„Trauer zerfetzt einen“Kölner Autorin schreibt über Menschen mit Schicksalsschlägen

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Katharina Afflerbach hat die Trauer in einem Buch bearbeitet.

Köln – Katharina Afflerbach erinnert sich noch als ob es gestern war. In jedem Moment kann die Kölnerin diesen Augenblick abrufen, als ihr Handy ging und der Satz durchs Telefon drang. Dass ihr geliebter jüngerer Bruder Flo mit nur 35 Jahren von einem 81-jährigen Autofahrer überfahren wurde. „Der Tod ist ein Vakuum. Das weiß ich seit dem 5. Mai 2016“, sagt sie. Seit dem Tag ist nichts mehr wie zuvor. Wenn die 43-jährige Kölnerin darüber schreibt und redet, gelingt es ihr, Worte zu finden für einen Zustand, der eigentlich mit Worten nicht beschreibbar ist. „Es war in meinem Innern so laut und tat so weh. Mein Schmerz war so groß, größer als ein Meer, er war in vielen Momenten alles. Nichts galt mehr, worauf ich mich noch verlassen konnte. Ich war keine Einheit mehr.“

Niemals hätte sie gedacht, wie laut Trauer ist, dass es nicht möglich ist, zur Ruhe zu kommen. Dass man immer weitermachen muss, weil man Angst hat, die Augen zuzumachen, weil einen dann die Gefühle überwältigen. Gerade weil die Kölnerin die Erschütterung so grundlegend wahrgenommen hat und gleichzeitig gemerkt hat, wie hilflos bei so einem plötzlichen Tod häufig das eigene Umfeld agiert, hat sie ein Buch geschrieben und sich auf den Weg gemacht, mit Menschen zu reden, denen Ähnliches widerfahren ist. „Menschen, die nicht den Tod der Oma betrauern oder als Hochbetagte ihren Ehepartner verlieren, sondern Menschen, die Schicksalsschläge erlitten haben, die einen niederschmettern und innerlich zerfetzen.“

Halbe Familie ausgelöscht

„Manchmal sucht sich das Leben harte Wege – Wahre Geschichten, die berühren und Zuversicht geben“, heißt das Werk der Kölnerin, die es schon mit ihrem ersten Buch „Alpsommer“ zur Bestsellerautorin geschafft hat. Dorthin, auf die Schweizer Alp, hat es die Städterin, die als Texterin und Coach arbeitet, regelmäßig als Sennerin verschlagen. Auch damals als die Trauer sie wegzuspülen drohte, fuhr sie dorthin. Die Sommermonate auf der Alp im Stall, gelehnt an den Bauch der Kühe, bei den Ziegen draußen, halfen ihr und waren die ersten Schritte auf dem Weg in ein Leben ohne ihren Bruder.

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Katharina Afflerbach sucht Abstand auf der Alpe.

Später hat sie die Geschichten vieler Trauernder in ihrem Buch aufgeschrieben und taucht tief in ihre Geschichten und Gefühle ein: Da ist Michael, der als 14-Jähriger auf Schüleraustausch ist, als seine halbe Familie durch einen Unfall ausgelöscht wird. Da ist Stephan, der zwei seiner Brüder durch Suizid verlor und die junge Mutter Lea, die ihr mit einer tückischen Krankheit geborenes Töchterchen Lotta mit einem Jahr beerdigen muss. Oder Julia, die 18 Tage nach der Geburt ihrer sechs Wochen zu früh zur Welt gekommenen Tochter  völlig aus dem Nichts ihren Mann und Vater ihres Kindes verliert. Mit den Geschichten will Afflerbach zeigen, dass dieses vermeintlich seltene Schicksal viel mehr Menschen eint als man denkt, aber eben keiner drüber spricht. Sie möchte diesen Menschen eine Stimme geben, erzählt von ihren Gefühlen und auch davon, wie sie ihren langen Weg durch die Trauer gestaltet haben.

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Aber sie möchte noch mehr: „Ich möchte anderen zeigen, was auf diesem Weg für Betroffene heilsam und hilfreich ist, damit der Umgang mit Trauernden einfühlsamer wird.“ Der Abgrund der Trauer sei unermesslich, dazu komme oft die Reaktion der Menschen im Umfeld, die sie – wie viele andere Betroffene – als sehr schmerzhaft erlebt hat: Die Bekannte, die die Supermarktschlange wechselt, um ihr nicht zu begegnen. Freunde, die einem plötzlich aus dem Weg gehen. Die Feste, zu denen man nicht mehr eingeladen wird, weil es doch fröhlich werden soll. „Wenn man einen Raum betritt und dann plötzlich die Gespräche für einen Augenblick verstummen, fühlt man sich wie gelabelt.“ Wie wohltuend sei dagegen, wenn jemand schlicht mit einem Händedruck seine Hilflosigkeit zum Ausdruck bringe. Oder einfach nur auf den Trauernden zugehe und sage: „Schön, dass du da bist.“ Wer in tiefer Trauer ist, dem tue es gut, über den Verlust zu sprechen. Immer wieder. „Am Anfang hat dafür auch noch jeder Verständnis, aber das schwindet irgendwann rapide. Man spürt, dass man dem Umfeld damit auf die Nerven geht. Wenn dann die Angst kommt, eine unattraktive Freundin zu werden und damit noch einsamer, dann ist das ein fieses Gefühl und ein echter Zwiespalt. Dann verkneift man sich das.“ Stattdessen helfe, einfach offen bei der Freundin nachzufragen, ob die Dosis zu hoch war und das Thema mal ausgeklammert werden sollte. „Das muss man lernen. Doch die gegenseitige Offenheit hilft.“

Das Geschenk der Dankbarkeit

Aber auch das zeigt Afflerbach in ihrem Buch: Es gibt einen Weg durch die Trauer, und irgendwann auf dem Weg mischt sich die Dankbarkeit unter den Schmerz. Fünf Jahre ist der Verlust ihre Bruders nun her. In der Zwischenzeit hat sie noch einen Cousin und eine Freundin verloren. „Ich bin noch da, wenngleich ich eine andere geworden bin. Ich weiß jetzt um meine Verwundbarkeit.“ Der Schmerz ist da, aber sie kann ihn akzeptieren, als Wegweiser in ihre Erinnerung. Und die bringt inzwischen nicht nur Schmerz mit sich, sondern auch Dankbarkeit. „Ich kann sogar sagen, dass die Dankbarkeit überwiegt und ich lächeln kann, wenn ich an meinen Bruder denke.“ Der Schicksalsschlag habe ihr Herz geweitet, sie wärmer und weicher gemacht. „Ich versuche nicht mehr so zu urteilen über andere.“ In die Berge auf die Alpe geht sie immer noch – jedes Jahr. Nicht mehr den ganzen Sommer, so doch immer für ein paar Wochen. Die Berge helfen ihr, auch Abstand zu gewinnen, mit sich in Kontakt zu kommen und sich wieder neu auf das Wesentliche auszurichten. Gerade hat sie neben ihrer Tätigkeit eine Ausbildung als Wanderführerin begonnen. „Ich habe gelernt, dass es Kummer gibt, der nie mehr vergeht. Ich lernte aber auch, wie Abermillionen vor mir, dass ich weiterleben, sogar gut und gerne weiterleben kann.“

Katharina Afflerbach: Manchmal sucht sich das Leben harte Wege. Wahre Geschichten, die berühren und Zuversicht geben, Verlag Goldegg, 19,95 Euro.

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