen im Luftschutzbunker sitze. Die Stadt ist nur etwa 40 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Dyadina sagt, dass sie sich eigentlich russisch gefühlt habe.

„Wir müssen immer menschlich bleiben. Wir sind doch ein Volk, eine Mentalität. Wie kann ich russische Menschen hassen, wenn sie nichts dafür können? Sie haben diesen Krieg nicht angefangen.“ Sie glaubt, dass die Propaganda in russischen Medien großen Einfluss habe. „Es klingt verrückt, aber viele deutsch-russische Freunde von mir glauben nicht, dass es in der Ukraine Krieg gibt. Sie gucken ausschließlich russisches Fernsehen und sehen nur eine Seite des Konflikts. Sie sind davon überzeugt, dass Putin sie retten will.“

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Innerhalb der vergangenen sechs Tage sei es „nicht mehr einfach“, russische Wurzeln zu haben, sagt Evelina, die aus Russland kommt aber schon seit 17 Jahren in Köln wohnt. „Ich fühle mich schuldig, so, als ob es falsch ist, aus Russland zu sein.“ Sie macht sich zudem Sorgen um ihr Kind: „Werden die Mitschüler meinen Sohn weiterhin akzeptieren, wenn die Schule nach Karneval wieder anfängt? Werden die Leute denken, dass alle Russen böse sind?“ Der militärische Konflikt sei „schrecklich“, sagt Evelina. „Ich kann nicht glauben, dass es in dieser Welt Platz für einen Krieg zwischen Verwandten geben kann.“

„Wir haben viele russische Freunde hier. Eigentlich ist zwischen uns alles normal“, sagt Galina Voznenko. Vor mehr als 20 Jahren ist sie mit ihrem Mann Oleg aus der Ukraine nach Köln gekommen. „Wir haben keinen Streit. Aber viele Russen finden es gut, was [der russische Präsident Wladimir] Putin macht. Das ist ein bisschen dumm. Sie sind manchmal sehr aufgeregt“, sagt Oleg Voznenko. Ihre vier Söhne und deren Familien in Odessa im Süden der Ukraine lebten in ständiger Furcht vor russischen Bombardements. „Unsere Enkelin ist zehn Jahre alt und kann vor Angst kaum mehr schlafen“, berichtet Galina Voznenko und appelliert eindringlich: „Es muss jetzt schnell Frieden geben.“

Sorge um den sozialen Frieden in Köln

Irina aus Russland sieht das ganz genauso. „Ukrainer und Russen kommen in Köln miteinander klar“, sagt sie, schiebt aber hinterher: „noch.“ Natürlich bereite ihr der Krieg große Sorgen, nicht nur, weil ihr ebenfalls russischer Mann Verwandte habe, die in der Ukraine lebten. Aber auch den sozialen Frieden in Köln, rund 1600 Kilometer von Kiew entfernt, sehe sie in Gefahr, je länger und unerbittlicher die Kämpfe in der Ukraine geführt würden. „Keiner will diesen Krieg“, sagt Irina, „es muss einfach aufhören.“

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